Süddeutsche Zeitung

Gottfried Benn:Aus den Trümmern kann man nicht heraus

Der Briefwechsel zwischen Gertrud Zenzes und Gottfried Benn offenbart das unruhige Leben einer Frau, die mehr war als das "Petitchen" ihres Geliebten.

Von Jörg Magenau

Von Gertrud Zenzes war bisher nicht viel mehr bekannt, als dass sie zwischen Dezember 1921 und September 1922 eine Geliebte von Gottfried Benn gewesen ist. "Mungo" nannte er sie da, "Petitchen" oder auch "Schnuckchen". Später, nachdem die beiden dann wieder vom Du zum Sie übergegangen waren, blieb sie die "liebe Freundin", vor allem aber das "liebste Trudchen". Zwanzig Schreiben Benns an Gertrud Zenzes waren in dem Band mit ausgewählten Briefen zu finden, der 1957, ein Jahr nach seinem Tod, erschien. Neben Thea Sternheim war Zenzes die Einzige aus dem Arsenal seiner Liebesbegegnungen, die ihm über Jahrzehnte hinweg freundschaftlich verbunden blieb. Sie ist aber nach Ursula Ziebarth, Astrid Claes, Tilly Wedekind, Elinor Büller und Thea Sternheim die Letzte, deren umfangreicher Briefwechsel mit Benn nun in einer eigenen Edition geschlossen vorliegt und damit eine weitere Lücke in der Benn-Forschung schließt.

Auch Benns dritte Ehefrau Ilse mischte sich immer stärker in die Korrespondenz ein, um der in den USA lebenden Freundin ihres Mannes für all die Care-Pakete zu danken, die für das Ehepaar Benn im zerstörten Berlin der Nachkriegsjahre überlebenswichtig waren. Benn selbst lag dann häufig mit Migräne und Depressionen im abgedunkelten Raum seiner Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten und begnügte sich mit ein paar Grüßen und freundschaftlichen Gedanken.

Nach dem Suizid einer Liebe fürchtet Benn, ein "kalter, armer Mensch" zu werden

"Diese Geschenke haben eine Gewalt, der ich innerlich nicht gewachsen bin", schrieb er einmal an die amerikanische Freundin und bat sie deshalb, ihre Sendungen einzustellen - eine Aufforderung, der sie zu seinem Glück nicht nachkam. Benn verkraftete all die Zigaretten, Nudeln, Suppen, Dosen, Socken, Hemden und Schlipse dann auch recht gut, zeigte sich jedoch fortgesetzt "erschüttert" von der Großzügigkeit seines "Trudchens", mehr noch aber davon, dass sie ihn über die NS-Zeit und den Krieg hinaus so freundschaftlich in Erinnerung behalten habe. Da die Pakete in der politisch unruhigen Zeit oft monatelang unterwegs waren, war ihr Eintreffen jedes Mal ein Fest, und die Korrespondenz besteht zu weiten Teilen aus Packzetteln, Empfangsbestätigungen und Dankesbekundungen.

Selbstverständlich war das alles keineswegs. Zenzes rechnete sich selbst nicht zu den großen Liebschaften in Benns Leben, sondern sah sich eher als Randfigur für ihn, der ihr aber als Dichter immer von zentraler Bedeutung gewesen sei. Neue Gedichte von ihm nahm sie in Ehrfurcht und mit Gänsehaut zur Kenntnis. Ein Bildnis von ihm stand in ihrem Bücherregal. Er war "der Mensch, der vielleicht am tiefsten und nachhaltigsten auf mich gewirkte hat", schreibt sie an den Verleger und Benn-Freund Max Niedermayer.

Neben Benns zweiter Frau Herta, die sich 1945 das Leben nahm, und Ilse habe dessen große Liebe aber vor allem der Schauspielerin Lily Breda gegolten, von deren schrecklichem Suizid Benn am 24. Februar 1929 Gertrud Zenzes "tief getroffen" berichtet: "Wenn ich dies Alles überwinde, wird irgendein neuer Mensch aus mir, ich fühle es, ich weiß noch nicht welcher Art. Aber wohl ein kalter, armer Mensch mit einer Vacuumschicht um sich herum, es war so viel, was ich in den letzten Jahren erlebte u. auch litt." Breda hatte sich aus ihrer Wohnung im fünften Stock gestürzt; zuvor noch Benn angerufen, um ihre Tat anzukündigen. Der fuhr sofort im Taxi zu ihr, traf aber erst dort ein, als die Feuerwehr den "zerbrochenen Körper" von der Straße barg.

Es ist einer der seltenen Momente, in denen der zurückhaltende, immer auf Stil und Unnahbarkeit bedachte Dichter aus sich herausgeht. Das gilt auch für den Brief vom 23. September 1933, in dem er der aus einer jüdischen Familie im schlesischen Hirschberg stammenden Freundin, die damals in San Francisco lebte und dort eine deutsche Buchhandlung aufbaute, seine Sympathie für Hitler und den Nationalsozialismus zu erklären suchte. Benn hielt die NS-Bewegung 1933 für eine entscheidende Wendung der abendländischen Geschichte, der man sich schicksalhaft zu stellen habe. Es gelte, "geschichtlich" und nicht bloß "privat" zu denken, um dem "Erlebnis Deutschland" und dem "Abbau des Individuums für das Volk, für die Rasse, für das ferne, mythische Kollektiv" gewachsen zu sein.

Bemerkenswert ist Zenzes gelassene, ausführliche Antwort auch auf Benns Darstellung des "Judenproblems" in Berlin, dem sie als geborene Jüdin entgegenhält, dass es vor allem den jüdischen Emigranten zu verdanken sei, dass die deutsche Sprache und Kultur in den USA lebendig bleibe. Zenzes hielt ihm auch über diesen Abgrund hinweg die Treue. 1936 kam es noch einmal zu einer persönlichen Begegnung in Hannover, als Benn schon nicht mehr publizieren durfte und ihm klar war, dass das im Hitler-Deutschland auch nicht mehr möglich sein würde.

Das große Verdienst der Edition besteht nicht nur in einer millimetergenauen, filigranen Kommentierung der Briefe, sondern darin, dass Stephan Kraft in einem umfangreichen Nachwort die Biographie von Gertrud Zenzes rekonstruiert - ein Leben, das geradezu romanhafte Züge besitzt. Dafür waren umfangreiche Archivrecherchen erforderlich, da Zenzes außer dem Briefwechsel mit Benn, den sie hütete wie einen Schatz, kaum etwas hinterlassen hat.

Zenzes Biografie hat romanhafte Züge, ihr Mann war ein Glücksritter und Weltkriegsheld

Zenzes, geborene Casel, war eine selbstbewusste, moderne Frau, die - und das war zu ihrer Zeit noch ungewöhnlich - nicht nur Abitur machte, sondern auch studierte: Germanistik, Philosophie, Jura, und die in Nationalökonomie promovierte. Eine Berufslaufbahn war für Frauen allerdings nicht vorgesehen. Zenzes musste sich anschließend mit Gelegenheitsjobs vor allem als Privatbibliothekarin durchschlagen, bis sie 1926 ihrem Mann Alexander Zenzes, einem Glücksritter und Weltkriegshelden, in die USA folgte, sich aber auch dort meist ohne ihn, auf den nicht zu zählen war, über Wasser hielt.

Ihr Leben war, wie auch den zum Teil sehr langen Briefen an die Benns zu entnehmen ist, unruhig und sorgenreich, und doch hatte sie Zeit und Energie, den Freund im Hungerwinter 1946/47 und während der Berlinblockade mit ihren Sendungen zu unterstützen. "Sehnen sie sich nach Deutschland zurück, aber kommen Sie nicht", schrieb Benn ihr im Januar 1947. "Es ist nicht schön hier und wird es auch nicht wieder werden." Und im März: "Der Winter ist vorbei, aber aus den Trümmern kann man nicht heraus." Zum Verständnis dieser Jahre, in denen Benn allmählich aus dem Vergessen in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte, sind die Briefe von diesseits und jenseits des Atlantiks von unschätzbarem Wert.

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