Grammy Awards:Gebet für Whitney, Krönung für Adele

Frauen mit großen Stimmen stehen im Mittelpunkt der 54. Grammy-Gala: Die Musikbranche trauert um Whitney Houston, erinnert an Etta James - und feiert Adele, die sechs Trophäen abräumt. Die Engländerin ist überwältigt von ihrem Triumph: "Oh mein Gott, das ist lächerlich", bricht es aus Adele heraus.

Matthias Kolb, Washington

Der wichtigste Abend des Jahres für die amerikanische Musikindustrie beginnt mit der Trauer um eine der größten Sängerinnen der vergangenen Jahrzehnte. Nach Bruce Springsteens Eröffnung wendet sich Moderator LL Cool J ans Publikum. Es gebe "einen Tod in unserer Familie" und nur eine Möglichkeit, diesen Abend der Trauer für "unsere gefallene Schwester" zu beginnen: mit einem Gebet. Dann spricht der Hip-Hop-Sänger wenige, aber sehr passende Worte: "Gott, wir danken dir, dass du unsere Schwester Whitney Houston mit uns geteilt hast. Unsere Gedanken sind bei ihrer Familie, bei ihrer Mutter und ihrer Tochter. Wir werden ihre Lieder für immer schätzen."

Rusty Anderson, Bruce Springsteen, Joe Walsh, Paul McCartney, Dave Grohl

Stargetümmel auf der Bühne (v. l.): Rusty Anderson, Bruce Springsteen, Joe Walsh, Paul McCartney und Dave Grohl von den Foo Fighters.

(Foto: AP)

Danach begrüßt er die Gäste im Staples Center von Los Angeles und vor den Fernsehern zur 54. Grammy-Gala. "Wir wollen feiern und uns erinnern - und viele besondere Augenblicke erleben, wie sie nur die Grammys möglich machen", meint der Moderator. Auf den riesigen Bildschirmen erscheint ein solcher grammy moment, eine Aufnahme aus den frühen neunziger Jahren: In einem weißen, engen Kleid singt Whitney Houston "I will always love you". Sie ist strahlend schön, stimmgewaltig, voller Energie und all die Schmerzen, die ihre letzten Jahre prägen sollten, scheinen weit weg.

Nach einem schwungvollen Auftritt von Bruno Mars, der trotz dreier Nominierungen am Ende leer ausging, folgt der nächste Tribut für eine große Stimme. Die Soul-Sängerin Alicia Keys steht mit Bonnie Raitt auf der Bühne. "Wir lieben Whitney und ihre Musik, doch wir möchten auch an Etta James erinnern", sagt Keys. Zu Ehren der Blues- und Soul-Sängerin, die vor zwei Wochen im Alter von 73 Jahren verstarb, covern die beiden den Song "Sunday Kind of Love". Wie bei Whitney Houston hatte auch James' unstetes Privatleben, das durch gescheiterte Beziehungen und Drogenmissbrauch geprägt war, nie die Liebe ihrer Fans und die Verehrung der Kollegen beeinträchtigt.

Die erste Auszeichnung des Abends, nämlich jene für die "beste Solo-Leistung", gewinnt Adele für "Someone like you". Die 23-jährige Britin, die stets Etta James als Vorbild nennt, freut sich sichtlich über die Ehrung - und ahnt zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht, wie oft sie sich an diesem Abend noch bedanken wird.

Für mehr als eine Stunde folgt die Gala den üblichen Regeln: Auf zwei Auftritte und eine Auszeichnung folgt ein Werbeblock, bevor die Zuschauer zwei Lieder hören und eine Ehrung beklatschen dürfen. Jay-Z und Kanye West werden in Abwesenheit als die besten Rapper ausgezeichnet, während die Foo Fighters beim ersten ihrer drei Auftritte zeigen, dass sie zu Recht zur "besten Rockband" gekürt werden. Insgesamt gewann die Band des früheren Nirvana-Schlagzeugers Dave Grohl fünf Auszeichnungen.

Als Stevie Wonder die Mundharmonika hervorzog

Typisch für die Grammys sind jene Auftritte, bei denen Musiker aus verschiedenen Genres oder Generationen gemeinsam musizieren. Dabei hinterlässt die Performance von Rihanna, in knappen schwarzen Hotpants und mit blondierten Haaren, mit der britischen Softrockband Coldplay trotz ihrer Aufforderung "Make some noise for Whitney" deutlich weniger Eindruck als der Auftritt von vier alten Herren.

Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung stehen die Beach Boys wieder gemeinsam auf der Bühne und spielen nach der Interpretation von "Surfer Girl" durch Maroon 5 und "Wouldn't it be nice" von Foster the People ihren Klassiker "Good Vibrations". Brian Wilson beeindruckt noch immer und wie die Live-Blogger der New York Times weiß das Publikum, dass es gerade einen grammy moment erlebt hat.

Es ist Stevie Wonder, der dann wieder an Whitney Houston erinnert, die selbst sechs Grammys in ihrer Karriere gewonnen und 170 Millionen Platten verkauft hat. "Ich möchte Whitney im Himmel sagen: Wir lieben dich", meint der blinde Sänger, bevor er eine Mundharmonika aus der Tasche zieht und die Melodie des Beatles-Songs "Love Me Do" anstimmt. Dies ist die Einleitung für Sir Paul McCartney, der 2012 mit dem Grammy für sein Lebenswerk geehrt wird und deswegen seinen aktuellen Song "My Valentine" anstimmt.

Am Ende ruft Adele nach ihrer Mutter

Von den 78 Auszeichnungen werden lediglich acht bei der Gala überreicht - Adele erhält das goldene Grammophon für den besten Song des Jahres ("Rolling in the deep"). Nach einem ziemlich heißen Auftritt von Katy Perry und der nur für Amerikaner interessanten Ehrung für das beste Country-Album (Lady Antebellum "Own the Night") steht Adele erneut im Zentrum des Interesses. Lange musste sie sich von ihrer Stimmband-Operation erholen und ihr Auftritt war mit großer Spannung erwartet worden - bevor die Nachricht vom Tod Whitney Houstons die Musik-Welt erschütterte.

Doch die Trauer ist mindestens für die dreieinhalb Minuten vergessen, in denen Adele "Rolling in the deep" singt. Im schwarzen Kleid steht sie auf der Bühne, lässt ihre eindrucksvolle Stimme wirken und zeigt, weshalb "21" das erfolgreichste Album des vergangenen Jahres in Deutschland war und seit Wochen auf Platz eins in den US-Charts steht.

Die nachdenklichste Dankesrede folgt auf die Vergabe des Preises für den besten Newcomer: Justin Vernon, Gründer der Folk-Band Bon Iver, fühlt sich nach eigenen Worten etwas unwohl im Rampenlicht. Er mache Musik wegen der Freude am Musikmachen und nicht wegen der Auszeichnungen. Niemand solle vergessen, dass es so viele musikalischen Talente gebe, die niemals nominiert würden, sagte der 30-Jährige, der sich in Interviews immer wieder kritisch über die Grammys und die Musikindustrie geäußert hatte.

Diese Musikindustrie, die sich an Abenden wie diesen gern als große Familie präsentiert, gedenkt bei der Verleihung des Grammy stets jener Künstler, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Neben Amy Winehouse, Gary Moore, Phoebe Snow und Nate Dogg wurde auch Apple-Gründer Steve Jobs gewürdigt. Zuletzt wird ein Bild von Whitney Houston gezeigt. Sekunden später ist die Stimme von Jennifer Hudson zu hören, die auf eindrucksvolle Weise das Lied singt, das wohl die meisten mit der 48-Jährigen verbinden, obwohl sie es weder geschrieben noch als Erste aufgenommen hat: "I will always love you".

Moderator LL Cool J, der neben seiner Kappe eine riesige Fliege zum schwarzen Anzug trägt, erinnert mit dem Schlagzeuger und Produzenten Questlove an Don Cornelius, den Schöpfer der legendären Soul Train-Sendung, bevor DJ und Produzent David Guetta mit Chris Brown, Lil Wayne, Deadmau5 und den dauer-präsenten Foo Fighters im Dance-Zelt Elektromusik auflegt. Die letzten beiden Auszeichnungen - Lied des Jahres und Album des Jahres - gehen wieder an Adele, die ihr Glück kaum fassen kann.

Der letzte Auftritt gebührte Sir Paul

Die fünfte Ehrung kommentiert sie mit den Worten "Oh mein Gott, das ist lächerlich", während sie kurz vor Ende der Show und dem Preis für "21" weinend vor dem Mikrofon steht. "Mom , I love you", schluchzt sie, und erklärt mit englischem Akzent, das dieses von Paul Epworth produzierte Album durch etwas inspiriert wurde, was jeder kenne: eine gescheiterte Beziehung. Dann dankt sie ihrer Plattenfirma, ihren Musikern und schließlich schlicht "everyone".

Der letzte Auftritt gebührt einer lebenden Legende: Sir Paul McCartney, der in diesem Jahr 70 wird, spielt am Klavier Teile der Schlusstrilogie des Albums "Abbey Road" ("Golden Slumbers", "Carry That Weight" sowie "The End"). Er trägt ein blaues Hemd mit schwarzen Hosenträger und hat sein elfenbeinfarbenes Jackett abgelegt, das er bei seinem ersten Auftritt noch getragen hatte. Eine Session mit anderen Guitar Heroes wie Dave Grohl, Joe Walsh und Bruce Springsteen beendet diese 54. Grammy-Gala, die wohl vor allem aus einem Grund in Erinnerung bleiben wird - als der Tag, nach dem Whitney Houston tot in der Badewanne des Beverly Hilton gefunden wurde.

Linktipp: Eine Übersicht aller Gewinner sowie viele Video-Clips ist auf www.grammy.com zu sehen.

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