"Gloria" im Kino:Doch der Knochenmann tanzt

Paulina Garcia in dem Film "Gloria" von Sebastián Lelio

Mit feuerrot geschminkten Lippen in der Bar: Gloria (Paulina Garcia)  tanzt und flirtet.

(Foto: Alamdoe Film)

Eine Frau, die sich frei fühlen will, auch im Alter: Paulina García gibt der "Gloria" im gleichnamigen Film von Sebastián Lelio sowohl Selbstbewusstsein als auch Verletzlichkeit. Der Tod zeigt sich bei ersten flüchtigen Begegnungen, doch wie er tanzt sie zu wehmütig-trotzigen Hymnen.

Von Martina Knoben

Am Ende ist doch noch der Ohrwurm von Umberto Tozzi zu hören - Gloria, Gloriaaa -, eine wehmütig-trotzige Hymne auf unsere Heldin. Sebastián Lelio hat den Film seiner Hauptdarstellerin Paulina García gewissermaßen auf den Leib geschrieben, wobei es vor allem Glorias Gesicht ist, das er nicht aus den Augen verliert.

Ganz am Anfang entdeckt es die Kamera inmitten einer Menschenmenge. Da steht Gloria an der Bar einer Diskothek, das Somnambule des Rauschs scheint sie wie eine Wolke zu umgeben.

Gloria, die nicht mehr jung ist, eine Endfünfzigerin mit großer Brille, ein paar scharfen Falten und einer nicht mehr zu vertreibenden Müdigkeit im Gesicht, lässt den Blick durch den Raum schweifen, schlendert über die Tanzfläche und spricht dann einen Mann an, den sie offenbar so flüchtig kennt, dass der sich zuerst nicht an sie erinnert.

Gloria tanzt und flirtet und stakst dann doch wieder alleine nach Hause. "Gloria" ist der vierte Spielfilm des chilenischen Filmemachers Sebastián Lelio (nach "La Sagrada Familia", 2005", "Navidad", 2009, und "El año del tigre", 2011), er hätte darin die Frauen aus der Generation seiner Mutter porträtieren wollen, hat Lelio erklärt: Frauen um die sechzig, "für die niemand sonderlich viel Zeit zu haben scheint und die trotz all der Jahre, die sie schon hinter sich gebracht haben, immer noch nicht zu resignieren bereit sind".

Diese Generation hat den Sturz Allendes und die Pinochet-Diktatur erlebt - Umbrüche, Enttäuschungen, die repressive Stimmung dieser Zeit. Auch wenn das in keinem Moment direkt angesprochen wird im Film, ist es doch diese politische Vergangenheit des Landes und seiner Menschen, die die vermeintlich private Geschichte von Gloria grundiert.

Gloria ist geschieden, ihre Kinder sind aus dem Haus; ihr Bürojob scheint sie nicht sonderlich auszufüllen. Der Film folgt ihr durch ihren Alltag, wobei Popsongs aus den Achtziger- und Neunzigerjahren immer wieder Glorias Stimmung intonieren. "Ich fühl mich frei, frei, frei", singt sie im Auto.

Sie lässt sich fallen - doch etwas stimmt nicht

Wenn sie glücklich ist, ist Gloria sehr hübsch. Mit feuerrot geschminkten Lippen besucht sie wieder einmal eine Tanzbar, ein Treffen für Ältere, und wird diesmal angesprochen. Rodolfo (Sergio Hernández) war früher Marineoffizier, ist noch ein paar Jahre älter als Gloria und ebenfalls geschieden, wenn auch noch nicht so lange.

Er will seinem Leben eine neue Richtung geben, hat seinen Magen verkleinern lassen, um sein Übergewicht in den Griff zu kriegen. Gloria erklärt er auf die rührendste Art und Weise mit einem Gedicht seine Liebe. Und die lässt sich fallen, kann ihren Wunsch nach einer Beziehung endlich ausleben.

"Vertigo Park" heißt der Vergnügungspark, den Rodolfo betreibt, in dem sich Gloria im Bungee Jumping versucht. Bis sich die Anzeichen häufen, dass Rodolfo vielleicht doch nicht der Traummann ist, als der er erscheint. Auf einer Familienfeier Glorias haut er einfach ab.

Die Skepsis einer älteren Frau und die Süße eines Mädchens

Für ihre Darstellung wurde Paulina García bei der Berlinale 2013 mit dem Silbernen Bären geehrt - zu Recht. In ihrem Gesicht lassen sich Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit gleichermaßen ablesen, trifft die Skepsis einer älteren Frau unvermittelt auf die Süße und Begeisterungsfähigkeit eines Mädchens.

Durchschnittlich und besonders zugleich wirkt Gloria. Wie auch der Film auf den ersten Blick brav naturalistisch anmutet, wenn nur die vielen surrealen Momente nicht wären - wie die hässliche nackte Katze des Nachbarn, die sich immer wieder in Glorias Wohnung verirrt.

Oder das tanzende Skelett auf der Straße, eine Marionette, der Gloria lange zusieht. Es ist wie eine flüchtige erste Begegnung mit dem Tod - Szenen wie diese ziehen eine Art zweiten oder gar dritten Boden in die Geschichte ein. Meint das Skelett nicht auch Chile? Ein Land, das - wie in einer geselligen Runde diskutiert wird -, unter enormer gesellschaftlicher Spannung steht, in dem die Menschen auf den Straßen demonstrieren und die Kinder auswandern, wie Glorias Tochter. Und doch tanzt der Knochenmann - ganz so wie Gloria am Ende - zu lustiger Musik.

Gloria, Spanien/Chile 2012 - Regie: Sebastián Lelio. Buch: Sebastián Lelio, Gonzalo Maza. Kamera: Benjamín Echazarreta. Schnitt: Soledad Salfate, S. Lelio. Mit: Paulina García, Sergio Hernández, Diego Fontecilla, Fabiola Zamora. Verleih: Alamode, 110 Minuten.

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