Süddeutsche Zeitung

Golden Globes:Klassisches Hollywood schlägt Streaming-Kino

Netflix galt als Topfavorit bei den Golden Globes, abgeräumt hat aber klassisches Hollywoodkino. Und die britische Rampensau Ricky Gervais brachte als Moderator die Stars mal wieder zum Schwitzen.

Von Susan Vahabzadeh

Ob Hollywood irgendwann in absehbarer Zeit eine komplett bedeutungslose Ansammlung von gewesenen Unterhaltungsgiganten sein wird, hängt nicht nur von digitalem Wandel und verändertem Massengeschmack ab. Es kommt auch darauf an, was für ein Verhältnis Filmstars zu sich selbst entwickeln, in einer Welt, in der sich der Ruhm verändert. Wenn Kim Kardashian mit ihren Selfies mehr Fans rekrutiert als Joaquin Phoenix mit seiner Schauspielerei, muss die amerikanische Filmbranche damit umzugehen lernen.

Fünfmal in den letzten zehn Jahren hat sie sich vor den Augen der Welt herunterputzen lassen - vom britischen Komiker Ricky Gervais, wenn er die Verleihung der Golden Globes moderierte. Gervais verweist gern darauf, dass es ihm komplett egal ist, wer in Hollywood auf ihn sauer sei, weil er am Morgen nach der Show ohnehin wieder abrausche. Am Sonntagabend sagte er während der 77. Verleihung der Golden Globes, es sei das letzte Mal, dass er hier auftrete - ein herber Verlust, in einem Jahrzehnt, in dem Hollywood ganz bestimmt eine gehörige Portion Selbstironie brauchen wird.

Joaquin Phoenix hat jedenfalls als bester Darsteller in einem Drama einen Golden Globe bekommen. Und zwar für einen wirklich bewegenden Auftritt als sehr irdische junge Version des Comic-Bösewichts "Joker", und das ist auf alle Fälle ein gutes Zeichen. Denn in jeder Hinsicht ist Hollywood mit diesem Film ganz bei sich, auf der Höhe seiner Kunst.

Was das amerikanische Kino auszeichnet, ist die Fähigkeit, im Gewand leichter Unterhaltung die Schwere der Welt zu erkunden und dabei ganz subtil mit allen filmischen Mitteln zu agieren. Das ist die große Kunst jener Art von Kino, die Hollywood einst ausmachte, bevor die Special-Effects-Schlachten vom Beiwerk zum Hauptgericht avancierten.

Martin Scorsese und sein "Irishman" gingen erstaunlicherweise komplett leer aus bei der Verleihung

Die Golden Globes werden von der Hollywood Foreign Press Association vergeben und sind der zweitwichtigste amerikanische Filmpreis nach den Oscars, die im Februar drankommen. Dieses Jahr machten die Globes als Zeremonie und als Sammelsurium von Entscheidungen den Eindruck, als sei man noch auf der Suche nach einem neuen Profil.

Bei den Nominierungen sah es so aus, als werde der Streamingdienst Netflix groß abräumen. Aber nur eine der siebzehn Nominierungen in der Kinoabteilung wurde auch in eine Trophäe verwandelt: Laura Dern bekam den Preis als beste Nebendarstellerin, für ihren Auftritt als Anwältin im Scheidungsdrama "Marriage Story" von Noah Baumbach, das trotz sechs Nominierungen ansonsten leer ausging.

Immer noch ein besseres Ergebnis als für die andere große Netflix-Produktion, Martin Scorseses "The Irishman", die auch als Favorit galt - und überhaupt keinen Preis bekam. Das ist in sofern wichtig, als dass diese Filme bei Netflix die Kronjuwelen sind - bei den traditionellen Studios steht alles, was keinen Superhelden oder wenigstens ein Raumschiff zu bieten hat, ein wenig im Abseits. Daran werden Preise nichts ändern, weil sie längst nicht mehr so viel Einfluss auf die Einspielergebnisse haben wie früher.

Gewonnen haben Quentin Tarantinos "Once Upon A Time in Hollywood" als beste Komödie und das Kriegsdrama "1917" von Sam Mendes, dem man vorab keine großen Chancen ausgerechnet hatte. Vor allem, weil der Film in den USA erst vor ein paar Tagen in ausgewählten Kinos angelaufen ist, gerade rechtzeitig, um sich noch für die Oscars zu qualifizieren. "1917" erzählt von zwei britischen Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs die Kameraden einer anderen Einheit retten wollen, bei uns startet der Film am 16. Januar. Als beste Darstellerin in einem Drama gewann Renée Zellweger, die die große Diva Judy Garland in "Judy" spielt.

Es war wie gesagt vermutlich das letzte Mal, dass Ricky Gervais die Golden Globes moderiert hat. Das ist ein echter Verlust, denn eigentlich bringen seine furchtlosen Gemeinheiten sein erlesenes Publikum erst zum Schillern.

Er nahm sich Leonardo DiCaprios Hang zu jugendlichen Lebensabschnittsgefährtinnen vor ("Während der Premiere des Films wurde ihm seine Freundin zu alt.") und schaffte es auch ansonsten mehrfach, dass den Damen und Herren Filmstars das Lachen im Halse stecken blieb. Beispielsweise mit einem Gag über den IS ("Wenn die einen Streamingdienst starten, ruft ihr eure Agenten an.") und einem über den Kinderschänder Jeffrey Epstein: "Hey, ich weiß, dass ihr alle mit ihm befreundet gewesen seid!"

"Die meisten von euch haben weniger Zeit in der Schule verbracht als Greta Thunberg!"

Als Show hätten die Golden Globes 2020 keine Chance auf einen ihrer eigenen Fernsehpreise - das liegt nicht nur daran, dass die großen Sieger in dieser Kategorie, "Chernobyl" als beste Miniserie und "Succession" über einen Medienmogul und seine Erben als beste Drama-Serie, von Haus aus mehr Gewicht mitbringen als ein Raum voller Millionäre, die sich mit Champagner zuprosten.

Ein Mangel an Struktur machte allem zu schaffen, was Gervais nicht selbst in der Hand hatte: Zwar hat er anfangs zur Kürze bei den Dankesreden gemahnt ("Ihr wisst sowieso nichts über die richtige Welt. Und die meisten von euch haben weniger Zeit in der Schule verbracht als Greta Thunberg."). Dem Rat folgte jedoch kaum jemand.

So wurde die lange Show ein langer Marathon aus beliebigen, viel zu langen Auftritten. Tom Hanks, der mit dem Cecil B. DeMille Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde und durchaus ein sehr konzentrierter und pointierter Redner sein kann, plauderte relativ zusammenhanglos vor sich hin über Erlebnisse im Laufe seiner langen Karriere.

Das denkwürdigste daran war, dass er einmal die großen Regisseure erwähnte, und mit zwei Frauen begann, Nora Ephron und Penny Marshall, und dann später, als er die großen Regisseure lobte, mit denen er nicht gearbeitet hat, "Lina Wertmüller und Martin Scorsese" als Beispiele nannte, als seien diese Reihungen die natürlichste Sache der Welt.

Sie sind es nicht, aber einer wie er kann es so klingen lassen, bis es eines Tages völlig normal klingt. Mit sieben Minuten inklusive Tränenausbruch war seine Rede noch ein bisschen länger als der Durchschnitt. Aber sie war dann auch ein bisschen denkwürdiger.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4745947
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.01.2020/pram
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.