Süddeutsche Zeitung

Gob Squad in Leipzig:Süße Träume

Das deutsch-britische Kollektiv Gob Squad reist in Leipzig mit "1984: Back to No Future" zurück in die Vergangenheit. Leider nur in ihre ganz private. Macht unterm Strich bloß gute Unterhaltung.

Von Christiane Lutz, Leipzig

"Die Zukunft war früher auch besser." Dieser Satz stammt von Karl Valentin und wird jedes Jahr wahrer. Das Morgen ist heute bei Weitem nicht mehr so rosig, wie das Heute gestern schien. Dabei ist es überflüssig zu betonen, dass die Menschen eine besonders miese Zeit hinter sich haben und es großer Fantasie bedarf, sich auszumalen, dass bald alles sehr viel besser sein wird.

Nachvollziehbar also, dass den Menschen der Sinn nach nostalgischem Eskapismus steht. Sich in Erinnerungen flüchten und daran denken, wer man mal war und wie klein die Probleme heute scheinen, die damals groß waren. "Uns ist die Zukunft abhanden gekommen, deshalb schauen wir zurück", erklärt auch das Performance-Kollektiv Gob Squad in der Performance "1984: Back to No Future", die nach einer Uraufführung in Kopenhagen nun am Schauspiel Leipzig Premiere hatte. Allerdings ist diese Rückschau hier eine familiär-persönliche Nabelschau, an politischen Entwicklungen oder gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen hat das Kollektiv erstaunlich wenig Interesse.

In der Residenz des Schauspiels Leipzig treffen sich unterm Dach vier Performer, Berit Stumpf, Sarah Thom, Bastian Trost und Damian Rebgetz. In Kostümen, die man in den Achtzigerjahren futuristisch gefunden hätte, und Andy-Warhol-Gedächtnisfrisuren tanzen sie zu Klassik-Pop-Medleys herum, bevor sie sich auf eine Zeitreise ins Jahr 1984 begeben. 1984, natürlich, das ist das George-Orwell-Jahr und dementsprechend sitzt immer einer der vier als kommandogebender "Großer Bruder" an einem Computer. Zurückgebeamt in ihre Kinderzimmer, die sie hinter Jalousiewänden finden, besuchen sie ihr vergangenes Ich. Meine Poster, meine alte Straße, und schaut, meine Kinderängste!

So kathartisch die Rückschau in die Winkel des Herzens für den Einzelnen sein mag, so wenig interessant ist sie für ein größeres Publikum

Damian Rebgetz, aufgewachsen in Australien, hatte große Angst vor Krokodilen und vor Zyklonen, in Großbritannien, wo Sarah Thom herkommt, pflegte man einen gewissen Grusel vor Margaret Thatcher. Und die täglich drohende atomare Katastrophe natürlich, vor der hatte man 1984 überall Angst. Der Big Brother fordert die Performer auf, in einem auf eine Leinwand gebeamten Videospiel einen Schutzraum vor dem nuklearen Ernstfall zu errichten. Sie bauen ihn aus alten Mixtapes, ein Schutzwall aus der Musik der Achtzigerjahre, die, hin und wieder kurz aufgedreht, die verführerischste der nostalgischen Kräfte darstellt.

Sehr viel mehr passiert dann aber auch nicht mehr. Große Orwell-Thesen wie "Who controls the past controls the future. Who controls the present controls the past" werden maximal gestreift. Das noch geteilte Deutschland, der Eiserne Vorhang, der noch spürbare Terror der RAF tauchen nur am Rande auf. An ein paar Stellen nur schlagen die Performer den gedanklichen Haken; dann, wenn sie die ewige Zeitreisen-Frage stellen: Müsste man nicht im Wissen um die Gegenwart rückwirkend die Vergangenheit und den Blick auf die Zukunft verändern? Hätte man nicht damals schon mit einem "Schulstreik fürs Klima"-Plakat draußen sitzen müssen? Hätte man nicht das Michael-Jackson-Poster abhängen müssen, im Wissen, dass der sowieso irgendwann gecancelt würde? Kurz: Hätte man das Heute damals besser machen können?

Das deutsch-britische Kollektiv Gob Squad war zuletzt mit "Show Me a Good Time" unterwegs und zum Theatertreffen eingeladen, eine zwölfstündige Online-Show bei der man den Performern bei Interviews und Spaziergängen durch leere Theater und Straßen folgen konnte. Ein tröstlich originelles Format, das die Stimmung des von der Pandemie erschöpften Publikums sehr genau traf. Auch bei "1984: Back to No Future" beweist das Kollektiv wieder feines Gespür für die Themen, die die Menschen umtreiben und die unbedingt ins Theater gehören. Und sie beweisen, wie schnell das Theater reagieren kann, wenn es will. Allerdings demonstrieren Gob Squad hier lediglich den Wunsch nach Eskapismus. Sie reichern ihn weder gedanklich an, noch zelebrieren sie ihn lustvoll. "Sweet Dreams" von den Eurythmics wird viel zu schnell runter geregelt, als dass so etwas wie Ausgelassenheit entstehen könnte.

So kathartisch die Rückschau in die tiefsten Winkel des Herzens für den Einzelnen sein mag, so wenig interessant ist sie für ein größeres Publikum. Gob Squad gelingt hier nicht, was sie sonst oft elegant schaffen, nämlich aus dem Kleinen etwas Großes zu machen. "1984: Back to No Future" bleiben also 90 Minuten nette Unterhaltung.

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