Süddeutsche Zeitung

Netzkolumne:Update für die Übermutter

Wie eine Künstliche Intelligenz namens "Mum" die Arbeit von Google verbessern soll.

Von Michael Moorstedt

Im Zuge der Pandemie ist viel von Mental Load die Rede. Ein großer Begriff für die vielen kleinen Dinge, die es im Alltag zu berücksichtigen gilt, also mal abgesehen von der reinen Existenzbewältigung. Neben der Erwerbsarbeit gilt es die Geburtstage der entfernten Verwandtschaft nicht zu vergessen, die sozialen Kontakte der Kinder zu managen und im besten Fall auch noch dafür zu sorgen, dass immer genügend Milch und Staubsaugerbeutel im Haushalt vorrätig sind.

Der überwältigende Anteil dieser undankbaren und größtenteils unsichtbaren Arbeit, so heißt es, werde von Frauen beziehungsweise Müttern übernommen. Der männliche Gegenpart warte im besten Fall auf Anweisung, die dann halbherzig ausgeführt werde. Eigeninitiative? Fehlanzeige.

Es ist insofern passend, dass ein neues KI-Modell, das Nutzern helfen soll, schneller an Informationen zu kommen, ausgerechnet den Namen "Mum" trägt. Die Abkürzung steht - schon etwas weniger prosaisch - für das vor Kurzem von Google vorgestellte Multitask Unified Model, das schon bald die Art und Weise revolutionieren soll, wie Menschen Suchmaschinen benutzen. Weil man es in der Welt der großen Technologiekonzerne nie lange ohne Superlative aushält, heißt es von Seiten Googles, die neue Technologie sei "tausend Mal leistungsfähiger" als das bisher angewandte Modell. Das heißt aber auch, so viel Namenskabbalistik sei erlaubt, nicht "Mum". Sondern "Bert".

Einfach ausgedrückt solle die KI ein "umfassenderes Verständnis von Informationen und Wissen" haben und dabei auch Sprachbarrieren überwinden können, relevante Fakten sollen nicht nur aus Text, sondern auch aus Videos oder Bildern gezogen werden.

Dauerbrenner bei den Suchanfragen: Bin ich gut im Bett? Werde ich mal reich?

Das ist insofern relevant, weil Suchmaschinen schon längst nicht mehr nur ein Werkzeug zur Faktenrecherche sind. Anstatt reine Zahlen, Namen oder Begebenheiten zu suchen, schreibt man heutzutage immer häufiger eine ausformulierte Frage in das Eingabefeld. Das sind, glaubt man dem von Google selbst veröffentlichen Jahresrückblick 2020, eine bunte Mischung aus obskuren und aktuellen Problemstellungen. Auf Platz eins etwa ein drängendes "Warum wurden Kelloggs Cornflakes erfunden?" Im weiteren Verlauf der Top Ten: Fragen nach Xavier Nadoo, Klopapier, Mentholzigaretten, George Floyd oder der großen Hefe-Knappheit.

Dauerbrenner sind Umfragen zufolge aber auch immer die ganz großen Kaliber des menschlichen Daseins: Bin ich gut im Bett? Werde ich irgendwann mal reich sein? Was ist der Sinn des Lebens? Oder, geradezu rührend: Werde ich von anderen gemocht?

Google, so scheint es, hat zu gleichen Teilen die Aufgaben eines Orakels, Psychotherapeuten und Priesters übernommen. Das Problem ist nur, dass die Nutzer der Technik deutlich zu viel zutrauen. Obwohl die Suchmaschine allmächtig zu sein scheint, ist ihre Fähigkeit, unsere tiefsten Bedürfnisse zu erfüllen, eindeutig begrenzt. Der Wunsch der Menschen, dass sie es könnte, verrät demnach auch viel mehr über uns selbst als über die Technologie. Insgeheim sind wir alle nur auf der Suche nach einer übergeordneten Instanz. Irgendjemand, der uns sagt, was, verdammt noch mal, wir tun sollen.

Mehr kognitive Last soll von der Maschine getragen werden

Durch "Mum", so der bei Google zuständige Entwickler Pandu Nayak, werde es leichter sein, die "unscharfen Informationsbedürfnisse" zu befriedigen, die die Menschen in ihrem täglichen Leben haben, die sie aber noch gar nicht in konkrete Fragen formuliert haben, die sie recherchieren können.

Als Beispiele nennt er Eltern, die sich fragen, wie sie eine Schule finden, die zu ihrem Kind passt, oder Menschen, die zum ersten Mal das Bedürfnis haben, ein neues Fitnessprogramm zu beginnen. Mit den heutigen Suchmaschinen müsse man "das in eine Reihe von Fragen umwandeln, die man Google stellt, um die gewünschten Informationen zu erhalten", so Nayak. In Zukunft, so schlägt er vor, werde diese kognitive Last, oder modern ausgedrückt Mental Load, von der Maschine getragen werden. Das lasse dann "viel komplexere und vielleicht realistischere Nutzerbedürfnisse" zu.

Endlich hätte man also Zeit für die wirklich wichtigen Dinge. Nicht beantwortet hat Nayak allerdings die Frage, was die Menschen denn nun tun sollen, wenn Google für sie nachdenkt. Wahrscheinlich eine Werbung anschauen oder so.

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