"Das ist ein böser Tag gewesen": Der Comic "Wave and Smile" des Berliner Zeichners Arne Jysch schildert den Alltag deutscher Soldaten in Afghanistan zwischen Anschlägen, Kompanieschildkröte Rambo und Skypen mit der Familie. Von Tim Neshitov. Als im Mai der US-amerikanische Kulturhistoriker Paul Fussell starb, hatte das angelsächsische Publikum einen Anlass, über das eigene Verhältnis zum Krieg nachzudenken. Fussell hatte 1975 den Klassiker "The Great War and Modern Memory" geschrieben. Er analysierte darin Gedichte, Romane und Memoiren aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und schilderte, wie der Krieg die Erinnerungskultur in Europa und in den USA veränderte. "Der Krieg machte unsere Idee von Fortschritt rückgängig." Auch die Kriege des 21. Jahrhunderts verändern die Gesellschaften, die sie führen, unabhängig davon, ob man diese Kriege nun "Krieg" nennt oder "Einsatz". Der Afghanistan-Krieg, in dem bisher 27 deutsche Soldaten starben, hat in Deutschland keine neue Erinnerungskultur geschaffen, sondern höchstens eine Verdrängungskultur. Sollten Kulturhistoriker je über diese geistige Tektonik nachdenken, werden sie wohl auch den Comic "Wave and Smile" des Berliner Zeichners Arne Jysch berücksichtigen. Text: Tim Neshitov/ SZ vom 03.07.2012 Abbildung © Arne Jysch / Carlsen Verlag, Hamburg 2012
Es ist die erste Graphic Novel zum Isaf-Einsatz der Bundeswehr, und sie könnte sogar im Mittelpunkt einer kulturgeschichtlichen Analyse stehen, denn sonst hat der Krieg nicht viel Literatur hervorgebracht, sieht man von den Zeitzeugnissen zurückgekehrter Soldaten ab. Der Comic ist diese Woche im Carlsen Verlag erschienen. Auf 200 Seiten erzählt Jysch die Geschichte des Hauptmanns Menger, der Journalistin Anna und des Hauptfeldwebels Marco. Anna landet in Kundus und stellt sich vor: "Ich bin Anni, die neue Poolfotografin." - "Oh, einen Pool haben wir hier leider nicht", antwortet Marco. Abbildung © Arne Jysch / Carlsen Verlag, Hamburg 2012
Seine Einheit hat kürzlich bei einem Sprengstoff-Anschlag - "BROOM, TATATATAT, KRAWOMM" - drei Kameraden verloren. Anna war noch nicht da, sie weiß noch sehr wenig. Es wird dauern, bevor sie und die Soldaten eine gemeinsame Sprache sprechen. Arne Jysch zeichnet die Stube von Hauptmann Menger, Handtücher auf einer improvisierten Leine, die schweren Schuhe neben dem Gewehr und an der Wand drei Schwarz-weiß-Porträts mit dem schrägen schwarzen Balken oben rechts. "Das ist ein böser Tag gewesen", tippt der Hauptmann in seinen Laptop. "Das ist ein Scheißkrieg hier. Aber das will ja keiner wahrhaben." Er geht hinaus und füttert Rambo, die Kompanieschildkröte, die sich in einem Rosenbeet versteckt. Abbildung © Arne Jysch / Carlsen Verlag, Hamburg 2012
Arne Jysch ist 38 und sagt, er habe sich bis 2007 für die Bundeswehr in Afghanistan nicht interessiert. "Mir ging's wie vermutlich den meisten Deutschen." Erst nachdem er einen Exilafghanen kennengelernt hatte, fing Jysch an zu recherchieren. Er ist zwar nicht selbst nach Afghanistan gefahren, aber er hat mit mehreren Soldaten gesprochen. © Arne Jysch / Carlsen Verlag, Hamburg 2012
Er arbeitet mit milden Aquarellfarben, Blau, Ocker, verwaschenes Grün. Explosionen und Gefühlsausbrüche, die in solchen Tönen gezeichnet werden, bleiben länger in Erinnerung. Anna packt bei einer Patrouillenfahrt ihre Kamera aus, fotografiert Kinder auf dem Basar. "Neutrale Bilder als embedded Journalist..? Ist das nicht ein bisschen naiv?" fragt Marco. "Ist es nicht naiv", fragt Anna zurück, "in einem Land, das fünftausend Kilometer weit weg ist, sein Leben für eine Mission ohne Ziel zu riskieren?" Abbildung © Arne Jysch / Carlsen Verlag, Hamburg 2012
Es prallen Welten aufeinander, Taliban auf die Bundeswehr, der ferne deutsche Alltag auf Kundus. Es ist das Jahr 2009, Osama bin Laden ist noch am Leben. Die Soldaten erzählen sich Witze: "Und womit fährt Bin Laden morgens zur Arbeit? - Na, mit der Taliban!" Marco wird von den Taliban entführt. Hauptmann Menger skypt mit seiner Frau und Tochter, aber seine Ehe geht in die Brüche. Im Heimaturlaub kommt er nicht zurecht, schlägt einem Mann ins Gesicht, der Soldaten Mörder nennt. Er kehrt zurück nach Afghanistan, getarnt als Journalist "einer linksradikalen Zeitung". Er schläft mit Anna, deren Küsse ihm Alkohol ersetzen, und lässt sich einen wilden Bart wachsen. Er begibt sich in die Tribal Areas. Er sucht nach dem verschleppten Marco. Abbildung © Arne Jysch / Carlsen Verlag, Hamburg 2012