Süddeutsche Zeitung

Globaler Klima-Aufruf:Kinder der Evolution

Beim Klimagipfel der Ted Conference begeistert vor allem der Papst mit seiner Rede. Dabei braucht die Bewegung eigentlich keine Helden.

Von Andrian Kreye

Am Samstag war Papst Franziskus einer der Redner eines globalen Klima-Aufrufs, bei dem neben vielen Wissenschaftlern und Aktivisten auch Prominente wie Jane Fonda, EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und die Darsteller der Marvel-Filmhelden Thor, Hulk und War Machine sprachen. Der Papst hält sich in einem solchen Rahmen erstaunlich gut, was vor allem daran liegt, dass er immer schon ein Meister darin war, seine politische Haltung und die Heiligkeit seines Amtes in joviale Gesten zu verpacken. Da kann es schon mal passieren, dass er die Menge auf dem Petersplatz nach einer Tirade gegen Donald Trump und dem Segen mit einem "buon pranzo" verabschiedet, was dem bayerischen "Mahlzeit" entspricht.

Am Samstag eröffnete er seinen Vortrag mit einem "buon giorno" und brachte dann gleich mal das Dilemma des Klimakampfes auf den Punkt. Auf der einen Seite, so sagte er, fordere die Wissenschaft mit immer größerer Präzision und Dringlichkeit, dass die Menschheit ihr Verhalten ändere und zwar sofort. Er betonte dann, dass er nichts dramatisiere, das sei die Wissenschaft, die das sage, wenn wir radikalen und katastrophalen Klimawandel verhindern wollten. Auf der anderen Seite verlange das Gewissen, dass wir uns der Armen annehmen. So einiges an Kapitalismuskritik folgte.

Dann forderte er eine "integrale Ökologie". Und drei konkrete Schritte. Ein Bildungswesen, das auf der Basis von Wissenschaft und Ethik lehrt, dass Umweltprobleme und menschliche Bedürfnisse zusammenhängen. Eine Ernährungspolitik, die Wasser zum Menschenrecht erklärt und die zerstörerischen Aspekte der Nahrungsmittelproduktion beendet. Und einen Energiewandel mit einer schrittweisen Abkehr von fossilen Brennstoffen.

Nun kann man sich wundern, warum ausgerechnet der Papst einer der Höhepunkte an Glamour und Rhetorik war bei einer Online-Veranstaltung, welche die Ted Conference organisiert hatte, die sonst Gipfeltreffen der Wissenschafts- und Technologie-Gläubigen veranstaltet. Womit man schon bei der Schlüsselfrage wäre, wie die Klimabewegung der Gegenwart ihren Marsch durch die Institutionen organisieren kann, wenn es um eine Krise geht, die nicht nur ein System, sondern die gesamte Menschheit betrifft.

Corona macht die Antwort nicht leichter. Wie alle 50 anderen Vortragenden auch, hatte der Papst seine Ansprache als Heimvideo angeliefert, ein Format, mit dem selbst Kameraprofis wie Chris Hemsworth und Jane Fonda nicht besonders souverän umgingen am Samstag. Es mag einen demokratischen Kern haben, dass auch Menschen auf den Überholspuren aller möglichen Eliten nun gezwungen sind, ihr gesellschaftliches Leben in die Krötentunnel der Videokonferenzplattformen zu verlegen. Für eine globale Bewegung ist das eine Bremse. Gerade weil die Klimabewegung an einem Punkt angelangt ist, an dem die nächsten Schritte anstehen.

Die USA haben sich als moralische Supermacht verabschiedet. Füllt der Papst jetzt diese Lücke?

Der Klimagipfel am Samstag war als so ein nächster Schritt geplant. Mit dem Titel "Countdown" sollte er im norwegischen Bergen stattfinden und den Start einer Initiative markieren, bei der sich Institutionen und Bürger dazu verpflichten, nach Lösungen zu suchen, die eine Halbierung der CO₂-Emissionen ermöglicht.

Der Countdown hat nun trotz des Social Distancing begonnen, das sich in diesem Fall über Kontinent und Weltmeere erstreckt. "Die Pandemie hat den Fokus von der Klimakrise abgelenkt", sagt Chris Anderson, Chef von Ted. "Aber das Coronavirus wird die Leben unserer Kinder und Kindeskinder nicht auf Dauer überschatten. Der Klimawandel schon." Die Liste derer, die sich verpflichtet haben und auch auftraten, ist durchaus beeindruckend. UN-Generalsekretär António Guterres und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verkündeten große Schritte ihrer Organisationen. Vertreter von Ikea und Amazon versprachen, ihre Lieferketten klimaneutral zu machen. Prince William trat mit einem anrührenden Video aus dem Windsor Castle Park die Aktivisten-Thronfolge seines Vaters Charles an. Die Legende der amerikanischen Friedens- und Frauenbewegungen Jane Fonda moderierte ein Segment des Appells gemeinsam mit der 18-jährigen lateinamerikanischen Klimakämpferin Xiye Bastida, um zu zeigen, dass Klima kein Generationenkonflikt ist.

Horrorszenarien und Hoffnung: Corona hat gezeigt, wie schnell sich die Menschheit ändern kann

All das wurde flankiert von wissenschaftlichen Kurzvorträgen. Vor allem Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zeichnete ein Horrorszenario der Gegenwart. Neun von fünfzehn biophysikalischen Systemen, die das Klima der Erde regulieren, seien auf dem Weg zu unumkehrbaren Wendepunkten. Einig waren sich vom Papst bis Rockström alle - jetzt muss gehandelt werden. Die nächsten zehn Jahre entscheiden alles. Mit vorsichtig optimistischen Fußnoten wie Rockströms Bemerkung: "Wir können das schaffen. Wir wissen wie."

Warum aber war der Vortrag des Papstes am stärksten? Weil zwar niemand den orangefarbenen Elefant im Raum erwähnte, aber natürlich schlingert die Weltgemeinschaft gerade orientierungslos durch die Weltgeschichte. Die USA, die moralische Supermacht des 20. Jahrhunderts, hat sich in Isolation und Selbstzerfleischung verabschiedet. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte Amerika seine Botschaft von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie mit einem Höchstmaß an Idealismus in die Welt getragen, flankiert von Heldenfiguren, dem coolen Soundtrack des Rock und des Jazz und Hollywoodfilmen mit zutiefst moralischen Botschaften.

Viele springen in die Bresche. Niemand mit dieser Wucht. Die Vereinten Nationen und die Europäische Union mögen ihre Geschichte als Friedensstifter des späten 20. Jahrhunderts noch so oft ins Feld führen, für viel zu viele sind sie als supranationale Institutionen der Inbegriff globaler Bürokratie. Nur wenn sie Leistungen vorlegen, können sie kurz glänzen. Emotional reißen sie nur wenige mit.

Konzerne wie Ikea und Amazon haben zunächst einmal überhaupt keine moralische Macht, weil sie als Motoren der Globalisierung Symbole der wachsenden Ungleichheit sind. Und wie sollen Hollywoodstars eine Bewegung begeistern, die in Filmen mitspielen, welche die emotionale Wirkung einer Grafikkarte haben?

Bleibt also der Papst? Als Heiliger Vater vertritt er qua seines Amtes ja doch immer noch ein Weltbild, das die meisten Ted-Conference-Besucher eher dem magischen Realismus zuordnen. Auch wenn er seine Forderung nach einer integralen Ökologie an "alle Menschen des Glaubens, egal welchen Glaubens und an alle Menschen des guten Willens" richtete. Und doch sollte man sich nicht täuschen lassen.

Die Klimabewegung ist keine Revolution. Sie braucht keine Helden. Die Menschheit lebt in evolutionären Zeiten. Das zeigen die Pandemie und anderen Naturkatastrophen des Jahres 2020, die Feuersbrünste und Wirbelstürme, die Fluten und Dürren. Und die zeigen auch die Hoffnung. "Das ist eine exponentielle Bewegung", sagt Bruno Giussani, Kurator des Samstags. "Sehen Sie - Kalifornien verbietet ab 2035 den Verkauf Benzin-getriebener Autos. China will bis 2060 klimaneutral sein. Städte wie Paris und Amsterdam sind schon auf dem Weg. Die Solar- und Windenergiefirma NextEra Energy ist an der Börse mehr wert als Exxon. Das alles sind Anekdoten. In Summe sind sie ein Trend."

Noch bleibt die Aufklärung eine große Aufgabe der Bewegung. Der Papst kann da mehr Störrische überzeugen als Greta. Und eines hat die Menschheit bei Corona bewiesen: Wenn es sein muss, kann sie sich ändern. Sogar in wenigen Tagen. Auch über geografische Distanzen, die sich nur digital überwinden lassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5061993
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.