Unheimliche Geschenke
"Ich find mich überhaupt nichts Besseres als die anderen, ich hatte halt wahnsinniges Glück!" Oder: "Wer bin ich denn schon, verglichen mit dem Dalai Lama, oder mit diesem unglaublichen Mann, der letzte Woche dieses eine Kind aus der Alster gezogen hat?" So oder so ähnlich hört man allenthalben Talkshow-Teilnehmer reden. Selbstkritik und Bescheidenheit sind in der Tat wertvolle Talente, nur sollte man dafür sorgen, dass man bei der Ausübung allein ist; in aller Öffentlichkeit munter ausgesprochen, riechen sie leicht nach jener strategischen Demut, deren alleiniges Ziel es ist, sympathisch zu erscheinen. Unter Interviewgästen, die danach gieren, um jeden Preis wie "einer von uns" zu wirken, "der alte geblieben" und "überhaupt nicht abgehoben" zu sein, hat sich in den letzten Jahren eine Floskel breitgemacht, die in ungezählten Variationen existiert, aber summa summarum wie folgt zitiert werden kann: "Ich finde es ein unheimliches Geschenk, dass ich hier sitzen darf." (...) Was an der Geschenk-Floskel so unangenehm berührt, ist der Anschein, dass ihre Verwender in dem Irrtum leben, sie seien privilegiert. Es mag gewiss Leute geben, die jemanden beneiden, der in einer Familienserie mit Seehund die Tochter des Leiters der Seehundpflegestation spielt, aber beileibe nicht jeder, der über das Beschenktheitsgefühl der Schauspielerin aufgeklärt wurde, ist betrübt darüber, dass ihm eine vergleichbare "Wahnsinnschance" nie eröffnet wurde. (...) Viele Leute wollen gar nicht dabei fotografiert werden, wie sie ein Event-Zelt betreten, um darin, Worte untertänigsten Dankes ausschüttend, ein extrem übel gestaltetes Metallobjekt entgegenzunehmen.
Foto: Sarah Connor/ ap