Glosse:Im Stuhlkreis

Keine dritte Startbahn, keine Bebauung des Tempelhofer Feldes, kein Olympia. Stattdessen eine Therapie für Bürgermeister.

Von Gerhard Matzig

In der Gruppentherapie wird der Gruppe üblicherweise kein festes Thema vorgegeben. Die Teilnehmer sprechen über das, was sie gerade beschäftigt - sie teilen einander Niederlagen, Höllenstürze und Desaster in freier Form mit. Das kann heilsam sein. Schon deshalb sollten sich jetzt Olaf Scholz (Niederlage), Christian Ude (Höllensturz) und Klaus Wowereit (Desaster) sowie einige weitere amtierende oder gewesene Klein-, Mittel- oder Gernegroßbürgermeister, die am Volk oder schlimmeren Dingen leiden, zum Stuhlkreis einfinden.

Der eine, Scholz, wurde vom Volk gerade per Nein-danke-Volksabstimmung zur Olympia-2024-Bewerbung, wie zu lesen ist, "schockgefrostet". Dem anderen, Ude, wurden nicht nur die Winterspiele 2022 verboten, nein, man kastrierte in einem weiteren Nein-danke-Entscheid an der Isar auch noch den Städtebau, der sich fürderhin unter die Frauenkirche duckt, also bei 99 Meter etwas oberhalb von mittelalterlichen Wehrtürmen endet. Und Berlins Ex? Der wollte aus einer Hunde-Streuobst-Grill-Wiese (Ex-Flughafen Tempelhof) irgendwas Hauptstädtisches machen. Nö, sagten die Berliner - und jetzt bleibt's bei der Ex-Hauptstadt der Ex-Möglichkeiten.

Apropos Möglichkeiten: Womöglich brauchen die Bürgermeister nicht nur eine Gruppen-, sondern mitsamt dem jeweiligen Wahlvolk auch Paartherapien. Man hat sich offenbar entfremdet. Oder liegt es an der Demokratie? Hätte sich Köln per Bürgerentscheid einst für den Dom ausgesprochen, für eine Jahrhundertbaustelle? Niemals. Hätte man Neuschwanstein durchgewunken? Bauen im nicht zum Wohnen ausgewiesenen Außenraum zum Wohle eines antidemokratischen Promis? Wohl wahnsinnig geworden. Und nun? Die Demokratie per Volksentscheid abwählen lassen? Schon gut. Vielleicht ist das mit dem Schockfrosten gar keine üble Idee. Einfach mal alles, was groß, visionär, utopisch oder sogar doof und teuer ist, ins Gefrierfach legen. Und dann reden, reden, sehr viel reden.

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