Grass und Dänemark:Der polternde Pastor

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Der deutsche Nobelpreisträger hatte ein Haus in Dänemark und viele Freunde dort - eine Liebesgeschichte aus dem Geist der deutschen und skandinavischen Sozialdemokratie.

Von Christoph Bartmann

Von der Terrasse seines Sommerhauses auf der Insel Møn konnte Günter Grass weit über die Ostsee schauen, nicht Richtung Danzig zwar, jedenfalls aber nach Osten. Seit den Siebzigerjahren kam Grass nach Møn, und 1992 mietete er dann an einem einsamen Strand bei Ulsvhale ein strohgedecktes Haus. Kaufen durfte er es nicht, denn die dänischen Gesetze lassen den Erwerb von ufernahem Eigentum durch Ausländer auch dann nicht zu, wenn diese Nobelpreisträger sind. Immerhin drückten die Behörden insofern ein Auge zu, als sie Grass im Jahre 2002 das Haus am Strand für weitere 15 Jahre und gegen eine sehr bescheidene Miete überließen. Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei regte sich über den Verstoß gegen geltende Gesetze auf, und das Kopenhagener Justizministerium musste daraufhin einen Fehler zugeben.

So hatte es Grass selbst noch in Dänemark geschafft, politischen Wirbel zu erzeugen. Ansonsten aber hielt er sich aus der Politik heraus und pflegte hier sommers den Lebensstil eines ländlichen Kunsthandwerkers. Auf Møn entstanden nicht nur Bücher, sondern Zeichnungen, Aquarelle und Terrakotten, und in den Pausen zwischen all dem Arbeiten streifte er durch die Wälder, auf der Suche nach Pilzen, Wurzeln und sonstigen Fundsachen, die dann wieder als Gegenstände in die Arbeit einflossen. Zwischendurch rief sicher auch der eine oder andere führende Sozialdemokrat an, aber sonst war Møn der Gegenentwurf zu den deutschen Scharmützeln. In Dänemark gab sich Grass betont pastoral, ein, mit Grundtvigs Wort, "folkeliger" Schriftsteller zum Gernhaben, dessen Ruhm mit dem Nobelpreis ins Unermessliche stieg und später nicht einmal durch die Waffen-SS-Enthüllungen spürbar litt.

Die große Wertschätzung, die Grass in Dänemark, wie auch sonst in Skandinavien, genoss, hat wohl zwei Gründe. Der erste hat mit Grass' kulturräumlicher Verankerung im Ostseeraum zu tun. Grass' Literatur kreist um oder bewegt sich über das Mare Balticum. Ob Danzig oder Lübeck oder das Wasser dazwischen wie in der Novelle "Im Krebsgang", die erzählte Welt des Günter Grass liegt, geografisch und historisch vor der eigenen Haustür. Dänische Leser fühlten sich bei Grass zu Hause, und nicht anders fühlte Grass sich in Dänemark zu Hause - oder wohler noch als zu Hause, wo ihn die Rolle des Mahners und Warners vom kontemplativen Leben abhielt. Grass wäre aber in Dänemark niemals so berühmt geworden, hätte er in Deutschland diese Rolle nicht gespielt. In einem Land, in dem das Trauma der deutschen Besatzung noch nicht vergessen war, konnte Grass mit seinen Warnungen vor dem Adenauer-Staat, den Notstandsgesetzen, dem Waldsterben, der Wiedervereinigung oder dem deutschen Euro-Imperialismus mit viel Verständnis rechnen. Günter Grass hat, neben Willy Brandt und auch Richard von Weizsäcker, geholfen, den Glauben der Dänen in ein "besseres Deutschland" wiederherzustellen.

Es war eine deutsch-dänische Verbundenheit aus dem Geist der Sozialdemokratie

Das ist der zweite Grund, warum die Dänen Grass fast wie einen der ihren behandelten. So richtig funktionierte die Idee von der deutsch-nordischen Verbundenheit im Geist des Linksliberalismus freilich nur, solange in Skandinavien wie in Deutschland Sozialdemokraten regierten - idealerweise Willy Brandt und Olof Palme, die sich dann beide von Grass hätten beraten lassen. Die Epoche ist vorbei und kommt auch nicht wieder, aber in Dänemark mochte man Günter Grass weiter gern, wie einen alten Freund, dessen Poltereien nicht immer den Kern treffen, der aber mit seiner Pfeife am Wirtshaustisch immer hoch willkommen ist. 2012 kürte ihn die dänische "Europabewegung" wegen seiner Kritik an der Griechenlandpolitik der EU zum "Europäer des Jahres".

Im Jahr 1961, als eben die "Blechtrommel" erschienen war, hatte Grass zum ersten Mal in Kopenhagen als Gast der Studentenvereinigung gelesen und sogleich Aufsehen geweckt. Das Interesse blieb ihm ein Autorenleben hindurch treu, Preise und Ehrungen folgten, in Per Øhrgaard fand Grass einen treuen und kompetenten Übersetzer, und seinerseits erwies Grass seinem zweiten Zuhause die Reverenz, indem er etwa Andersens Märchen illustrierte oder die ebenfalls zeichnerisch tätige Königin Margrethe in seinem Lübecker Reich empfing. Wem sonst, außer Staatsoberhäuptern, hätte die dänische Königin in Deutschland die Ehre erwiesen? Die Monarchin aus Kopenhagen und der gelernte Steinmetz und nachmalige Nobelpreisträger aus Danzig-Langfuhr: ein unwahrscheinliches Duo, aber eines, das sich mit Respekt begegnete, wahrscheinlich sogar mit Sympathie.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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