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Grammy Awards in Los Angeles:Beyoncé, willst du meine Mommy sein?

Bei den Grammys bricht Adele ihren Tribute-Song für George Michael ab, James Hetfield schmeißt aus Wut seine Gitarre weg und Katy Perry hat eine Botschaft an Trump: fünf denkwürdige Auftritte.

Von Johanna Bruckner, New York

Eine Grammy-Verleihung ist wie eine Schulaufführung auf Speed. Es geht um Geschwindigkeit und Bewusstseinserweiterung. Für viele auch einfach nur darum, druff zu sein - also auf der Bühne. Eltern, die schon mal ein dreistündiges Krippenspiel durchstehen mussten, für diese fünf Sekunden, wenn der eigene kleine Esel "I-ah" macht, können die Qual der Musiker und ihrer Entouragen im Staples Center in Los Angeles nachfühlen. Es gibt Preise in 85 Kategorien, nur ein Bruchteil wird in der Live-Show verliehen. Trotzdem peitschen die Veranstalter das Programm durch, als gelte es, der Erste am Kuchenbuffet zu sein. Chance the Rapper, gerade ausgezeichnet als bester Newcomer, will sich seinen Keks nicht wegnehmen lassen: "Ihr könnt so viel Musik spielen, wie ihr wollt, ich rede weiter!", ruft er bei seiner (ersten) Dankesrede (er bekommt später noch zwei weitere Preise).

Der Mann ist nicht Künstler geworden, um anderen Beifall zu spenden. Der eigene Auftritt ist das, was zählt. In diesem Sinne - fünf denkwürdige Momente der 59. Grammys.

1) Beyoncé als Fruchtbarkeitsgöttin

Kommen wir für einen Augenblick zurück zu jenen Eltern, die auf der Bühne am liebsten die eigenen Kinder strahlen sehen. Zu denen gehört auch Tina Knowles, Mutter von Beyoncé und Solange. Ihre ältere Tochter habe jede einzelne der neun Nominierungen für ihr Album "Lemonade" verdient, sagt Tina Knowles bei den Grammys. Das erinnert ein bisschen an Kanye West, der einen Preis für Kanye West einfordert. Tatsächlich ist der Auftritt von Mama Knowles aber Teil der großen Beyoncé-Show, die nun folgt. Es geht um das Wunder der Mutterschaft. Die 35-Jährige, die jüngst via Instagram ihre zweite Schwangerschaft verkündete, inszeniert ihren Babybauch: mal nur mit einem Bikini bekleidet, mal in einem bodenlangen Kleid mit Krone. Beyoncé steht auf der Bühne und Beyoncé ist auf der Leinwand zu sehen. Ihre Rundungen und Kurven fließen, ihre Stimme schwebt durch den Saal. Beyoncé, die Zwillinge erwartet, ist eine in Gold gewandete Fruchtbarkeitsgöttin - in der Videoprojektion wird ihre Krone zum Heiligenschein.

"Women cannot be contained", sagt die Göttin. "If we're going to heal, let it be glorious." Das Ganze ist so überweltlich, dass sich einem kleinen Erdling nicht alles erschließt. Die Botschaft aber kommt an. Ehemann Jay Z klatscht Beifall und Tochter Blue Ivy hüpft vor Freude auf und ab. Das versöhnt mit einem Moment kurz vor der Show. Da nahmen John Legend und Ehefrau Chrissy Teigen am Rande des roten Teppichs Komplimente zu ihrer im vergangenen Jahr geborenen Tochter entgegen. Die Kleine zahne gerade, erzählte Teigen, und habe deswegen geschwollene Backen - dadurch sehe sie noch süßer aus.

Beyoncé gewinnt am Ende übrigens zwei von neun Grammys.

2) Twenty One Pilots - Hosen runter

Tyler Joseph und Josh Dun (größter Hit "Heathens") gewinnen in der Kategorie "Best Pop Duo/Group Performance". Nur mit Unterhosen bekleidet nehmen die trotz der obligatorischen Tattoos äußert wohlerzogen wirkenden jungen Männer ihre vergoldeten Grammophone entgegen. Dann erklärt Joseph: Es sei noch nicht lange her, da hätten sie die Grammys zu Hause in Columbus, Ohio, vor dem Fernseher verfolgt - der Bequemlichkeit halber ohne Hose. Damals habe man sich versprochen: Für den unwahrscheinlichen Fall eines Grammy-Gewinns werde man den Preis unten ohne entgegennehmen.

3) Katy Perry - Seid beharrlich

"Persist" steht in glitzernden Lettern auf der Armbinde von Katy Perry. Was ins Deutsche übersetzt so viel heißt wie: beharrlich bleiben, nicht lockerlassen. An wen sich diese Botschaft richtet, wird im Verlauf der Performance von "Chained to the Rhythm" klar. Da löst sich die Bühnenkulisse, ein mannshoher Zaun, Stück für Stück auf. Aus den weißen Zaunlatten werden Protestschilder - sie formen einen zweiten, mindestens so wichtigen Appell: "We the people". Dass die Grammys 2017 politisch sein würden, war zu erwarten. Nach Katy Perry bringt die Hip-Hop-Band A Tribe Called Quest Frauen mit Kopftüchern auf die Bühne - aus "persist" wird "resist". Doch wie schon bei den Golden Globe Awards Anfang Januar, als Schauspielerin Meryl Streep eine leidenschaftliche Anti-Trump-Rede hielt, ohne den Namen des US-Präsidenten ein einziges Mal zu erwähnen, wollen die Musiker dem neuen Mann im Weißen Haus nicht mehr Aufmerksamkeit schenken, als er ohnehin bekommt. Ihre Botschaft richtet sich vor allem an die Millionen Menschen, die in diesen Tagen auf die Straße gehen, die sich engagieren, die zeigen, dass die Demokratie lebt. Persist! Resist!

4) Lady Gaga und Metallica - Shit is not supposed to happen

Am Ende ihres gemeinsamen Auftritts mit Metallica steht Lady Gaga etwas verloren da. Sie trägt Leder-Shorts mit jeder Menge Ketten und ein Fanshirt. Im Hintergrund schleudert James Hetfield seine E-Gitarre auf den Bühnenboden. Was war passiert? Gaga und Hetfield hatten sich alle Mühe gegeben, eine echte Metal-Performance abzuliefern, mit Flammenwerfern und gesanglichem Furor. Doch so inbrünstig Hetfield ins Mikro röhrte - es war kein Ton zu hören. Kann passieren. Findet der gemeine Metal-Sänger aber maximal uncool.

5) Adele - Hello, willst du meine Mutter sein?

Adele zeigt, wie man mit einer Panne souverän umgeht. Sie singt zu Ehren des verstorbenen George Michael ihre eigene Interpretation von dessen Hit "Fastlove" - als sie mitten im Lied abbricht. Die britische Sängerin ist offenbar nicht mit ihrer eigenen Leistung zufrieden. "Sorry, I can't mess this up for him", sagt sie - und setzt neu an. Nicht ohne vorher Frust abzulassen: Ihr leidenschaftliches "Fuck" ist zwar nicht zu hören, aber unmöglich zu übersehen. So etwas macht sympathisch. Nach ihrem Auftritt gibt es Standing Ovations.

Adele hat zugegebenermaßen Übung: Bei den Grammys im vergangenen Jahr hatte es bei ihrem Auftritt ein Ton-Malheur gegeben. In diesem Jahr läuft es für die 28-Jährige. Neben den Sympathien gewinnt sie fünf Grammys (unter anderem "Song des Jahres" und "Album des Jahres") - und entschuldigt sich bei Beyoncé. Sie habe das Gefühl gehabt, sich nach ihrer Schwangerschaft ein Stück weit selbst zu verlieren, und das Muttersein sei immer noch hart. Beyoncé sei eine Inspiration: "I want you to be my mommy, okay?"

Eine vollständige Liste der Grammy-Gewinner finden Sie hier.

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