Süddeutsche Zeitung

Grammys 2021:Ab ins Bett

Trevor Noah moderiert die Grammy Awards mit dem Esprit einer Handsockenpuppe, Beyoncé bricht einen Rekord - und Billie Eilish ist von ihrem Preis eher peinlich berührt.

Von Juliane Liebert

Die Grammys sind eine umstrittene Angelegenheit. Der wichtigste Musikpreis der Welt machte zuletzt Schlagzeilen, weil The Weeknd die Verleihung korrupt nannte und ankündigte, den Preis künftig zu boykottieren. Künstler wie Ellie Goulding forderten mehr Transparenz bei der Preisvergabe. Sie wolle nicht mit dem Finger auf Nominierte und Preisträger zeigen, erklärte Goulding im Vorlauf der Veranstaltung, aber sie und viele andere "just want some transparency".

Mehr Transparenz gab es bei den diesjährigen Grammys zunächst - abgesehen von manchen Outfits - nicht, aber es wurde sich offenbar um Diversität bemüht.

Moderiert wurde das mehr als dreieinhalb Stunden lange Spektakel von Trevor Noah, der sich redlich anstrengte, aber seine Witze aufsagte, als würde er sie gerade zum ersten Mal auf einem Teleprompter lesen — mit dem Esprit einer Handsockenpuppe. Das einzige Mal richtig euphorisch wirkte er, als er mit Cardi B auf einem überdimensionierten Bett rumhüpfte, nachdem er einen semianzüglichen Witz gemacht hatte. Hätte es ein größeres Publikum gegeben, hätte es eventuell peinlich berührt geschwiegen. Aber es war zu weit weg. Danke Covid!

Aber der Reihe nach. Das "abgesehen von der Kapitol-Erstürmung größte Outdoor-Event in diesem Jahr" (Zitat Trevor Noah) fand im und vor dem Staples Center statt, an einzelnen, sehr distanzierten Tischen mit dezent an sie verteilten Stars. Alle hielten sich die meiste Zeit brav voneinander fern, jeder hatte seine eigene besondere Maske auf — Taylor Swifts war ganz von Blumen bedeckt (genau genommen war Taylor Swift als solche komplett mit Blumen bedeckt.) Diese Masken wurden abgenommen, wenn jemand gewann.

An der Schnelligkeit und Verve, mit der die Maske beim Gewinnen abgenommen wurde, konnte man ablesen, wie wichtig der Star seinen Preis fand. Swift riss ihre freudig herunter, Billie Eilish zog ihre eher verlegen ab. Sie war es auch, die die Veranstaltung mit einer Antiklimax enden ließ: Nach stundenlangem Spannungsaufbau gewann die 19-jährige Sängerin "Record of The Year" und war davon eher peinlich berührt. Sie stimmte eine Lobrede auf Megan Thee Stallion an und hätte das Ding wohl auch gerne direkt an sie weitergegeben. Dabei hatte Megan schon vorher drei Preise bekommen - "Best New Artist", "Best Rap Performance" und "Best Rap Song".

Gab es eine Reaktion auf die Vorwürfe der mangelnden Diversität und Transparenz? Jein.

Einige der Preise wurden von Inhabern oder Angestellten kleiner unabhängiger Musikvenues vergeben - um Aufmerksamkeit zu generieren für jene Kulturorte, die während der Pandemie am meisten leiden. Harry Styles gewann "Best Pop Solo Performance" für "Watermelon Sugar", in eine Federboa und schwarzes Leder gehüllt. Beyoncé war neunfach nominiert und wurde an diesem Abend mit jetzt 28 Auszeichnungen die weibliche Künstlerin mit den meisten Grammys aller Zeiten. Dua Lipa gewann sehr verdient "Best Pop Vocal Album" und performte "Levitating" und "Don't Start Now". Alle Tänzer trugen während der Performance Masken - ob aus Vorbildgründen oder weil Tänzer ansteckender sind als Stars, blieb dabei offen.

Leider sind Live-Performances, auch wenn sie wie hier extrem sorgfältig choreografiert sind, ohne Publikum nicht dasselbe. Es ist eben doch das Auge (oder Ohr) des Betrachters, das den Star zum Star macht. Wenn keiner mitfiebert, ist das zwar alles immer noch ganz nett anzusehen, aber deutlich lebloser. Einzige Ausnahme war hier "WAP" von Cardi B und Megan Thee Stallion, die es schafften, die Künstlichkeit der Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen und eine unglaubliche Show hinzulegen.

Gab es eine Reaktion auf die Vorwürfe der mangelnden Diversität und Transparenz? Jein. Gegen Ende wurde ein Video eingespielt, das die Ästhetik einer Tamponwerbung besaß. Tatsächlich war es aber der Präsident der Grammys, Harvey Mason Jr., der Besserung gelobte. "Wir hören die Schreie nach Diversität und die Forderungen nach Transparenz", sagte er, und bat die Künstler, nicht gegen die Veranstalter zu arbeiten.

Das war sicher in löblicher Absicht gesagt, aber jeder, der schon einmal in einer Jury saß, weiß, wie es da vor sich geht. Preis oder nicht Preis - irgendwer ärgert sich immer. Überhaupt, haben sie in den USA nicht diese Murmeltiere, die das Wetter vorhersagen? Können die die Grammy-Vergabe nicht in Zukunft übernehmen? Das wäre dann wenigstens wahrlich gerecht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5234268
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/jsa/biaz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.