Süddeutsche Zeitung

Grammy 2010:Tanz der Vampire

Die Grammys sind mal wieder vergeben: Die mutmaßlich wichtigsten Preise der Popmusik gehen auch diesmal an die mutmaßlich wichtigsten Künstler. Es sind überraschungslos alte Bekannte.

Bernd Graff

Von Paul Simon, dem ewig unterschätzten Aufzug-Bespieler (um nicht Lift-Boy zu sagen) stammt die wunderschöne Zeile: "Every generation throws a hero up the pop charts" in dem Lied "Boy in the Bubble" (übrigens wieder hervorgeholt und phantastisch interpretiert von der klugen Patti Smith auf ihrem Album "Twelve".)

Wenn das also stimmt, was Paul altklug und Patti wenn nicht zynisch, so doch unfassbar ironisch über die Helden der Popmusik aussagen, nämlich, dass sie von ihren jeweiligen Generationen, und gemeint sind Konsumenten-Generationen, die Popcharts hinaufgeschmissen werden, dann muss man sich um die gegenwärtige Generation ernsthaft Sorgen machen.

Nehmen wir also einmal an, die Grammys hätten irgendeine Signifikanz, sie wären mehr als eine Selbstfeier der Popindustrie, die froh ist, wenn schon nicht lebendig, so doch wenigstens untot zu sein, dann wären diese Musikpreise tatsächlich Ausdruck der augenblicklichen Verfasstheit der Popkultur. O weh!

Entweder haben die angeblichen Stars in ihren jeweiligen Karrieren schon Preise zuhauf bekommen oder sie bekommen jetzt Preise zuhauf dafür, dass sie genauso auftreten und produzieren wie diejenigen, die schon Preise zuhauf bekommen haben.

Denn die, die sich da feiern, feiern lassen oder sonst wie an der Feier beteiligt sind, sind samt und sonders alte Bekannte oder neue Bekannte mit alten und bekannten Weisen. Dass nichts Neues unter der Sonne sei, wussten schon die alten Griechen. Doch im Pop und im Ausdruck seiner Kultur ist Wiederholung der Tod, der Abgrund, der laute Abgesang.

Im Video: Pop-Diva Beyoncé erhielt bei den Grammy-Awards gleich sechs der begehrten Trophäen. Die Country-Sängerin Taylor Swift und Lady Gaga wurden ebenfalls ausgezeichnet.

Weitere Videos finden Sie hier

Schauen wir doch einmal hin! Die sogenannten Weiblichen Jung-Stars triumphieren bei der Grammy-Verleihung 2010: Beyoncé, Taylor Swift und Lady Gaga sammeln Musik-Trophäen wie andere Leute Bierdeckel.

Festival der Sirenen und Bojen

Die R&B-Sängerin Beyoncé gewann in Los Angeles gleich sechs Grammys und wurde damit zur überragenden Siegerin der Preisgala. Das Country-Pop-Nesthäkchen Taylor Swift erhielt vier Preise, unter anderem den für das beste Album. Und Newcomerin Lady Gaga wurde zwei Mal geehrt.

Die 28-jährige Beyoncé brach einen Rekord: Nie zuvor hatte eine weibliche Solokünstlerin so viele Grammys an einem Abend gewonnen. Ihre Tempo-Tanznummer "Single Ladies (Put a Ring on It)" erhielt die begehrte Auszeichnung als bester Song des Jahres 2009. Das Lied gewann außerdem die Trophäe für den besten R&B-Song.

Das freut natürlich persönlich Beyoncé und von hier aus die herzlichsten Glückwünsche: Mögen Schränke genug daheim sein, all die hässlichen Grammy-Trophäen staubsicher unterzubringen!

Doch sind sechs Grammys nicht doch ein wenig viel! Gibt es denn nichts Neues?

Auch wenn die Siegerin des Abends ziemlich aufgeregt wirkte und: "Tut mir leid, ich bin nervös" in die Mikrofone stammelte, wird man bei aller Sympathie dennoch festhalten müssen, dass Beyoncé nicht die einzige Fachkraft für R&B ist, die man mit Preisen bedenken kann. Für ihre Single "Halo" aus dem Erfolgsalbum "I Am... Sasha Fierce" nahm Beyoncé den Grammy zum "Besten Pop-Song einer Sängerin" entgegen. Und das heißt doch wohl, dass außer Halo nichts auszuzeichnen war.

Familientreffen des Pop

Taylor Swift übrigens war mit acht Preisvorschlägen eingestiegen und erhielt die Trophäe in der Königskategorie für das beste Album mit "Fearless". Die 20-Jährige, die mit ihrer Mutter gekommen war, setzte sich damit auch gegen Lady Gaga, die Black Eyed Peas und die Dave Matthews Band durch.

Mit anderen Worten: Die Damen und Herren, die im Pop gerade den Ton angeben, haben mit der Grammy-Nacht so etwas wie ein Familientreffen veranstaltet. Keine Überraschungen, keine Seiteneinsteiger, keine Querdenker: Dasselbe Mainstream-Personal, das man zuletzt bei Michael Jacksons Beerdigung gesehen oder zumindest mit Fug dort erwartet hat.

Übrigens: Diejenigen, die nicht so doll abgeräumt haben in diesem Jahr, waren diejenigen, die Preise verliehen haben oder aufgetreten sind. Oder diejenigen, die nach ein paar Jahren wieder einmal turnusmäßig dran waren wie AC/DC.

Das aber bedeutet alles, dass sich die Popmusik gerade inzestuös in ewigen Zirkeln von ihren alten Recken, den Adepten der Recken und ihren alten Ausdrucksformen nährt. So ist Pop, der immer etwas Selbstverbrennendes von einem Phönix haben mus, um neu entstehen zu können, in der schläfrigen Phase der Selbstzufriedenheit angekommen. Man hätten Beyoncé vielleicht auch gleich alle Preise in allen Kategorien geben können. Oder Paul Simon.

Insofern kann man neu an diesem Abend nur zweierlei nennen: Outfits, Make-up und die Präsentation des Vortrags.

Denn wie jedes Jahr bot die Grammy-Verleihung, die live im Fernsehen übertragen wurde, wieder eine Bühne für Show-Auftritte, die gewissermaßen Setcards sind für die Nominierungen in den kommenden Jahren. Und sie gefallen: Stehende Ovationen erhielt etwa die Röhre Pink für einen zirkusreifen Auftritt. Sie hing, wie einst Robbie Williams, kopfüber an einem Trapez über der Gemeinde und tropfte. Lady Gaga sang rußverschmiert vor lodernden Flammen ein Duett mit dem britischen Pop-Altmeister Elton John. Beyoncé wirbelte bei ihrer Darbietung in einem schulterfreien Kleid umher, dessen panzerartige Struktur an eine Ritterrüstung erinnerte.

Skandale und Verfehlungen blieben aus

Am natürlichsten inmitten der streng durchinszenierten Show wirkte der Auftritt der Rockband Kings of Leon, welche die Auszeichnung für die beste Single des Jahres ("Use Somebody") erkennbar unvorbereitet traf: "Wir sind ehrlich gesagt schon ein bisschen betrunken, aber glücklich betrunken", sagte Sänger Caleb Followill.

Zu weiteren Gewinnern des Abends zählte die sechsfach nominierte Gruppe Black Eyed Peas. Sie gewann drei Auszeichnungen, unter anderem für das beste gesungene Pop-Album ("The E.N.D."). Der Preis für das beste Rock-Album des Jahres ging an die seit Jahren erfolgreiche Gruppe Green Day für "21st Century Breakdown". Als bester Newcomer des Jahres wurde die Country-Formation Zac Brown Band aus dem Bundesstaat Georgia geehrt.

Wale in 3-D und War Machines

Den Preis für die beste Pop-Darbietung eines Mannes ging an Jason Mraz für das Lied "Make It Mine", die Trophäe für Sängerinnen in dieser Kategorie erhielt Beyoncé für "Halo". Rock-Altmeister Bruce Springsteen gewann einen Grammy in der Kategorie beste Rock-Performance für seinen Song "Working On A Dream". Den Preis für den besten Song in der Sparte Hardrock heimsten die Altrocker von AC/DC für ihren Titel "War Machine" ein.

Der emotionalste Moment der Preisgala kam bei der posthumen Würdigung des King of Pop Michael Jackson. Er wurde mit einer bewegenden 3-D-Version seines "Earth Song" geehrt. Jackson hatte den Song kurz vor seinem Tod im Juni für seine geplante Comeback-Tour "This Is It" produziert. Usher, Carrie Underwood, Celine Dion, Jennifer Hudson und Smokey Robinson sangen ihn vor Aufnahmen vom Regenwald, Mammutbäumen und Walen, die das Publikum im Staples Center von Los Angeles und Fernsehzuschauer in aller Welt mit Spezialbrillen dreidimensional sehen konnten. Michaels Tochter Paris und sein Sohn Prince Michael nahmen den Preis für das Lebenswerk des Vaters entgegen. "Alle seine Lieder hatten eine einfache Botschaft: Liebe", sagte Prince Michael. "Wir werden diese Botschaft weiter verbreiten."

Auch die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Haiti wurden nicht vergessen: R&B- Sängerin Mary J. Blige und der italienische Tenor Andrea Bocelli sangen gemeinsam eine bewegende Interpretation des Klassikers "Bridge Over Troubled Water" von Simon & Garfunkel. Fans können sich die Version bei iTunes herunterladen. Der Erlös komme dem amerikanischen Roten Kreuz zu Gute, versprach der Musiker Wyclef Jean auf der Bühne. Der gebürtige Haitianer setzt sich seit Wochen für Hilfslieferungen in sein Heimatland ein. Das Folk-Rock-Duo Paul Simon und Art Garfunkel hatte für die Single und das gleichnamige Album, das vor 30 Jahren erschien, insgesamt sechs Grammys gewonnen.

Die Grammys in Form eines goldenen Grammophons sind die wichtigsten amerikanischen Musikpreise. Sie werden von der Organisation der Musikindustrie in 109 Kategorien verliehen. Der deutsche Privatsender Pro Sieben übertrug die Verleihungsfeier in der Nacht live aus Los Angeles.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.61397
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.