Graham Chapman - "Autobiografie eines Lügners":Gin Tonic zum Frühstück

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Er war König Artus in den "Rittern der Kokosnuss" und Brian im "Leben des Brian": Die Autobiographie des Komikers Graham Chapman, Gründungsmitglied von "Monty Python", erscheint erstmals auf Deutsch. Eminent britisch.

Burkhard Müller

Diesen Autor kennt jeder - wenn nicht unter seinem bürgerlichen Namen, dann als König Artus in den "Rittern der Kokosnuss" und als den Brian im "Leben des Brian". Graham Chapman, Gründungsmitglied von Monty Python, zeichnet verantwortlich für zahlreiche Glanzstücke der Gruppe, etwa den berühmten Papageiensketch, worin ein Zoohändler sich hartnäckig weigert, dem Kunden Schadensersatz für den leblosen Vogel zu leisten.

Eminent britisch: Graham Chapman, 1980. (Foto: Getty Images)

Chapman war nur 48 Jahre alt, als er Ende 1989 an Krebs starb. Aber schon 1980 hatte er, als ob er wüsste, dass ihm nicht viel Zeit bleibt, seine Memoiren verfasst. Dass diese "Autobiografie eines Lügners" mit mehr als dreißig Jahren Verzögerung nun auch auf Deutsch erscheint, darf man wohl als das Verdienst Harry Rowohlts buchen, der es gewagt hat, dieses eminent britische Buch ins Deutsche herüberzuholen.

Rowohlt rechnet mit einem Publikum, dem Monty Python im speziellen und angelsächsische Verhältnisse im allgemeinen vertraut sind. Beispielsweise müsste eine Wortbildung wie "Schrankschwuchtelschwuchtelschränke" unverständlich bleiben, wenn der Leser nicht spüren würde, dass sich im Schrank ein englisches "closet" verbirgt und mithin solche Männer gemeint sind, die sich einstweilen noch nicht offen zu ihrer Homosexualität bekennen wollen. Harry Rowohlt kommentiert so wenig wie möglich, weiß er doch, dass die Erklärung den Witz tötet.

Aber beim "Startler of Boston" tut er es notgedrungen dann doch und merkt an, dass sich in diesem "Aufhorchenmacher von Boston" eine Anspielung auf den "Boston Strangler" verbirgt, einen Serienmörder. Die Pointe ist hin, so oder so. Manchmal braucht man mehrere Seiten, um die intendierte Komik zu begreifen. Ein winterlicher Ausflug ins walisische Bergland wird in der Sprache der heroischen Antarktis- und Himalaya-Expeditionen beschrieben; und nur allmählich besinnt sich der Leser, dass der Mount Snowdon kaum über tausend Meter hoch ist, mithin die Unverhältnismäßigkeit des literarischen Aufwands Erheiterung hätte bewirken sollen.

Dass sie sich dann doch nicht so recht einstellen will, hat allerdings nur noch am Rand mit der Übertragung aus dem fremden Sprach- und Kulturkreis zu tun, in erster Linie aber mit dem zentralen Formproblem des Buchs. Chapman ist seinem Naturell nach Dramatiker, und zwar ein ausgezeichneter, als Schreiber und Darsteller gleichermaßen. Eine Autobiografie trägt jedoch notwendig undramatischen, da erzählerischen Charakter.

John Cleese in Bildern
:Minister der Lächerlichkeit

Er ist zwar noch ausgesprochen fidel, lässt seine Fans aber im Internet abstimmen, wie er an seinem 70. Geburtstag sterben soll: Bilder der einzigartig schwarzhumorigen Karriere von Monty Pythons John Cleese.

Ina Konopka

Vieles von dem, was hier vorkommt, würde sehr gut als Szene funktionieren. Da gibt es zwei Polizisten, die einen Passanten stellen, der sich unterstanden hat, eine Pfingstrosenblüte in einem Garten abzupflücken. "Das, Bürschchen, ist Diebstahl, und das ist ein schweres Verbrechen und kann mit bis zu dreißig Jahren bestraft werden . . ." Man kann sich ohne weiteres vorstellen, was Monty Python im Sketch daraus gemacht hätte: auf dem Papier fängt sich davon unbefriedigend wenig.

Der Text fährt fort damit, wie ringsherum tatsächlich massenhaft schwere Verbrechen geschehen, welche von der Blumenpolizei gar nicht zur Kenntnis genommen werden. "Mehrere krasse Vergewaltigungen finden statt, und Männer mit schwarzweißen Ringelpullis und Masken rennen in Häuser hinein und mit großen Säcken, auf denen das Wort 'Beute' steht, wieder heraus." Dass die Räuber ihre Beutesäcke unwahrscheinlicherweise als solche beschriften, kann seine groteske Wirkung nur entfalten, wenn man es sieht - nicht jedoch, wenn man es erzählt bekommt.

Von der Fiktion, dass diese Autobiografie eine erlogene wäre, lässt das Buch relativ rasch ab. "Seine Eltern, Tim und Beryl (bzw. Walter, Edith und Mark), waren bei seiner Geburt entrüstet, weil sie einen schwarzen heterosexuellen Juden erwartet hatten" - das trägt noch nicht einmal für die volle Dauer des Klappentexts. So wird es halt schließlich eine Autobiografie wie andere auch. Dieses Leben war bestimmt alles andere als uninteressant: der brave Sohn aus kleinbürgerlichem nordenglischem Haushalt, der Medizin studiert, dann aber im Swinging London der Sechziger seine Neigung zur Comedy und zur Homosexualität entdeckt, die er beide exzessiv auslebt . . . Aber Chapman fühlt sich zur schrillen Zurichtung verpflichtet, als wäre sein Leben eine einzige Reihe auf Schnelligkeit getakteter Sketche.

Das Ganze nimmt den Ton eines überdrehten Erlebnisaufsatzes an: "Also brausten David und ich zum Flughafen davon - ich hatte nicht viel Zeit gehabt, meine frühmorgendlichen Getränke herunterzustürzen, und kotzte praktisch die nette Dame am Eincheck-Tresen voll, aber wir waren bald durch, und ich trank froh die großen Gin Tonics zum Frühstück. Im Flugzeug nahm ich ein ähnliches Mittagessen ein, schaute auf dem Weg vom Londoner Flughafen auf ein paar weitere Drinks bei 'London Weekend TV' vorbei und spendete dem weiblichen Catering-Personal ein großes Plakat mit einem nackten Nazi drauf, welches die Damen am meisten wegen seiner Detailfreudigkeit beeindruckte . . ." - na, und so weiter eben.

Dieser Ton bringt es mit sich, dass die emotional bedeutsamen Erlebnisse, die zu jedermanns Biografie gehören, nicht adäquat gestaltet werden können und, sofern sie sich doch ihren Weg bahnen, nur als verdruckste Sentimentalität herüberkommen. Die Passage macht noch etwas anderes klar: dass die Existenz eines Alkoholkranken, die immer etwas Trauriges an sich hat, dann, wenn sie sich unter dem Vorzeichen des Lustigen präsentiert, vollends todtraurig wird.

Mit abgedruckt ist die Grabrede, die Chapmans Kollege und Freund John Cleese ihm hielt. Er befindet, Chapman habe Besseres verdient als "geist- und besinnungslosen guten Geschmack", er, der doch der "Fürst des schlechten Geschmacks" gewesen sei. So gibt Cleese vor, Chapmans Geist sei ihm erschienen und habe ihn aufgefordert, in seine Rede, was es an einem Grab noch nie gegeben habe, unbedingt die Vokabel "fuck" einzuflechten, so wie Chapman selbst der Erste gewesen sei, der im britischen Fernsehen das Wörtchen "shit" zu Gehör gebracht habe.

John Cleese berichtet es nur, er zitiert; und wenn da wirklich "fuck" steht, so hat er es gewissermaßen gar nicht gesagt. Das ist ein Gag; aber eine Art von Zaudern bedeutet es doch auch, die dichteste Annäherung an so etwas wie Pietät, die sich ein alter Monty-Python-Kämpe getrauen durfte. Auf die Gefahr hin, den Redner zu beschämen, sei es dennoch ausgesprochen: Es ehrt ihn.

Graham Chapman: Autobiografie eines Lügners. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2012. 334 Seiten, 21,95 Euro.

© SZ vom 07.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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