"Göttersimulation" an den Münchner Kammerspielen:Jeder kann Gott sein

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So sieht es im Theater aus, das ausgewachsene Digital Native, das sich im Zimmer verschanzt. (Foto: Armin Smailovic/KSM)

In Emre Akals "Göttersimulation" an den Münchner Kammerspielen prallen Digital Natives auf eine analoge Generation. Geht das gut?

Von Christiane Lutz

Gott kann man immer brauchen. Vor allem, wenn es um die großen Dinge des Lebens geht, um Leben und Sterben oder wenn man jemanden sucht, der zuständig ist, wenn man nicht weiter weiß. So ist verständlich, dass Walter Hess und Erkin Akal, zwei mittelrüstige Rentner, erst einmal nach Gott fragen, als sie durch die neue Welt stolpern, die sie soeben betreten haben und in der sie, glauben sie, sterben sollen.

Diese neue Welt ist in Emre Akals Uraufführung der "Göttersimulation" an den Münchner Kammerspielen natürlich die digitale Welt, eine bunte Computerweltsimulation. "Das digitale Zeitalter hat begonnen und wir haben es nicht bemerkt", stellt Walter Hess fest. Wie Spotify funktioniere, fragt er in den Zuschauerraum. Keine Ahnung. Zum dritten Mal beschäftigt sich Regisseur und Autor Akal im Theater mit Digitalität und der Frage, was sie für uns bedeutet. Diesmal hat er für sein Projekt sechs Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren gecastet, die mit Walter Hess und Akals Vater Erkin Akal spielen.

In der neuen Welt jedenfalls finden die Herren Gott nicht, denn dort kann jeder Gott sein. Alle Jugendlichen, die sich aus ihren Kinderzimmern heraus imaginieren, leben als eigenwillige Göttinnen und Götter, herrschen über knallpinke Herzchengebäude, über galaktische Sternenhimmel, frohbunte Gärten. Die Bühne und Kostüme, die Paula Wellmann, Annika Lu Hermann und das Künstlerduo Mehmet & Kazim (auch Video) geschaffen haben, sind phänomenal. Die Inszenierung ist halb animiert, halb analog, das Ganze wirkt beim Draufschauen erstaunlich wenig räumlich, wie auch die digitale Welt der Videogames und Sozialen Medien nun mal eine zweidimensionale ist. Hess und Akal sind darin unterwegs wie Super Mario und sein Freund Luigi, reisen durch verschiedene Level auf Erkenntnissuche.

Vom kleinsten Einzelnutzer bis zum Twitter-Milliardär muss jeder einen Weg zwischen digitaler Utopie und digitaler Dystopie finden

In schnellen Szenen sinnieren die jungen Götter über die Erhaltung der Welt und die Sehnsucht nach der Natur, die aber nicht stark genug ist, zurück ins Analoge zu gehen. Vielmehr: Ist das Analoge eigentlich noch die einzig wahre Welt? Ist die digitale Welt nicht längst genauso Natur? Und: Wäre es nicht ein Vorteil, die Welt der verfallenden Körper und des Klogangs dauerhaft gegen diese animierte zu tauschen? Die Göttchen jedenfalls zelebrieren in geschlechtslosen Schaumstoffkostümen ihr Leben, rangeln um die Vorherrschaft im Olymp, während Hess und Akal immer wieder an ihre körperlichen Grenzen stoßen als Normalsterbliche.

Emre Akal ist als Autor und Regisseur gleichermaßen talentiert, der Text ist dicht und doch leicht, seine jungen Spielerinnen und Spieler hat er extrem gut choreografiert, so das kaum Schülertheatergefühle aufkommen. Einzig: Er dampft hier eine sehr komplizierte Debatte - wie wollen wir als Gesellschaft im digitalen Zeitalter leben ? - mehr und mehr auf einen reinen Generationenkonflikt runter. Auf Digital Natives versus Abgehängte, auf Früher und Heute, auf den Unterschied zwischen sehr analogen Körpern der älteren Herren und schillernden animierten Gestalten. Auf den einen Gott versus viele. Eltern verlieren den Kontakt zu ihren Teenagern, die im blauen Licht der Handydisplays verkümmern. Wie man sich da noch begegnen kann, weiß niemand.

Die Reduktion auf diesen Einzelaspekt als Prämisse wirkt Richtung Ende etwas, als würde hier vergessen, dass es sich in einer rasend schnellen, überwältigenden, überfordernden und oft regelfreien Digitalität doch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Vom kleinsten Einzelnutzer bis zum Twitter-Milliardär muss jeder einen Weg zwischen digitaler Utopie und digitaler Dystopie finden. Trotzdem bleiben genug kluge Gedanken, knallbunte Bilder, Sounds, Visuals und Choreografien, die diese prächtig produzierte Inszenierung sehenswert machen.

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