Golden Globes:Hollywoods liebster Fiesling

Der Brite Ricky Gervais war einmal fett, schlecht rasiert, peinlich, aber komisch. Vor seinen Späßen zitterten die Stars. Jetzt moderierte er zum dritten Mal die Golden Globes und dabei wurde klar: Er ist längst kein Außenseiter mehr. Am Ende müssen Madonna und Elton John die Show retten.

Anne Philippi, Los Angeles

Die Sonne in Hollywood ist nur kurz da gewesen. So gegen zwei. Um drei, als die ersten Stars den Teppich zu den Golden Globes betreten, ist sie wieder weg. Es ist zu kalt für die dünnen Kleider. Man sieht Gänsehautschultern. Verspannte, hochgezogene Schultern, Schultern, die morgen früh zum Chiropraktiker müssen, weil die Verspannung nicht nachlassen wird. Neben der Kälte noch ein Verspannungsgrund: Ricky Gervais.

Die meisten fürchten, Opfer seiner üblen Scherze zu werden. Andererseits ist es gut, ein Opfer von Ricky zu sein. Danach steht der eigene Name wieder öfter im Internet. Der Brite Ricky Gervais hatte in den letzten zwei Jahren als Moderator der Golden Globes viele Stars verärgert und schwerst beleidigt. Er war der hartgesottene Komiker mit schlechtem Bart und hollywood-untauglicher Figur. Aber talentiert und amüsant böse. Die "Hollywood Foreign Press" hat ihn dieses Jahr noch mal eingeladen, weil sonst eventuell niemand die Golden Globes guckt. Die Spannung war schon im Vorfeld groß. Wird Ricky wieder zuschlagen? Wer ist diesmal dran?

Man muss sich klar machen, dass die Golden Globes noch im Jahr 1982 eine Veranstaltung waren, auf der Pia Zadoras Mann ihr den Preis als "New Star of the Year" kaufte: hoffnungslos korrupt. Heute kommen alle, von George Clooney bis Johnny Depp - aber selbst deren Anwesenheit wird irgendwie lustiger, wenn Ricky Gervais sie fertigmacht.

Und auch dieses Mal hatte Ricky versprochen, keine Rücksicht zu nehmen. Er selbst fand sich ohnehin nie besonders gemein. "Ich spreche ja nicht in einem Raum voller verwundeter Soldaten", hat er einmal gesagt, "sondern vor den reichsten und privilegiertesten Menschen der Welt."

Bevor Ricky auftaucht, geht die Sache auf dem roten Teppich erstmal ihren gewohnten Gang. Alles läuft reibungslos. Reporterfragen: "Sind Sie nervös?" Reporterlob: "Sie sehen fantastisch/grandios/blendend/ aus." "Was tragen Sie?" Starantwort: "Noch bin ich nicht nervös, aber gleich." Und: "Danke, Sie sehen auch super aus heute." Rupert Murdoch kommt mit Frau Wendy, sie werden nicht interviewt. George Clooney kommt mit seiner neuen Freundin Stacey Keibler (Ex-Wrestlerin, schmale Hüften, Kirschmund, Männerwaden), Brad Pitt mit Angelina Jolie. Sie werden interviewt und baden in den Schreien ihrer Fans. Dann kommen die Philosophen wie Nicole Richie. Sie sagen Dinge wie: "Mode ist nicht nur das Kleid. Es ist alles. Von Kopf bis Fuß." Oder: "Warum sind die Golden Globes toll? Es wird Alkohol serviert." Wie im Fall von Rob Lowe, der eine "Glas-Auf-Ex-Austrinken"- Handbewegung macht.

Nicht mehr der, der er einmal war

Leonardo DiCaprio spricht über seinen "J. Edgar"-Film. Er faselt etwas von der "kommunistischen Invasion" und könnte schon bald für die Republikaner Geld einbringen. Owen Wilson, der Großartige, der Schöne mit der schiefen Nase aus "Midnight in Paris", trottet hinterher. Sein linkes Hosenbein ist ein bisschen nach oben gerutscht. Owen sieht traurig aus. Er kommt allein. Es sind Madonna und Elton John, die den roten Teppich und später die Verleihung bestimmen. Madonna fragt, ob Elton ein Kleid tragen wird. Elton sagt, Madonna hat keine "fucking Chance" gegen ihn, und wird gleich mal weg-gebeept. Trotzdem, die Kamera liebt Eltons großes, tantiges Gesicht. Er wird nachher die meiste "Facetime" bekommen. Das heißt, die Kamera im Saal zeigt sein Gesicht am häufigsten, und man wünscht sich, Eltons Sticheleien am Tisch mithören zu können. Das ist doch eine Menge Material für Ricky. Es liegt quasi vor ihm, auf dem Teppich. Tonnenweise.

Und dann kommt Ricky. Endlich. Ricky ist nicht mehr der, der er einmal war. Seine Zähne sind weißer. "Der größte Unterscheid zwischen Briten und Amerikanern ist, dass die Amerikaner besessen sind von perfekten Zähnen." Ricky hat das befolgt. Er sperrt seinen Mund weiter auf als früher. Die Zähne haben jedes Ockergelb verloren. Das ist nicht alles. Ricky hat 13 Kilo abgenommen. Er hat keinen Bock mehr auf einen Schwabbelbauch unter dem Smoking. Das ist nicht mehr revolutionär. Das passt jetzt nicht mehr. Aber Achtung. Ricky will zeigen, dass er keiner von "denen" ist.

Hohe Erwartungen

Ricky trägt einen weinroten Anzug mit schwarzen Einsätzen von Ted Baker. Leichter Teddyboy-Style. In der Gesamtanmutung strizihaft, weil Ricky eine Sonnenbrille dazu trägt und dieser Lehrer-Bart ihn nicht attraktiver macht. Im Arm hat Ricky eine Freundin, die Alexander McQueen und kein Make-up trägt - also megabritisch daherkommt. Keine Botoxspuren, keine Filler. Pure Englandhaut, die älter aussieht, als sie ist. Ricky will sagen, dass auch seine Freundin beim Hollywood-Spiel nicht mitmacht. Genauso wie er. Ricky warnt vom roten Teppich aus. Die Leute da drin könnten "explodieren". Die Erwartungen an den Bösen sind hoch.

Dann legt Ricky los. Er greift zum Glas mit dem britischen Bier, und ja, das Bier ist "echt". Ricky begrüßt, und logisch, es muss mit einem Scherz über die Kardashians losgehen, die berühmte Trash/Realityshow-Familie. "Die "Golden Globes" sind im Vergleich zu den Oscars das, was Kim Kardashian im Vergleich zu Kate Middelton ist - ein wenig lauter, ein wenig trashiger, ein wenig betrunkener."

Hmm. Es ist der Anfang. Johnny Depp kommt vorbei und gibt zu, seinen Film "The Tourist" noch nie gesehen zu haben. Ashton Kutcher verleiht einen Preis und sieht schlecht aus wie selten. Zu kurze Haare, die gute Laune ist zu Hause und der Bart ist wegen "Two and Half Men" auch weg. Nicht schlimm. Ricky wird gleich wieder kommen. Ricky warnt jetzt das Publikum, im Scherz.

"Haltet eure Dankesrede kurz. Und dankt Gott und eurem Agenten. Es ist Tatsache, dass in meinem Fall Gott und mein Agent denselben Einfluss auf meine Karriere haben." Das schockt nicht richtig. Ricky merkt das schnell. Er legt etwas drauf. Er erwähnt den Film "Bridesmaids", in dem betrunkene Brautjungfern ins Waschbecken urinieren - eine Art "Hangover" für Frauen. Ricky sagt, die Toiletten-Desaster in "Bridesmaids" seien nichts gegen das, was "einige von euch heute abend für ihre Karriere getan haben." Böse Blicke von Salma Hayek und Jessica Biel im Publikum. Langweileanfall bei Martin Scorsese und Dustin Hoffmann. Wo sind wir hier? Du, wie kommen wir da raus?

Dann kommt Madonna. Und gewinnt einen Preis für den besten Song in ihrem Film "W.E". Das gefällt hier niemandem. Das Publikum ist still, drei Hände applaudieren. Madonna steht da in ihrem silbernen Dress, den Wahnsinnsmuskeln, voll mit Show-Weisheit, und sie ist es, die kommen muss, um die Welt der Unterhaltung hier vor Ort zu erklären. Sie dankt Harvey Weinstein. Sein Spitzname, sagt Madonna, sei "Der Bestrafer".

Weinstein ist der mächtigste Mann in Hollywood. Sechs Produktionen seiner Firma gewinnen heute Abend - allen voran die französische Stummfilm-Hommage "The Artist", die mit drei Globes (beste Komödie/Musical, beste Filmmusik, bester Hauptdarsteller Jean Dujardin) der große Sieger sein wird. Harvey war eine Weile weg vom Fenster, doch seit den letzten Oscars, bei denen er mit "The Kings Speech" abräumte, ist die Ordnung im Land wieder hergestellt.

Lächerlich schöne Wesen

Golden Globes: Auf dem roten Teppich angekommen: Ricky Gervais und Freundin Jane Fallon.

Auf dem roten Teppich angekommen: Ricky Gervais und Freundin Jane Fallon.

(Foto: AFP)

Später wird Merryl Streep, die erwartungsgemäß für ihre eiserne Thatcher-Darstellung in "The Iron Lady" absahnt, Madonnas Erklärung und Weinsteins Aura noch präzisieren: "Er ist der Bestrafer. Im Stil des alten Testaments." Harvey Weinstein lacht mit seinen neuen Zähnen. Er hat die Nase eines alten Boxers. Sein Schädel ist dick. Seinem Schädel kann niemand etwas. Er könnte damit Ricky Gervais eine Kopfnuss verpassen, die er im Leben nie mehr vergessen wird. Und von der er sich nicht mehr erholen würde.

In der Drama-Sparte setzen sich George Clooney (bester Hauptdarsteller) und sein von allen geliebter Hawaii-Film "The Descendants" (Regie: Alexander Payne) durch. Kate Winslet gewinnt für ihre Fernsehserie "Mildred Pierce".

Ricky nimmt einen neuen Anlauf. Jetzt kommen Antonio Banderas und Salma Hayek. "Sie sind lächerlich schöne Wesen, sie sind extrem talentiert und wahrscheinlich sehr interessant. Ich bin mir nicht sicher." Irgendwas wird weggebeept, Ricky kommt nicht richtig weiter. Er schwimmt. Die Anzugjacke ist ausgezogen. Ricky war im Fitnessstudio. Jetzt kann man es deutlich sehen. Er ist auf dem Weg zum Oberkörper von Brad Pitt.

Ricky erinnert sich kurz an seine Wurzeln. Und beim Landsmann Colin Firth blitzt dann kurz der alte Ricky durch. Firth, höhnt er, sei doch echt nicht attraktiv. Er verstehe nicht, warum alle Frauen Colin mögen. "Er ist rassistisch. Ich habe außerdem gesehen, wie er ein blindes Kätzchen geschlagen hat." Colin Firth revanchiert sich, fast als einziger heute Abend. Gervais sei eine Art Gottesgeißel.

Aber nein, so schlimm ist es nicht. Es ist eigentlich alles cool. Ricky sagt auf der Aftershowparty er wolle nächstes Jahr nicht mehr moderieren. "Dreimal ist genug." Eine gute Entscheidung. Gervais, das muss man nach diesem Abend festhalten, steckt mitten in einer Assimilierungsphase - er ist endgültig in Hollywood angekommen, und irgendwie will er jetzt auch dazugehören. Mit Ridely Scott war Ricky immerhin schon im Londoner Star-Restaurant "Scotts" Mittagessen. Da sollte man ihn sehen.

In dieser Lage kann man nicht mehr der Hofnarr der Wahrheit sein. Das ging, als er ein völliger Outsider war. Fett, schlecht rasiert, tölpelhaft. Peinlich, aber komisch. Und es wird wieder gehen, wenn er eine Hauptrolle bei Steven Spielberg hatte. Wenn er ein widerstandsfähiges altes Ross wie Elton John ist. Oder eine Kaiserin wie Madonna. Bis er diesen Übergang aber geschafft hat, muss er wohl eher ein bisschen leisetreten.

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