Bei ihrem Auftritt im Four Seasons kann man dann eine ganz andere Persönlichkeit erleben. Abgang Sandy, Auftritt Mrs. Bullock. Man muss zweimal hinschauen, als sie im Stechschritt in einer Phalanx von PR-Polizisten das Hotel betritt. Absolut sicher übrigens auf halsbrecherischen Schuhen, und so durchtrainiert, glattgefönt und schockgeschminkt wie die Shopping Queens des nahen Rodeo Drive. Etwas unwirklich wirkt der Auftritt, bis man ihre Nervosität und Konzentration spürt. Schließlich ist sie es von früheren Filmen wie "Miss Undercover" oder "Selbst ist die Braut" nicht gewohnt, das Gewicht des Existenziellen zu tragen. In "Gravity" geht es ja auch um eine Art von Wiedergeburt, als die Astronautin dem Tod begegnet, bevor sie mitten in der Katastrophe neue Kraft für ungeahnte Ziele schöpft.
Sandra Bullock bei der Premiere von "Gravity" in London am 10. Oktober 2013.
(Foto: Getty Images)"Das Element der Wiedergeburt war der Schlüssel für mich, um alles in diesen Film zu stecken, was ich besaß", sagt Bullock über ihre Rolle. Nicht genug, dass ihre Figur während eines Reparatureinsatzes mit Widescreen-Sicht auf die 3-D-Erde in die Finsternis geschleudert wird, als der Film mit einem Sturm aus Weltraumschrott beginnt. Auch trägt die unerfahrene Astronautin Ryan Stone erdrückend an der Last einer verstorbenen Tochter. Der Tod lauert überall, der nächste Atemzug könnte der letzte sein. Nicht den Hauch einer Chance für einen Sandy-Scherz, um den Druck abzubauen.
Sandra Bullock erzählt von Klaustrophobie und Depressionsschüben während eines beispiellosen Drehs, bei dem sie zur Simulation von Schwerelosigkeit meist allein in einem fensterlosen Würfel hockte. Zehn Stunden am Tag ohne Pause, nur über Funk kommunizierend, von Roboterarmen minutiös durch den Raum bewegt. Zur Motivation hatte die Crew über der Kapsel die Worte "Sandra's Cave" in blinkenden Neonlettern angebracht, doch aushalten konnte sie das alles nur mit der Aussicht auf ihren dreijährigen Sohn Louis am Ende des Tages. Bullock atmet tief durch, wenn sie den Hunger auf Grenzerfahrungen beschreibt, obwohl ihr ursprünglich gar nicht der Sinn nach Arbeit stand.
"Als Mutter eines kleinen Kindes befindet man sich im dauernden Schwebezustand", erzählt sie. "Du musst deine Balance finden, während dir das Leben Knüppel zwischen die Beine wirft. Der Trick ist es, die Zeit dazwischen zu schätzen, wenn das Leben süß ist und das Sorgen pausiert." Als sie den Regisseur Alfonso Cuarón das erste Mal traf, sei sie selbst ziellos durchs Leben gedriftet. "Cuarón wurde mein Anker." Der Fokus auf den Film und die Kraft dieser Figur sei für sie selbst wie eine berufliche Wiedergeburt gewesen.
Bullock muss gar nicht weiter erklären, warum sie die Therapie durch Kreativität suchte. Kurz nach dem Gewinn des Oscars für "The Blind Side" 2011 kam es zur Trennung von Ehemann Jesse James, einem Biker mit TV-Show und einer großen Eroberungslust. Unappetitliche Details erreichten die Öffentlichkeit, doch wenn in Zeiten von Shitstorms je ein glückloser Star in ein Mitleidsnetz der Öffentlichkeit fiel, dann Sandy, der niemand ein Happy-End wie aus Hollywood missgönnt hätte. Sie schweigt dazu, so wie sie früher auch zu "guten Freuden" wie Matthew McConaughey oder Ryan Gosling zu schweigen pflegte.
Das Private wird geschützt
Doch die Zäsur ist unverkennbar. Mit 49 Jahren hat Sandra Bullock beschlossen, nicht mehr für alle Welt die putzige Sandy zu zeigen. Lieber volles Risiko! Zu sehen war das sogar schon in "Taffe Mädels", einer herrlichen Komödie aus dem letzten Sommer. Da ist die Komikerin Melissa McCarthy ihre Partnerin, und zum ersten Mal nimmt Bullock hier den passiven Part ein. Sie reagiert mit trockenster Mimik auf Clownereien statt durch Kulissen zu stolpern.
Weil niemand auf Dauer mit Millionen von Zuschauern befreundet sein kann, hat Bullock eine strikte Lebenstrennung vorgenommen. Das Private wird geschützt, die Aura des Geheimnisvollen macht sie nur interessanter; nach Hollywood kommt sie längst nur noch zum Arbeiten. "Wenn ich für meine Filme die Werbetrommel rühre", sagt sie, "dann geht es überhaupt nicht um mich, sondern ich schlüpfe sozusagen in die Maskerade des Stars, um das Spiel mitzuspielen. Danach fahre ich wieder heim, und in Austin brauche ich bestimmt keine Stylisten mehr, da nimmt mich niemand als Berühmtheit wahr."
Gut möglich, dass sie künftig mehr Anreize denn je bekommen wird, sich als Star zu verkleiden. Für "Gravity" wird sie garantiert wieder ins Oscar-Rennen gehen, und den Fehler, ihr Potenzial zu unterschätzen, hat nun auch der letzte Skeptiker begriffen. Von wegen, Frauen in Hollywood würden abgesägt mit zunehmendem Alter. Sandra Bullock wird kommenden Sommer fünfzig. Sie hat sich von Zwängen befreit, auch wenn diese Loslösung fast so anstrengend ist wie der Job als Weltraum-Astronautin.