Goldt-Worte:Preisung der grotesken Dame

Gelächter ist das am leichtesten zu erzeugende Geräusch, sagt Max Goldt, und das stimmt - aber nur für ihn. Eine Sammlung der lustigsten Passagen aus dem aktuellen Buch des Kleist-Preisträgers.

R. Schneeberger

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Max Goldt

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Gelächter ist das am leichtesten zu erzeugende Geräusch, sagt Max Goldt, und das stimmt natürlich - aber nur für ihn. Die lustigsten Passagen aus "QQ", dem aktuellen Buch des Kleist-Preisträgers.

Preisung der grotesken Dame

Vereinzelt gibt es Menschen, denen man schon in sehr jungen Jahren ansieht, dass sie einmal ein Talent zu einer grotesken Person entwickeln werden. (...) Unter Schmerzen toupieren sie ihr Haar, mit zitternder Hand kleben sie sich falsche Wimpern auf die Lider oder zwängen geschwollene Füße in flamboyantes Schuhwerk, und niemand versteht, warum sie das tun. Und wie soll man ihre Haltung, mit der sie all das Unverständnis hinzunehmen bereit sind, anders nennen als Majestät? Man sollte sie nicht nur achten wie andere Leute, sondern obendrein verehren. Sie zählen zu den großen Helden unserer Städte.

Foto: Bill Kaulitz/Getty Images

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Der Querulant

Wenn er die Zeitung liest, fühlt sich der Querulant permanent "für dumm verkauft" oder "verschaukelt", wovon er die Redaktion regelmäßig in Kenntnis setzt, und zwar mit Sätzen, die klingen, als wären sie einem Korrespondenzratgeber für Meckerbriefe entnommen: "Für wie dumm will Ihr Schreiberling uns Leser eigentlich verkaufen? Artikel wie diese hätten wohl besser in einer Schülerzeitung Platz." Hat der Querulant eine Glosse oder einen Cartoon nicht verstanden, schreibt er: "Ich will mich hier wirklich nicht als Humor-Ignorant outen, aber solche spätpubertären Ergüsse passen doch vom Niveau her eher zu ganz anderen Blättern. Beim nächsten Vorfall dieser Art werde ich mir überlegen, ob ich das Geld für mein Abonnement nicht sinnvoller anlegen kann." Der Redakteur einer Tageszeitung erzählte mir einmal von einem Leser, der über mehrere Monate jedes falsch eingesetzte "ß" (also z. B. Rußland statt Russland) mit einem Filzstift eingekreist und die betreffenden Artikel mit einem dazugekrakelten "WAS SOLL DAS?" an die Redaktion gefaxt hat. Ich griff nach seiner Hand und versicherte ihm meines aufrichtigen Mitgefühls. Danach tranken wir noch einen riesigen Haufen Bier, von dem wir uns, wie wir erst beim Heimgang merkten, ziemlich "verschaukelt" fühlten.

Foto: oH

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Namensschilder

Ich habe manchmal Mitleid mit Verkäufern, die Namensschilder tragen müssen, besonders wenn es sich um ältere Damen mit großen Brüsten sowie seltsamen Namen handelt. Stellt es für eine Frau nicht eine Demütigung dar, wenn sie von einem Kunden mit einem Namen angesprochen wird, den er von einer schiefsitzenden Nadel auf ihrem Busen abbuchstabiert? Ich spreche Verkäufer lieber nicht namentlich an, und es erscheint mir gut und richtig, dass auf den Kassenzetteln eines Medienmarktes in Berlin seit Jahren immer nur steht: "Es bediente sie: Frau SAMMELNUMMER."

Foto: Jürgen Trittin/ap

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Dem Elend probesitzen

Manch einer überlebt 15 Jahre im Pflegeheim. (...) Man kann dem Elend probesitzen, indem man sich in ein billiges Hotel auf einer übernutzten Mittelmeerinsel begibt und guckt, ob man kleinere soziale Abstiege zumindest testweise verkraftet.

Foto: oh

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Bärentragen

Nicht eine der einflussreichen Frauen wird eine Schultertasche oder einen Rucksack tragen, an der ein Miniatur-Teddybär befestigt ist. Liefe jemand zum Zwecke statistischer Erhebungen durch eine Fußgängerzone, würde er zu dem Resultat gelangen, dass um die zehn Prozent aller erwachsenen Frauen (aber höchstens ein Prozent der Männer) eine Puppe, Tigerente oder, meistens, einen Teddybären an ihrer Tasche befestigt haben. Dass sich das Bärentragen zu einer Massenerscheinung entwickelt hat, ist indes nicht aus ästhetischen Gründen betrüblich. Es gibt weiß Gott hässlichere Dinge als kleine Teddys. Betrüblich ist viel mehr, dass den Trägerinnen nicht bewusst zu sein scheint, was für verheerende soziale Signale sie aussenden. Kein Personalchef wird einem Menschen einen verantwortungsvollen Posten überlassen, der mit einem Teddybären zum Bewerbungsgespräch kommt. (...) Eine mir nur flüchtig bekannte Frau aus der Nachbarschaft, etwa fünfzigjährig, mit der ich ein paar Worte gewechselt hatte, verabschiedete sich von mir, einem fast Fremden, am U-Bahn-Eingang: "Ich fahre jetzt meine liebe Mutti besuchen, die übrigens eine ganz, ganz Süße ist!" Wenn endlich der neue Feminismus kommt, der bald prophezeit, bald bereits gesichtet wird, dann wird er unter anderem an diesem Punkt ansetzen müssen.

Foto: Gloria Gräfin von Thurn und Taxis/Wetten, dass..?/oh

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Unheimliche Geschenke

"Ich find mich überhaupt nichts Besseres als die anderen, ich hatte halt wahnsinniges Glück!" Oder: "Wer bin ich denn schon, verglichen mit dem Dalai Lama, oder mit diesem unglaublichen Mann, der letzte Woche dieses eine Kind aus der Alster gezogen hat?" So oder so ähnlich hört man allenthalben Talkshow-Teilnehmer reden. Selbstkritik und Bescheidenheit sind in der Tat wertvolle Talente, nur sollte man dafür sorgen, dass man bei der Ausübung allein ist; in aller Öffentlichkeit munter ausgesprochen, riechen sie leicht nach jener strategischen Demut, deren alleiniges Ziel es ist, sympathisch zu erscheinen. Unter Interviewgästen, die danach gieren, um jeden Preis wie "einer von uns" zu wirken, "der alte geblieben" und "überhaupt nicht abgehoben" zu sein, hat sich in den letzten Jahren eine Floskel breitgemacht, die in ungezählten Variationen existiert, aber summa summarum wie folgt zitiert werden kann: "Ich finde es ein unheimliches Geschenk, dass ich hier sitzen darf." (...) Was an der Geschenk-Floskel so unangenehm berührt, ist der Anschein, dass ihre Verwender in dem Irrtum leben, sie seien privilegiert. Es mag gewiss Leute geben, die jemanden beneiden, der in einer Familienserie mit Seehund die Tochter des Leiters der Seehundpflegestation spielt, aber beileibe nicht jeder, der über das Beschenktheitsgefühl der Schauspielerin aufgeklärt wurde, ist betrübt darüber, dass ihm eine vergleichbare "Wahnsinnschance" nie eröffnet wurde. (...) Viele Leute wollen gar nicht dabei fotografiert werden, wie sie ein Event-Zelt betreten, um darin, Worte untertänigsten Dankes ausschüttend, ein extrem übel gestaltetes Metallobjekt entgegenzunehmen.

Foto: Sarah Connor/ ap

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Kinder fauler Mütter

Dass man in der Öffentlichkeit viel häufiger von großartigen oder bösen Müttern hört als vom nicht besonders seltenen Typus der zwar nicht lieblosen, aber etwas trägen und relativ faulen und insgesamt an der Unterkante ihrer Möglichkeiten operierenden Mutter, mag in dem Bedürfnis gründen, die Mutter als Menschensorte umfassend zu verehren. Eine Mutter indessen, die viel ruht und fernsieht, kann man zwar ohne weiteres lieben, mit der Verehrung wird es aber schwieriger. (...) Die beliebte mütterliche Kritik indes, man sei "schlimmer als Oma", kennt der Berichterstatter, wenngleich in anderem Zusammenhang, aus seiner eigenen Kindheit, doch erst heute fällt ihm auf, wie bizarr es ist, so etwas zu einem Kind zumal männlichen Geschlechts zu sagen.

Foto: Grandma Adam's Family/oh

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Lebensgefühl einer Generation

Das Ich altert nicht! Große Erkenntnis! Zu welcher man hinzufügen könnte: Und es - das Ich - gewöhnt sich in ermutigend friedvoller Weise an seinen Körper. was hingegen sagen die Floskelanten? Sie sagen: "Man ist so alt, wie man sich fühlt." Was für ein matter, fauler Unsinn! Wenn ein Mensch herausfinden möchte, ob er den Jungen oder Alten zuzurechnen sei, werfe er zunächst einen Blick in seinen Personalausweis. (...) Wie viel Geziere, Quengelei und Reiterei auf Redensarten könnte sich die Menschheit sparen, wenn sie die Majestät von nackten Zahlen anerkennte! Ein Fünfzehnjähriger, der, von Rückenschmerzen und Migräne geplagt, in einem grauenvollen Hochhaus wohnt und Angst vor den Nachbarkindern hat, was ist der? Jung natürlich! Wie mies er sich auch immer fühlen mag. Ein Fünfzigjähriger hingegen, der rosig und durchtrainiert die Blankeneser Frischluft inhaliert und sich überlegt, welche seiner vielen gutsituierten besten Freunde er nach dem Morgenlauf zum spontanen Champagnerfrühstück bittet, der ist, man schreibe sich das bitte auf einem prominent zu plazierenden Merkzettel, alt.

Alle Zitate stammen aus Max Goldts aktuellem Buch "QQ", Rowohlt-Berlin-Verlag.

Text- und Bildauswahl: Ruth Schneeberger/sueddeutsche.de/korc

Foto: dpa

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