"Good Karma" von Roxette:Abschied von der eigenen Jugend

Roxette

Roxette auf Deutschland-Tour im vergangenen Sommer: Die Musik war quasi perfekt, doch Marie Frederiksson angeschlagen.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)

Kein Schluss, einfach leiser drehen: Das letzte Album von Roxette endet mit einfallslosem Outfading. Die Stücke davor bestechen aber durch die bekannte perfektionierte Mittelmäßigkeit.

Von Max Hägler

So viel ernste Zeilen, so viel ernste Gedanken. Das kennt man nicht von Roxette. Aber es bleibt wohl nichts anderes, jetzt zum Abschied, der traurig ist, nach derart langer Zeit, zumal angesichts der Umstände. "Everything looks perfectly fine", singt Marie Frederiksson, "from a distance", und da schwingt mit: aus der Nähe gesehen, in der Realität, ist manchmal nicht alles super.

Was die Band aus Schweden selbst anbelangt, stimmt das auch. Es ist ein guter, aber nicht ihr bester Popsong - doch diesmal geht es nicht mehr nur um Akkorde und den obligatorischen Tonartwechsel in der Mitte der üblichen Dreiminüter: Jetzt, mit Erscheinen dieser Platte namens "Good Karma" sind sie weg, Marie und ihr Band-Partner Per Gessle. Die beiden, Jahrgang 1958, beziehungsweise 1959, haben viele derjenigen begleitet, die heute zwischen 30 und 40 sind. Irgendjemand taufte diese Alterskohorten mal "Generation Golf", beziehungsweise "Generation X".

Passend wäre auch: Generation Roxette. Immer waren die Schweden da, vielleicht nicht vorne im Plattenregal, aber sie waren mit ihren exakt komponierten und perfekt eingespielten Liedern die wohltuenden Ankerpunkte im Radiogedudel, und weil sie das 30 Jahre durchgehalten haben, scheinbar ohne älter zu werden, vermittelten sie das Gefühl von Beständigkeit, erinnerten an die 1990er, als man jung war.

Das ist vorbei. Marie hat keine Kraft mehr, hat die laufende Tour abgesagt vor einigen Wochen, nach einem letzten Auftritt in Kapstadt. Irgendwann kommen alle guten Dinge zu einem Ende, schrieb sie ihren Fans danach. Sie liebe die Bühne, das Singen, aber das klappe nicht mehr: "Ich habe nicht mehr die Kraft für ein Leben auf Tour." Es wird kein zweites Comeback geben, nach ihrem ersten, vor acht Jahren. Das Album, das gerade erschienen ist, ist also ein Abschiedsgeschenk samt ganz passendem Titel.

Marie und Per, die sich Ende der 1970er Jahre das erste Mal in einem Proberaum fanden, waren abgesehen von den komischen Frisuren immer Nachbarstypen, die man an der Köttbullar-Bestelltheke hätte treffen können, ohne dass sie groß aufgefallen wären. Vielleicht auch wegen dieser Durchschnittlichkeit haben sie über Jahrzehnte den Soundtrack zum ganz normalen Leben geschrieben, den Soundtrack, der im Zweifel alles erträglich machte oder auch einfach nur noch besser: Hunderte Songs, über alle Facetten von Liebe und Leidenschaft, über Dich und mich, ein anderes Thema hatten sie nicht. Gedoppelt hat sich trotzdem nichts, das muss man erst einmal schaffen.

Freudiges Perfektionieren des Mittelmäßigen schafft Bemerkenswertes

Von der Ferne sieht alles perfekt aus, da sieht man nicht das Schwachsein oder die Einsamkeit, nicht die Fehler und die Verletzungen. Wer im vergangenen Jahr bei der Deutschland-Tour die Musik hörte, konnte meinen, es sei alles wie immer: quasi perfekt. Doch wer auf die Bühne schaute, etwa bei dem Konzert in der Münchner Olympiahalle, der sah Marie auf einem Hocker sitzen und sich am Mikrofonständer abstützen. Die Folgen eines Hirntumors hatten sie gezeichnet - obwohl die Krankheit eigentlich schon lange überwunden schien. Schwach war ihre Stimme, aber im Ton war immer noch dieses Burschikose, Begeisterte, Jugendliche, das Roxette abgehoben hat von den meisten anderen, die Popmusik machten.

"Mittelmäßig" sei Roxette stets gewesen in allen Belangen, urteilte die Welt gerade, aber dadurch genial. Da mag etwas dran sein und man könnte ergänzen: das freudige Perfektionieren des Mittelmäßigen machte aus ebendiesem Bemerkenswertes. Die Menschen spürten damals in München wie schwach Marie war - und sangen einfach mit. Derart konsequent, dass Marie immer wieder erstaunt in die Menge blickte und lächelte. Am Ende des Abends rief Per Gessle dem Publikum zu: Passt auf Euch auf, wir werden wohl eine Weile nicht wiederkommen. Es klang schon damals nach Abschied.

Keiner hört Roxette, aber dann summen alle mit

Zwar sei die Krankheit nicht wieder ausgebrochen, erklärte Per seitdem in einigen Interviews, aber Marie tue sich schwer, die jahrelange Bestrahlung habe ihre Nerven geschädigt. Auf ihr Bein könne sie sich deswegen nicht mehr verlassen; das Englischsprechen strenge sie an; das Augenlicht werde weniger.

Vor dem Hintergrund von Maries Leiden ist das neue Album entstanden. Die Texte: ernster. Der Sound: manchmal ruhiger als bisher. Es werkeln mehr Synthesizer als früher, leider auch bei den Vocals, dafür weniger drängende rockpophymnische Gitarrenriffs. Mehr düsterer Depeche-Mode-Sound bestimmt manche Lieder, etwa "20 BPM", das ist ungewohnt, gerne würde man mehr davon hören, aber nach elf Liedern ist schon Schluss. Wie sie es oft gemacht haben, enden auch auf diesem Album die meisten Songs per einfallslosem Outfading - kein Schluss, einfach leiser drehen. Auch "From a Distance", ein Lied von der üblichen, vertrauten Balladen-Machart, das manchen nach dreimaligem Anhören womöglich zum Mitsingen einlädt. Ein heikles Thema übrigens: Wer bislang eingestand, Roxette zu hören, im Küchenradio oder gar absichtlich, dem schlug gemeinhin mindestens Unverständnis entgegen. Und doch summten dann viele mit.

Guter Pop, manchmal sogar idealer

Jetzt, zum Ende von Roxette, im Zustand der Melancholie, trauen sich manche aus der verschämten Deckung - und schreiben in den Feuilletons ganz persönliche, warme Nachrufe, in denen oft das lustige Wort Engtanz auftaucht: Zu Roxette sei man das erste Mal einem Mädchen, wahlweise Jungen ganz nah gewesen. Einschneidende Erlebnisse offenbar, deren Niederschrift beweist: Roxette wirkt.

Weil viele Lieder guter Pop sind, manchmal sogar idealer. Harmonisch und doch oft in Sekunden auf den Punkt kommend, dazu simple, aber nicht immer triviale Textzeilen, ein ums andere Mal aufgeschrieben von Per Gessle und interpretiert von ihm mit seiner gepressten Stimme und vor allem von der klaren Marie Fredriksson: Listen To Your Heart. Spending My Time. The Look. How Do You Do. Wish I Could Fly. She's Got Nothing On. Dangerous, das passende Lied für die temperamentvolle Affärenanbahnung. Und natürlich: It Must Have Been Love, der Soundtrack des Kitsch-Kinofilms mit den großen Emotionen - "Pretty Woman". Wie passend.

In den USA waren sie mit vier verschiedenen Liedern Nummer eins. In Europa noch viel öfter. In China spielten sie in den 1990er Jahren als eine der allerersten Bands aus dem Westen - am Ende hielten die Zuschauer Pappdeckel mit der Aufschrift "One world, one love" in die Höhe. 75 Millionen Platten verkauften sie, und wenn man Greatest-Hits-Alben in Händen hält, dann fehlen stets einige wichtige Songs - es gibt eben wahnsinnig viele große Hits von ihnen. Ein, zwei werden nun wohl noch dazukommen, mit diesem Studioalbum, dem zehnten, dem leider letzen. Danach ist die Jugend vorbei.

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