Graffiti in Gaza:Sprühen für die Freiheit

Graffiti Gaza Stadt

"Hamas mag ja eigentlich keine westliche Kultur, aber wir machen das so, dass keiner wütend wird": Die Gaza-Sprayer Naim, Noor und Musab (v. links).

(Foto: Peter Münch)

Sie lieben die Kultur Amerikas, Frankreichs und Japans. Sie fürchten die Intoleranz der Islamisten. Und sie kennen nichts außer ihrer Stadt. Unterwegs mit drei jungen Graffiti-Künstlern in Gaza.

Von Peter Münch, Gaza-Stadt

Der Hafen von Gaza-Stadt ist nichts für Romantiker. Rostige Kähne liegen hier vor Anker, frustrierte Fischer sitzen vor windschiefen Hütten, und die steinernen Baracken werden von Einschusslöchern aus irgendeinem der letzten Kriege geschmückt. Tristesse pur unter stahlblauem Himmel, doch mittendrin stehen an diesem warmen Dezembertag drei Jungs von Anfang 20 und strahlen mit einer bunt bemalten Hauswand um die Wette. "Sonst werden wir ja immer gleich weggejagt", sagt einer, "aber hier hat uns keiner gestört und wir haben das in aller Ruhe fertigmachen können."

"Free Gaza" steht in geschwungenen Lettern auf dieser Wand, es ist das Gemeinschaftswerk von Musab Abu Daff, Noor Saleh und Naim Samsum. Ihre Mission: Sie wollen Gaza schöner machen. Ihr Mittel: Spraydosen, mit denen sie Farbe in die Trümmerlandschaft bringen. "Die Hamas mag ja eigentlich keine westliche Kultur", sagt Musab, "aber wir machen das so, dass keiner wütend wird."

Manchmal hinterlassen sie sogar ihre Handynummer. Vielleicht ruft ja ein Mädchen an

Mit der Pop-Parole "Free Gaza" kann man tatsächlich nichts falsch machen, wenn man sie nicht gerade auf die israelische Seite der Grenzmauer sprüht. So viel Freiheit räumt dann selbst die sittenstrenge Hamas diesen drei Graffiti-Künstlern ein, die auf den Straßen des palästinensischen Küstenstreifens mit ihren Baggy-Jeans, den Sneakers und den bunten T-Shirts auch dann schon auffallen, wenn sie gerade einmal keine Spraydose in der Hand haben. Doch allzu sehr herausfordern sollte man die Islamisten und ihre Sicherheitskräfte wohl auch nicht. "Meistens machen wir unsere Graffiti nachts, und morgens kommen wir dann wieder zum Fotografieren", sagt Musab. "Wir sind wie die Diebe", sagt Noor und kichert. Sie kennen es, wenn sie hastig ihre Sachen zusammenpacken und abhauen müssen. Sie wissen, was es heißt, erwischt und stundenlang verhört zu werden.

Zum Glück, sagt Musab, komme er aus einer Hamas-Familie. Einer seiner Brüder ist bei den Kassam-Brigaden den "Märtyrer-Tod" gestorben, das verschafft Ansehen in gewissen Kreisen. Doch sie wissen auch, dass die Toleranz der Islamisten enge Grenzen hat - und haben trotzdem nie ans Aufhören gedacht. "Graffiti sind die Sprache, in der wir uns ausdrücken", sagt Naim, "es ist eine internationale Sprache."

Mehr als hundert Graffiti haben sie mittlerweile schon gesprüht, und wer mit ihnen durch den staubgrauen Gazastreifen fährt, bekommt stolz ihre Werke präsentiert - inklusive jenes bunten Schriftzugs, in den ein israelisches Geschoss im Sommer ein hässliches Loch gerissen hat, das nun mit ein paar Brettern vernagelt ist. Mal haben sie grellgrüne Fantasy-Gemälde gesprüht, mal einen Samurai in Schwarz-Weiß, und oft wird auch nur ein "Tag" hinterlassen, die stylishe Signatur. "Came one" steht dann zum Beispiel schwungvoll auf einer Wand, das ist der "Tag" von Naim. Den andern beiden ist bis jetzt noch kein passender Künstlername eingefallen, sagen sie, deshalb signieren sie schlicht mit "Noor" und "Musab". Manchmal setzen sie noch eine Handynummer dazu. "Falls das mal ein Mädchen sieht und anrufen will", meint Naim.

Wandmalereien mit Tradition

Auf den Mauern von Gaza sind ihre Werke leicht zu erkennen. Sie sind wild und bunt. Sie sind großflächig. Sie sind anders. Aber sie sind bestimmt nicht die einzigen Graffiti hier. Ganz im Gegenteil: Manchmal fällt es ihnen gar nicht leicht, noch eine freie Fläche zu finden. Denn die Wandmalerei hat eine ziemlich vielfältige Tradition im Gazastreifen.

So sind an nicht wenigen Wänden Herzen oder Kerzen zu sehen - was unmittelbar darauf schließen lässt, dass in diesem Haus ein junges Brautpaar lebt, dessen Verwandtschaft auf solche Art die besten Wünsche ausdrückt. Auch Rückkehrer von der Pilgerfahrt nach Mekka werden gern mit bunten Malereien zu Hause empfangen, und selbst Beileid wird per Wandbeschriftung ausgedrückt: "Die Gläubigen der Salahuddin-Moschee gratulieren der Familie Kischko zum Märtyrertod ihrer beiden Brüder", ist da zum Beispiel zu lesen. Musab schüttelt den Kopf ob solcher Botschaften. "Das ist keine Kunst, das ist ein Job", sagt er, "das würde ich nie machen."

Natürlich nutzen auch die diversen politischen Gruppierungen und Kampfeinheiten das Mauerwerk des Gazastreifens zur Verbreitung ihrer Propaganda. Gern genommen wird ein Abbild des Jerusalemer Felsendoms oder auch die palästinensische Flagge. Von Jassir Arafat und dem Hamas-Gründer Scheich Ahmed Jassin gibt es augenscheinlich oft genutzte Schablonen. Auf mancher Hauswand prangt auch stolz das Abbild einer Rakete jenes Typs, der es im Krieg des vergangenen Sommers bis nach Tel Aviv geschafft hat. Aufwendige Wandmalereien zeigen Kassam-Kämpfer oder auch den von Israel 2004 getöteten Hamas-Führer Abdel Azis Rantisi mit den beiden Insignien seiner Macht: einem Gewehr und einem Mikrofon.

Solche Kriegs-Kunst ist den drei Graffiti-Sprayern genauso fremd wie die Kommerz-Malereien. "Wir haben nichts gegen den Widerstand", sagt Naim - aber die Kunst solle doch besser nicht für Politik missbraucht werden, meint er. Weil es jedoch in Gaza nicht viel anderes gibt als Politik und dazu noch die strenge Religion, und weil das alles oft genug dasselbe ist und am Ende immer nur zum Krieg führt, flüchten sie sich lieber in die weite Welt des Internets. Hier finden sie die Vorbilder für ihre Graffiti, hier gibt es jenseits der tristen Realität genug Stoff zum Träumen.

Nur orthografisch lassen die Graffiti manchmal zu wünschen übrig

Aus Gaza sind sie noch nie herauskommen, aber ihre Wurzel suchen sie trotzdem im Westen - in der Musik von Eminem und Tupac, in Filmen wie "Superman" oder "Dark Knight". "Die amerikanische Politik mögen wir nicht", erklärt Naim, "aber wir mögen die amerikanische Kultur." Passend dazu hat er, - geografisch und politisch korrekt, aber nicht unbedingt orthografisch - auf einer Wand in weißen Lettern eine Botschaft hinterlassen: "This is not Americae, this ist Gaza".

Nichts aber täten sie lieber, als die Heimat hinter sich zu lassen. Noor träumt von Japan, weil er Manga-Comics liebt. Die beiden anderen sind fasziniert von Frankreich - "wegen der Magie der Kunst", wie Musab sagt. Doch solange der Gazastreifen ringsherum abgeschlossen ist wie ein Gefängnis, müssen sie sich auf brüchigen Mauern ihre eigene Welt aufmalen.

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