"Gold" im Kino:Mitreißend menschlich

Schwimmerin Kirsten Bruhn in der Dokumentation "Gold"

"Gold" zeigt die querschnittsgelähmte Schwimmerin Kirsten Bruhn in sehr persönlichen Momenten. Sie ist eine der drei Protagonisten der Dokumentation über Behinderte.

(Foto: Olaf Ballnus)

Die querschnittsgelähmte Schwimmerin, der blinde Langstreckenläufer und der Rasende im Rollstuhl: Michael Hammons Dokumentation "Gold" zeigt, warum das Kino Behinderte zu Helden macht. Doch der Film verfällt einem fatalen Schema.

Von Martina Knoben

Behinderte sind im Kino gerade so präsent wie nie. Sie stehen im Zentrum von Liebesgeschichten wie in Jacques Audiards "Der Geschmack von Rost und Knochen" oder unterhalten ein Millionenpublikum als "Ziemlich beste Freunde". Nun porträtiert sie der Dokumentarfilm als Spitzensportler. Michael Hammons "Gold" begleitet drei behinderte Athleten bei ihren Vorbereitungen für die Paralympischen Spiele 2012 in London; im Mai startet "Mein Weg nach Olympia" des contergangeschädigten Regisseurs Niko von Glasow zum selben Thema.

Heldenverehrung ist ja sonst etwas aus der Mode gekommen, hier aber geht sie doch. So finden sich in "Gold" grandiose, mitreißende Zeitlupen und Nahaufnahmen der querschnittsgelähmten Schwimmerin Kirsten Bruhn; der blinde kenianische Langstreckenläufer Henry Wanyoike läuft in hypnotisch schönen Totalen durch die Savanne; der australische Rennrollstuhlfahrer Kurt Fearnley fährt auf den Highway mit Lastwagen um die Wette. Inszeniert hat diese Bilder Michael Hammon, der als Kameramann bekannt wurde, für Andreas Dresen und Pepe Danquarts Sportdokumentationen "Heimspiel" (2000) und "Höllentour" (2004). Hier sucht er die ästhetische Überhöhung.

Es sind jedenfalls drei sehr dynamische Protagonisten in "Gold" zu sehen - das gilt für die Menschen wie für ihren Sport. Schon bei der Berichterstattung über die Paralympics 2012 in London fiel auf, dass sich das Fernsehen zwar mehr als je zuvor für den Behindertensport interessierte, aber immer nur dieselben Sportarten und Athleten in den Blick nahm, während andere Randfiguren blieben. Und es verwundert nicht, dass der Wundersprinter Oscar Pistorius (der in "Gold" übrigens keine Rolle spielt, nur einmal kurz durchs Bild läuft) zur Symbolfigur des Behindertensports wurde und nicht ein Bocciaspieler mit Cerebralparese.

Auch dramaturgisch orientiert sich "Gold" am Sportfilm. Ein Mensch oder eine Mannschaft am Boden, Kampf und schließlich Sieg - das ist das Schema, in das auch die Lebensläufe seiner drei Helden passen. Kirsten Bruhn verunglückte als junge Frau mit dem Motorrad und ist seither querschnittgelähmt; Henry Wanyoike erblindete durch einen Schlaganfall. Beide wollten zuerst nicht mehr weiterleben und brauchten Jahre, ihre Depressionen zu überwinden. Das gelang ihnen mit Hilfe ihres Sports. Nur Kurt Fearnley kam schon mit verkürzten Beinen auf die Welt. Wenn er wandern geht - das heißt bei Fearnley, dass er nur mit Hilfe seiner Arme durch das Farmland seiner Eltern robbt, über einen Stacheldrahtzaun klettert oder einen Bach durchquert - kommt der Zuschauer aus dem Schauen und Staunen kaum mehr heraus. Wenn Fearnley dann noch erklärt, dass ihn erst seine Behinderung so willensstark gemacht hätte, wie er ist, droht dem Film eine unangenehme Schieflage.

Glücklicherweise verliert Hammon die Tragik der Behinderung und die alltäglichen Beeinträchtigungen seiner Protagonisten nie aus dem Blick. So besucht er mit Kirsten Bruhn die Reha-Station in einem Krankenhaus und sieht zu, wie mühsam Unfallopfer nach der Querschnittslähmung lernen, sich vom Liegen zum Sitzen aufzurichten. Als Bruhn selbst von der ersten Zeit nach ihrem Unfall erzählt, kommen ihr die Tränen.

Was sich in den drei Biografien vermittelt, wovon auch andere Filme mit Behinderten erzählen, ist die Zerbrechlichkeit des Glücks. Der reiche Aristokrat in "Ziemlich beste Freunde", der seit einem Paragliding-Unfall vom Hals abwärts gelähmt ist; die schöne junge Frau, die in "Der Geschmack von Rost und Knochen" beide Beine verliert - sie spiegeln die Ängste einer Gesellschaft, in der jeder jederzeit fallen kann. Dazu kommt der allgegenwärtige Zwang zur Selbstoptimierung, gleichzeitig die zunehmende Gewissheit, dass jeder irgendwann an seine Grenzen stößt. In den Filmen über Behinderte (und übrigens auch in den gerade ebenfalls populären Filmen über Krebskranke) wird schon einmal vorgelebt, wie das gehen kann - weiterzumachen in schweren Zeiten.

Dass die Menschen dabei über sich hinauswachsen, passt wiederum in unsere Optimierungsgesellschaft. Und das ist auch die Krux von "Gold": Der Film wirbt für eine Gesellschaft, in der auch Schwächere ihren Platz finden - und stellt dabei doch menschliche Kraftpakete in den Vordergrund.

Gold, D 2013 - Regie: Michael Hammon. Buch: Ronald Kruschak, Andreas Schneider, Marc Brasse. Kamera: Marcus Winterbauer. Verleih: NFP, 106 Min.

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