Graffiti in Moskau:Heldenkult statt Diskurs

Kriegshelden, denen ohnehin schon Denkmäler gesetzt sind, bekommen in Moskau nun auch noch großflächige Wandbilder. Protestkunst findet hingegen kaum statt.

Von Paul Katzenberger

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Wandbilder

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Die meterhohe Darstellung des Fürsten Dmitrij Poscharski (links mit Helm) und des Kaufmanns Kusma Minin im Zentrum Moskaus ist ein typisches Beispiel für die Street Art der Stadt - sowohl von der Themensetzung als auch von der Realisierung her. Als Befreier des polnisch-litauisch besetzten Moskaus im Jahre 1612 sind beide bis heute Volkshelden, denen auch ein Denkmal auf dem Roten Platz aus dem frühen 19. Jahrhundert gewidmet ist. In Auftrag gegeben hatte das 20 Meter hohe Wandbild die Militärhistorische Gesellschaft Russlands bei dem Straßenkünstler Artur Kaschak aus der altrussischen Stadt Jaroslawl.

Imperial stormtroopers graffiti in Moscow

Quelle: picture alliance / dpa

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In Moskau ist Kaschak weithin bekannt, hat er doch im November 2015 (im Bild damals bei der Arbeit, Anm. d. Red.) die "Stormtroopers"-Armee zum russischen Kinostart des Blockbusters "Star Wars - Das Erwachen der Macht" im Stadtteil Krasnoselskij an eine Hauswand gesprüht. Auftraggeber des Graffitos, das inzwischen übermalt ist, war die Werbeagentur Nowatek des Geschätsmannes Iwan Panteleew, der mit Straßenkunst-Projekten inzwischen gutes Geld verdient.

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Eine ganze Serie von Wandbildern mit dem Titel "Unser großer Sieg" gedenkt sowjetischer Kriegshelden des Zweiten Weltkriegs. Unter ihnen ragt bis heute der damalige Generalstabschef Marschall Georgi Schukow heraus. Zum 50. Jahrestag des Kriegsendes wurde am 8. Mai 1995 am Manegenplatz gleich westlich der Kremlmauern eine überlebensgroße Statue enthüllt, die ihn stolz zu Ross zeigt.

Doch offensichtlich reichte diese Würdigung nicht aus: Zum 70. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion im "Großen Vaterländischen Krieg" entstand 2015 auf der Flaniermeile Arbat ein großflächiges Porträt des Marschalls in einer Größe von mehr als 250 Quadratmetern.

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Das Porträt eines ganz anderen großen Sohnes der Stadt findet sich nur wenige Meter entfernt in einer Seitenstraße des Arbats: Michail Bulgakow wurde allerdings nicht als "Held der Sowjetunion" gefeiert, als er 1940 seine Satire "Der Meister und Margarita" vorlegte. Vielmehr wurde der Roman verboten und durfte erst 1966 in einer gekürzten Ausgabe veröffentlicht werden. "Der Meister und Margarita" gilt heute als Meisterwerk der russischen Moderne.

Der Standort des Wandbilds im Boljschoj Afanaseweskij Pereulok ist nicht willkürlich gewählt. Vielmehr ist die Seitenstraße einer der Handlungsorte des Romans. Die Katze zwischen den beiden Balkons stellt den Kater "Behemoth" dar, der dem Teufel im Roman dabei hilft, in Moskau Verwirrung zu stiften.

Moskau Wandbilder

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Viele Wandbilder verstecken sich in Moskaus Hinterhöfen, Seitenstraßen und Sackgassen - oft allerdings in zentraler Lage. Die Kraniche des Murals "Osten", das 2014 im Rahmen des Festivals "Beste Stadt der Welt" entstand, fliegen in einem Hinterhof der Prachtstraße Twerskaja.

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Salvador Dalìs Gemälde "Frau am Fenster" von 1925 diente einem Street Art-Künstler als Vorlage für sein Wandbild an einer Transformatorenstation im Moskauer Stadtteil Twerskoj. Der unbekannte Künstler nahm sich allerdings das Recht heraus, das Original in die Gegenwart zu versetzen: Die Frau trägt Sport-Sneaker, bestimmt noch kein Accessoire zu Zeiten Dalìs.

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Der Australier Fintan Magee zeigt Menschen häufig als einsames und suchendes Wesen - und ein solches ist auch das Mädchen auf dem Mural "Messenger" in der Moskauer Innenstadt. Die Flaschenpost, die sie mit traurigem Gesichtsausdruck und wassertropfenden Händen dem Meer überlässt, scheint ihre letzte Hoffnung zu sein, der Einsamkeit zu entkommen.

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In der "Design Factory Flakon" tummeln sich gerne Hipster. Auf dem Gelände einer einstigen Glasfabrik in der Nähe des Sawjolower Bahnhofs werden Lofts an Werbe- und Veranstaltungsagenturen sowie Designstudios und Video-Produktionsfirmen vermietet. Die Wand des höchsten Fabrikgebäudes auf dem Gelände verschwindet hinter der flächigen Schwarz-Weiß-Grau-Darstellung verschachtelter Smartphones. Dass hier Kreative unterwegs sind, soll schließlich jeder merken - und sich davon wohl auch zum Einkauf in einem der zahlreichen Mode- und Designläden anstiften lassen.

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Dieses Wandbild der großen russischen Primaballerina Maja Plissezkaja ist in der Bolschaja Dmitrowka-Straße zu sehen, gleich um die Ecke von ihrem Wirkungsort, dem Bolschoi-Theater. Der kleine Platz, der sich in dem noblen Ausgeh- und Wohnviertel auftut, wurde zu einem stilvollen Gedenkort für die 2015 verstorbene Tänzerin umgestaltet. Neben dem in Regenbogenfarben-Bild der zwei brasilianischen Street Art-Künstler Eduardo Corba and Agenalda Brito steht eine Statue des Bildhauers Wiktor Mitroschin (rechts), die die Tänzerin in ihrer Paraderolle als Carmen zeigt.

Das Plissezkaja-Arrangement nutzt das Stadtbild als Gedenkort, was nur eine der Aufgaben des öffentlichen Raumes ist. Daneben treten andere Funktionen wie Verkehrs-, Ruhe, Werbe- und Grünflächen. Auch die Möglichkeit, voneinander abweichende Ansichten über die Stadt über die Lebenssituation zum Ausdruck zu bringen, sollte nach Auffassung der russischen Soziologinnen Natalia Samutina und Oksana Zaporoschets vom Moskauer Poletajew-Institut in urbanen Räumen bestehen.

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In Moskau sind die Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung durch Straßenkunst allerdings begrenzt. Dabei lag den ältesten Wandmalereien in der modernen Stadtentwicklung durchaus noch eine politische Triebkraft zugrunde: Die Fassade des ehemaligen Moskauer Verwaltungsgebäudes des sowjetischen Lebensmittelhersteller-Verbandes Mosselprom in der Nähe des Arbat (hier in der Vorderansicht) wurde 1924 von dem avantgardistischen Künstler Alexander Rodtschenko gestaltet.

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Mit seinem Wandbild folgte er einem Aufruf futuristischer Poeten und Maler, die Kunst nicht nur der Bourgeoisie zu überlassen, sondern sie in den öffentlichen Raum zu holen. Die ursprüngliche Fassade des Gebäudes (hier die Rückwand) wurde zum 850-jährigen Stadtjubiläum Moskaus im Jahre 1997 wiederhergestellt. Sie stellt Produkte des Verbandes dar. Darunter steht: "Wie bei Mosselprom".

Protestkultur

Quelle: Victorgrigas / CCBY-SA 3.0

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Die Funktion einer echten Protestkultur hatte die Street Art in Russland nur selten. Schon in den 1930er Jahren wurden die Futuristen mit ihrem Ansatz, eine neue Gesellschaft zu "designen", zugunsten des Sozialistischen Realismus mit seiner Verherrlichung der kollektiven Arbeit aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt.

Erst im Zuge von Michail Gorbatschows Glasnost und Perestroika kam es in den 1990er Jahren zu ersten freien Graffiti in der Sowjetunion, für die Künstler wie "Krys", "Max Navigator" und "Basket" standen.

Im Zuge der Proteste gegen Wladimir Putins dritte Amtszeit als Präsident im Jahre 2012 wurden politische Graffiti (im Bild die Losung "R-Evolution" im Jahr 2012) allerdings ein Teil des Widerstands.

Graffiti-Künstler

Quelle: Vladimir Kayuchenko / CC BY-SA 3.0

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Nach seinem Amtsantritt schränkte Putin das Recht auf freie Meinungsäußerung schnell durch etliche neue Gesetze ein, was den Druck auf Sprayer durch die Strafverfolgungsbehörden deutlich erhöhte. Politisch aktive Graffiti-Künstler wie Kostja Awgust und Kirill KTO (im Bild bei einer Arbeitspause im Jahr 2014) zogen sich weitgehend aus der Straßenkunst zurück.

© SZ.de/cag/dd
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