"Globalesisch oder was?" von Jürgen Trabant:Zunge zeigen, Europa!

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Selten ist ein Untergang kundiger, geistreicher und bewegender besungen worden. In seinem neuen Buch "Globalesisch oder was?" streitet Jürgen Trabant für die Sprachvielfalt. Vor kulturpessimistischen Jeremiaden ist man bei bei ihm allerdings sicher.

Von Hermann Unterstöger

Als es mit dem Doktor Faust zu Ende ging und er den Teufelspakt einlösen musste, wurde er traurig, und "dise Trawrigkeit bewegt den Faustum", wie es im alten Volksbuch heißt, "das Er seine Wee Clag aufzeichnet". Der Romanist und Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant ist kein Doktor Faust, und mit dem Teufel hat er nach allgemeinem Dafürhalten auch nichts laufen. Trotzdem ist er, was die Zukunft des Deutschen und der Sprache überhaupt angeht, sehr traurig, und diese Traurigkeit bewog ihn nun, seine Wehklag aufzuzeichnen und daraus das Buch "Globalesisch oder was?" zu machen. Selten ist ein Untergang kundiger, geistreicher und bewegender besungen worden.

Um zu zeigen, wie illusions- und hoffnungslos Trabant an seine Sache herangeht, empfiehlt sich ein Blick in die Diagnose, die er weit hinten im Buch stellt. "Das vormals großartige Deutsche", schreibt er da, "wird durch die historisch motivierte Depressivität seiner Sprecher, durch eine völlig verfehlte Schul-Sprachpolitik und durch die Globalisierungseuphorie der Eliten der deutschsprachigen Länder weiter hinabsinken auf die Ebene einer Vernakularsprache." Der Schlussstein im Haus der Kultursprache, also die Sprache der Wissenschaften und der Bildung, sei schon gefallen, das Haus habe kein Dach mehr, es regne hinein - nichts mehr zu retten.

Was Sprache über das schiere Kommunizieren hinaus vermag

Das klingt nach einem Lamento, wie man es auch andernorts und jederzeit hören kann, nach einer dieser kulturpessimistischen Jeremiaden, die nicht selten in ein beleidigtes "Mit uns kann man's ja machen" einmünden. Davor ist man bei Trabant sicher. Vor beiläufig zehn Jahren hat er seinen "Mithridates im Paradies" herausgebracht, eine üppige Summe dessen, was Sprache über das schiere "instrumentelle" Kommunizieren hinaus vermag.

Von der historischen Figur des anerkannt polyglotten Königs von Pontus, der den einsprachigen Römern bemerkenswert lang Widerstand leistete, ließ sich seinerzeit recht elegant eine Linie zur kulturellen Diversität ziehen, der heute "der universalistische Wind" ins Gesicht bläst. Man wird nicht fehlgehen, wenn man "Globalesisch" als zugespitzte Fortschreibung des "Mithridates" auffasst. Plakativ könnte man den Tenor des neuen Buchs so vorstellen: Die Römer sind uns näher gerückt, und wenn, was mehr als unwahrscheinlich ist, kein Wunder geschieht, wird Mithridates, und mit ihm die Vielfalt der Sprachen, ein weiteres Mal der Verlierer sein.

Abrechnung mit dem Englischen

Um noch kurz beim Plakativen zu bleiben, so könnte man ferner sagen, dass Jürgen Trabant hier mit dem Englischen abrechnet. Das wäre zwar eine Freude für all die, die Deutschland als anglo-amerikanische Kolonie ansehen, aber man täte dem Mann damit gewaltig Unrecht. Im Kern geht es Trabant gar nicht darum, dem Englischen am Zeug zu flicken, sofern es sich um jenes Englisch handelt, das als die neue Lingua franca längst die Welt beherrscht und das als solche ja auch von allen beherrscht werden sollte. Sein Vorbehalt gegen das Englische ist ein sprachkultureller und findet seine Nahrung unter anderem in der Furcht vor dessen glottophagischer Kraft.

Den Begriff der Glottophagie, der Sprachenfresserei, hat der Linguist Louis-Jean Calvet eingeführt. Er verwendete ihn für das Französische, das nach der Revolutionen die übrigen Regionalsprachen verschlang oder jedenfalls erfolgreich in den Untergrund abdrängte. Trabant sieht das Englische mit einem vergleichbaren Appetit gesegnet. Seine pessimistische Vision hört sich so an: Wie das Bretonische oder das Okzitanische im Französischen versanken, versinken dann das Deutsche, Italienische oder Estnische im Englischen.

Damit verschwinden aber auch die unterschiedlichen "Weltansichten", die Sprachen ausmachen, die Kulturen, die sich in ihnen manifestieren, "vor allem die in den Volkssprachen entfalteten reichen Textwelten und ungeheuren Wissensvorräte". Was von diesen Sprachen im Englischen bliebe, wäre allenfalls noch Substrat, eine "matte materielle Erinnerung an frühere Zeiten".

Es ist nicht ohne Witz, dass Trabant, der sich hier mit dem gefräßigen Englischen anlegt, die letzten fünf Jahre Professor für europäische Mehrsprachigkeit an der Bremer Jacobs-Universität war. Genauer gesagt hatte er an der Jacobs University Bremen, where they . . . also wo man englisch spricht, den Conrad Naber Chair for European Plurilingualism inne, und wer, wenn nicht er, sollte wissen, wie weit sich das Globalesische schon vorangearbeitet hat.

Vorgegebene Rangordnung

Trabant hält das Konzept der Mehrsprachigkeit, so wie es derzeit in Europa propagiert wird, für ein Phantom. Was darin als Mehrsprachigkeit vorgespiegelt werde, laufe in Wirklichkeit auf eine ganz besondere Zweisprachigkeit hinaus, weil es nur um eine Sprache gehe, nämlich um das Englische als Zweitsprache Europas. Die Rangordnung in dieser Diglossie sei heute schon vorgegeben: Das Englische würde die Sprache für die hohen Diskurse, das Deutsche oder sonst eine europäische Sprache sänke zur Alltags- oder Vernakularsprache ab, eine Vision, bei deren Schilderung es Trabant nicht versäumt, die lateinische Wortwurzel verna (der Haussklave) auszugraben und vorzuzeigen.

Diesem Konzept hält Trabant das Modell M + 2 entgegen. Es bedeutet, dass jeder Europäer neben seiner National- oder Muttersprache und dem ohnedies unausweichlichen globalen Englischen eine dritte Sprache lernen sollte. Wer jetzt "auweh" sagt, kann sich schnell wieder beruhigen, weil das mit der Drittsprache nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht zu werden scheint. So wünschenswert eine "fix und fertige Sprachkompetenz" auch sein mag, so wenig ist sie das einzig mögliche Ziel. Fragt man danach, welche "Sprachigkeit" den Adepten bildet, so reicht oft schon das Bemühen darum, das Sich-Einlassen auf die andere Sprache, die Sprache des Anderen. "Das ist", sagt Trabant, "die wichtige und fundamentale Geste, und es ist diese Gebärde, die bildet" und die, mit Hegel zu reden, zur "Befreundung" mit der fremden Welt sowie zum "Wiederfinden unserer selbst" dient.

Besondere Weisen, das Denken zu produzieren

Die Gefahr, eine kurzatmige Polemik abzuliefern, umgeht Trabant dadurch, dass er gewichtige Exkurse einbaut, etwa zum Sprachdenken von alters her oder zur questione della lingua und deren Bedeutung für die Wertung der Nationalsprachen. Was den Autor angeht, so hat er es im Französischen entschieden weiter gebracht als nur bis zum Sich-Einlassen, weswegen er dieser seiner Brudersprache denn auch das Buch widmet: "À ma langue fraternelle." Der Nähe zur anderen Sprache verdankt seine Streitschrift die schönsten, um nicht zu sagen: innigsten Passagen.

Es sind die, in denen vom, mit Verlaub, Segen der fremden Sprachen gehandelt wird, in denen es darum geht, dass Sprachen "geistige Gebilde sind, deren Erlernung eine kostbare intellektuelle und emotionale Bereicherung ist". Europa müsse, so Trabant, zu der Einsicht kommen, dass es nicht ausreicht, so effizient und weiträumig wie möglich zu kommunizieren. Es müsse seine Sprachen vielmehr dafür schätzen, dass sie "besondere Weisen sind, das Denken zu produzieren", darüber hinaus "kostbare vielfältige Möglichkeiten, die Welt zu erfassen".

Jürgen Trabant: Globalesisch oder was? Ein Plädoyer für Europas Sprachen. Verlag C. H. Beck, München 2014. 240 Seiten, 18,95 Euro.

© SZ vom 21.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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