Süddeutsche Zeitung

"Golden Twenties" im Kino:Bring mir den Kaffee bitte mit Sojamilch

Das Leben als Praktikum im Kulturbetrieb: Sophie Kluges tragikomisches Regiedebüt "Golden Twenties".

Von Jan Jekal

Ava hat ihr Studium abgeschlossen, und das ist schlecht. Ein Praktikum kommt nun nicht mehr infrage, und ohne Praktikum kommen keine anderen Stellen infrage, denn es gibt keine anderen Stellen.

Eine auf freundliche Weise unfreundliche Frau teilt ihr das in einer Art Vorstellungsgespräch mit. Nur dass es eben kein richtiges Vorstellungsgespräch ist, denn eine Stelle gibt es, wie gesagt, nicht. "Warum haben Sie mich dann überhaupt eingeladen?", fragt Ava. Sie wolle ihr die Absage persönlich übermitteln, sagt die Frau, und verabschiedet sich mit dem Hinweis, Ava könne sich ja wieder bewerben, wenn sie etwas mehr Berufserfahrung habe.

In ihrem bemerkenswerten Regiedebüt "Golden Twenties" zeigt Sophie Kluge, die Tochter von Alexander Kluge, den Berliner Kulturbetrieb vom unteren Ende der Nahrungskette und solidarisiert sich mit den Ausgebeuteten. Es ist ein den Privilegierten vorbehaltenes Elend; schließlich lässt dieses Milieu nur Menschen ein, die sich die un(ter)bezahlte Arbeit leisten können. Kluges Film bleibt nah an Ava, es gibt keine Szene ohne sie, sie ist Identifikationsfigur und Sympathieträgerin. Das Theater, bei dem Ava durch die Vermittlung eines Familienfreundes schließlich als Hospitantin unterkommt, lernen die Zuschauer durch ihre Augen kennen, sie als Randfigur steht im Mittelpunkt, und somit lässt sich die Herablassung, mit der sie behandelt wird, nicht einfach ignorieren.

Häufig ist es eine freundliche Herablassung, beiläufig ausgedrückt von Menschen, die sich als egalitär, aufgeklärt und links verstehen, die elitären Dünkel nachdrücklich ablehnen, während sie darauf warten, dass die Hospitantin endlich den Kaffee bringt, hoffend, dass sie auch begriffen hat, dass man keine Kuh-, sondern Sojamilch trinkt. So ruft ihr der Regisseur bei der ersten Leseprobe zu, sie solle sich zu ihm und den Schauspielern an den Tisch setzen. Wenn da jemand so außerhalb sitze wie sie, dann fände er das demütigend. "Ich sitz' hier total gut!", versichert Ava ihm brav vom Lautsprecher in der Ecke aus, wissend, dass am Tisch gar kein Platz für sie ist. "Nimm dir 'n Stuhl oder einen Eimer oder so!", entgegnet der Regisseur. Als sie sich schließlich setzt, fragt er, an niemanden (also an Ava) gerichtet, wo eigentlich die Wasserflasche sei, und natürlich ist es keine Frage, sondern eine Aufforderung, und jeder weiß es.

Ava begenet einem Vertreter des neuen Sexismus der "Me Too"-Generation

Von einer weniger präsenten Hauptdarstellerin verkörpert, hätte ein Film mit einer so passiven Protagonistin Probleme bekommen. Henriette Confurius spielt Ava aber als aufmerksame Beobachterin, als hellwache junge Frau, die ständig "Mach ich", "Macht nichts" und "Ist nicht schlimm" sagen muss, weil genau das von ihr verlangt wird. Ihre nachvollziehbare Hoffnung ist es, irgendwann einmal ernst genommen zu werden, wenn sie nur weiter die Launen der anderen antizipiert und ausgleicht.

Bei aller Ausstrahlung von Confurius lässt der Film Avas Innenleben unscharf, ihr wahres Potenzial bleibt unklar. Was nicht heißt, dass Kluge, die auch das Drehbuch geschrieben hat, es versäumt, ihre Protagonistin umfassend zu charakterisieren. Zum einen unterstreicht das Ausbleiben eines Ausbruchs Avas existenzielle Orientierungslosigkeit, und zum anderen macht es deutlich, dass es in ihrer Position auf Potenzial ohnehin nicht ankommt, da sie ja keine Gelegenheit bekommt, sich zu beweisen. Sie trifft niemanden, vor dem sie nicht Unkompliziertheit performen müsste. Keine Begegnung, bei der sie ihre Bedürfnisse nicht unterdrücken müsste, keine Unterhaltung, in der sie auf ein Gegenüber träfe, das an ihren Gedanken interessiert wäre. Diesen Status einer Unsichtbaren hat sie nicht nur im Arbeitsumfeld inne. Ihre Mutter, in deren Wohnung sie für die Dauer der Hospitanz wohnt, verriegelt nachts mit Verweis auf die Einbruchsrate in der Nachbarschaft die Wohnungstür. "Ich komm dann halt nicht rein", sagt Ava. "Stimmt", sagt die Mutter, als hätte sie darüber gar nicht nachgedacht.

Bei Jonas, einem jungen Schauspieler aus dem Ensemble, der sich in der Raucherpause als ihr Verbündeter geriert, erweist sich scheinbares Interesse als kalkulierte Annäherung. Ava zuckt zusammen, als er sie schließlich in seiner Garderobe auf den Nacken küsst. Er entschuldigt sich daraufhin, denn er ist ein Sexist der "Me Too"-Generation, ein für Sexismus sensibilisierter junger Mann, zu allem Überfluss auch charismatisch und attraktiv, von der karikaturhaften Widerwärtigkeit eines Weinstein also weit entfernt. Die ihm ausgelieferte Hospitantin manipuliert er mit der Illusion von Ebenbürtigkeit, simuliert eine Allianz gegen die Machtmenschen des Theaters und bestraft sie mit Nichtbeachtung, sobald sie sich seinen Annäherungen entzieht. Auch hier gibt sie schließlich nach, erwidert den Kuss, die beiden haben Sex.

"Golden Twenties" hat gleichzeitig einen natürlichen und pointierten Rhythmus. Kluges Figuren sprechen wie normale Menschen, die Dialoge kommen wie Unterhaltungen daher, sind aber auf den Punkt geschrieben und mit Sinn für Timing inszeniert, sodass die Machtverhältnisse deutlich, aber nicht plump ausgestellt werden. Es gibt Filmemacher, die ihre Idiosynkrasie in jeder Szene markieren, die am liebsten gleich ein Wasserzeichen in den Bildrand stempeln würden, und es gibt Regisseurinnen, die, wie Sophie Kluge, dem Film und nicht ihrem Ego den Vortritt lassen, die hinter die Figuren zurücktreten, bis die Geschichte sich scheinbar wie von selbst erzählt.

Golden Twenties, D 2019 - Regie, Buch: Sophie Kluge. Kamera: Reinhold Vorschneider. Mit: Henriette Confurius, Max Krause, Blixa Bargeld. Fox, 91 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2019
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