Graphic Novel "Die große Odaliske":Schamlose Schwerelosigkeit

Graphic Novel "Die große Odaliske": Tatort Paris: Eine junge Außenseiterbande zieht in "Die große Odeliske" auf Bestellung die irrsten Gemäldediebstähle durch.

Tatort Paris: Eine junge Außenseiterbande zieht in "Die große Odeliske" auf Bestellung die irrsten Gemäldediebstähle durch.

(Foto: Reprodukt)

Ein Spiel der Diffusion: "Die Große Odaliske" ist im wahrsten Sinne des Wortes ein diebisches Vergnügen. Die Geschichte einer Außenseiterbande, die in Paris irre Gemäldediebstähle durchzieht, beschwört die Erotik der Gemeinschaft.

Von Fritz Göttler

Abenteuerferien in den Pariser Museen, eine Mischung von Action und Art. Es geht um exquisiten Kunstraub, durchgeführt mit jugendlicher Naivität und sommerlicher Heiterkeit. Dazu eine kurzentschlossene Exkursion nach Mexiko, ins Drogenmilieu. Eine junge Außenseiterbande ist am Werk, zwei, später drei Mädchen ziehen auf Bestellung die irrsten Gemäldediebstähle durch.

Carole, Alex und Sam - die für kühne Motorradstunts perfekt ist. Die bekanntesten, begehrtesten Objekte sind gerade gut genug, das "Dejeuner sur l'herbe" etwa, das nachts aus dem Musée d'Orsay geholt wird.

Der Band "Die große Odaliske" ist großartig choreografiert von dem Dreierteam Bastien Vivès, Florent Ruppert & Jérôme Mulot. Die Operationen der Mädchen sind sehr komisch, sophisticated sogar. Sie laufen ab mit somnambuler Beiläufigkeit, en passant gewissermaßen, und es kann sogar passieren, dass eine von ihnen gar nicht recht bei der Sache ist, gerade den Typen am Mobilfon hat, mit dem sie gerade geht und der schrecklich zickt.

Raum für Improvisation

Es ist nicht alles bis ins letzte Detail geplant bei diesen Coups, es bleibt Raum für Improvisation. Zu den Beziehungen der Mädchen untereinander gibt es Andeutungen und manchen versteckten Hinweis, ein gemeinsames Aufwachen nebeneinander am Morgen oder Erinnerungen an Amsterdam, wo vor Jahren Carole und Alex sich erstmals begegnet sind.

Graphic Novel "Die große Odaliske": Nix wie weg hier - aber was ihm sagen?

Nix wie weg hier - aber was ihm sagen?

(Foto: Reprodukt)

Was es nicht gibt in dieser Gruppe, sind Rollen und feste Strukturen. Das Lustprinzip bestimmt ihr Handeln, das heißt, das Ganze ist moralisch nicht sehr korrekt. Man schaltet einen blutigen Drogendealer blutig aus, um dann seine Deals und sein Revier zu übernehmen. "Weißt du, Sam, das Wichtige im Leben ist für mich nicht, was man tut. Sondern mit wem man es tut."

Es ist die Handlungsmoral, die Zusammenarbeit, die zählen, Teamwork par excellence - zu dem die Einstellungen dieses Bandes sich immer wieder ikonisch verdichten. Den Boss, von dem die Mädchen ihre Aufträge bekommen, trifft Carole in seinem Bad, da sitzt er neben zwei jungen Girls am Beckenrand, wie es sich für einen mondänen Boss eben gehört.

Dann zieht er los in die Sauna, links und rechts von den Girls flankiert, die Arme über ihre Rücken gelegt. Die Arme sind verstümmelt, die Unterarme fehlen. Die Geste, die das Bild fixiert, geht plötzlich übers Sexuelle hinaus, beschwört die Erotik der Gemeinschaft, des Zusammenhalts.

Kommt ein Motorrad über den Museumshof geflogen

Graphic Novel "Die große Odaliske": Tollkühn: "Die große Odaliske".

Tollkühn: "Die große Odaliske".

(Foto: Reprodukt)

Es ist das Gegenstück zur klassischen ligne claire der französischen Comics, was hier geschaffen wird, ein Spiel der Diffusion, immer wieder fehlen die Linien überhaupt, in den Gesichtern und den Emotionen, die über sie ziehen.

Das Hotel Ritz an der Place Vendôme ist filigran wie ein Gespinst, und die Geschichte entwickelt eine ziselierte Transparenz, sie dreht sich um den Diebstahl der "Großen Odaliske" von Ingres und steuert auf jenen Moment der Schwerelosigkeit zu, da man die Pei-Pyramide vor dem Louvre mit dem Motorrad hinaufprescht, um dann den Hof des Museums zu überfliegen.

Von da an scheint das ganze Museum eine neue Mobilität zu gewinnen, eine Beweglichkeit, wie sie zuletzt, vor nahezu fünfzig Jahren, bei Godard zu spüren war, als seine "Bande â part" den Louvre durchstürmte in neun Minuten und 43 Sekunden.

Bastien Vivès, Florent Ruppert & Jérôme Mulot: Die große Odaliske. Aus dem Französischen von Mireille Onon. Reprodukt Verlag, Berlin 2013. 122 Seiten, 20 Euro.

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