"Global Citizen Festival":"Kämpft weiter, macht weiter Lärm"

G20 - Global Citizen Festival-Konzert

Als Herbert Grönemeyer im Duett mit Chris Martin "Mensch" singt, hat ein sichtbarer Teil des Publikums die Arena bereits verlassen.

(Foto: dpa)

Chris Martin war da, Shakira und Justin Trudeau: Das "Global Citizen Festival" in Hamburg wollte mehr als ein Konzert sein. Aber wie viel Aufklärung hält das Publikum eigentlich aus?

Konzertbericht von Tim Neshitov

Kurz nachdem am Donnerstagabend die Polizei am Fischmarkt Wasserwerfer und Tränengas einsetzt, sagt Lars Ulrich: "Keep fighting, keep making noise!" Der Schlagzeuger von Metallica schickt Videogrüße nach Hamburg: Kämpft weiter, macht weiter Lärm. Er wendet sich nicht an den Anti-G-20-Protestzug in der Hamburger Innenstadt, sondern an das Publikum eines Konzerts sieben Kilometer weiter nordwestlich, in der Barclaycard-Arena im Altonaer Volkspark.

Chris Martin hat hier gerade sein gar nicht so kämpferisches Liebeslied "Yellow" gesungen, im Duett mit Shakira: "Look at the stars, look how they shine for you ..." Das Publikum summt mit, Handys schwenken und filmen. Aber das Publikum liest auch die Eilmeldungen auf den Smartphones: Ist die Welt da draußen noch in Ordnung? Tränengas, Wasserwerfer, meine Güte, Digga. Keep fighting.

Dieses Konzert, das Global Citizen Festival, ist eine zusätzliche Protestflankierungsveranstaltung zu G 20. Der Lärm - Lars Ulrich versteht etwas von Lärm - aus dem Volkspark soll die chronisch vergesslichen Politiker an ihre Versprechen erinnern, dem Elend der Welt ein Ende zu setzen. Keinen Hunger soll es mehr geben, keine Kinder, die nicht zur Schule gehen können, keine Frauen, die nicht verhüten dürfen, keine Dörfer ohne Trinkwasser. So lauten ungefähr die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung.

Und so ist das Konzert in Hamburg auch mehr als ein Konzert. Es ist ein Event mit einem hohen Unterhaltungswert, aber einem mindestens so hohen aufklärerischen Anspruch. Coldplay spielen "Viva la Vida", ein zeitloses Lied über Macht und Ohnmacht, dann bekommt das Publikum mitgeteilt, wie viele Prozent des Bruttoinlandsprodukts Deutschland mittlerweile für die Entwicklungshilfe ausgibt (0,7 Prozent). Man erfährt, dass 946 Millionen Erdbewohner ihre Notdurft im Freien verrichten müssen, dann tanzt man zu Elli Gouldings "Love Me Like You Do".

200 Millionen Frauen weltweit haben keinen Zugang zu Verhütungsmitteln, erfährt man, und Pharrell Williams singt "Get Lucky". Pharrell Williams fragt in die Menge: "Wollt ihr wissen, wie sich das Ende der extremen Armut anhört?" Und singt, was denn sonst, "Happy".

Leute, wir ziehen hier alle an einem Strang

Zwischendurch kommen unzählige Politiker auf die Bühne, was vor zehn Jahren noch unvorstellbar war: Kanadas Premier Justin Trudeau ("Ihr seid nicht die Leaders von morgen, ihr seid die Leaders von heute.") Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ("Eine geile Nummer hier!"). Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, der allerdings ein bisschen ausgebuht wird, er hat ja G 20 nach Hamburg geholt.

Grundgefühl: Leute, eigentlich ziehen wir hier alle an einem Strang. Das liegt einerseits daran, dass es weniger denn je die Politik gibt. G-20-Protest heute bedeutet: Trump bäh, Trudeau wow, Merkel ähm. Andererseits liegt besorgte, aufgeweckte Musik wieder im Trend. In den USA spricht man von woke pop, und es ist schwer, Künstler zu finden, die nicht für ein Ende der Armut, für Frauenrechte oder gegen die Erderwärmung wären.

Zur Verstärkung kaufen sich die Fans Bier. Und Eis. Und Bier.

Der Popmusiker Andreas Bourani ist dabei, Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg, die Chefs von Weltbank und Weltgesundheitsorganisation, Schüler aus Malawi, aus Pakistan, Flüchtlinge aus Syrien, eine Bewohnerin des Himalaya (die Gletscher dort schmelzen), ein herrlich kampfbereiter Gordon Brown, Lena Meyer-Landrut, der argentinische Präsident Mauricio Macri. Das Event dauert knapp fünf Stunden. Das Publikum stärkt sich mit Bier, Frikadellen und Würstchen. Und Bier. Und Eis. Und Bier. Als Unicef-Botschafterin Shakira von ihren Plänen erzählt, bei den Vereinten Nationen einen globalen Bildungsfonds durchzusetzen, stimmen zwei Bierselige im Publikum Grönemeyers "Mensch" an.

Als Grönemeyer selbst das Lied singt, im Duett mit Chris Martin, hat ein sichtbarer Teil des Publikums die Arena bereits verlassen. Vielleicht, weil es bald Mitternacht ist und man im lahmgelegten Hamburg noch irgendwie nach Hause kommen will. Vielleicht, weil diese Mischung aus Unterhaltung und Weiterbildung auch anstrengend ist. Ausverkauft war die Arena nicht; von den möglichen 16 000 Zuschauern waren 11 000 da.

Vor zehn Jahren hat Herbert Grönemeyer ein ähnliches Konzert auf einer sonnenüberfluteten Wiese organisiert. In Hörweite des Grand-Hotels Heiligendamm, in dem damals die G-8-Chefs zusammenkamen. Von den damaligen Spitzenpolitikern sind heute noch Merkel und erneut Japans Shinzo Abe sowie Putin im Amt. Bereits 1985 hatte Grönemeyer, der nun in Hamburg als Gast auftritt, vor dem Kölner Dom ein Konzert für Afrika organisiert, einen deutschen Ableger von Bob Geldofs Band Aid.

Aber viel weiter kann man bei diesem Format nicht zurückdenken: Künstler haben zwar immer an Machthaber appelliert. Doch der Gedanke, von der Bühne aus die Menschheit zu ernähren, ist ein Produkt der Achtziger. Im Verhältnis zwischen Pop und Politik hat sich seitdem einiges verändert, nur die Grundkonstellation bei diesen Konzerten bleibt dieselbe: Gute Laune zu guten Absichten. Und die Frage: Wie kriegen es Tausende Erwachsene hin, derart gute Laune zu haben, obwohl es um derart viel Elend geht?

Der Mensch hinter dem Global Citizen Festival heißt Hugh Evans, ein 1983 geborener Australier. Nicht weltberühmt, aber eine Größe in der karitativen Szene. Evans sammelte bereits mit zwölf Geld für Hilfsprojekte, als Student gründete er das Global Poverty Project. Er will, nicht anders als die Vereinten Nationen, die Armut beenden, bis 2030. Das jährliche Global Citizen Festival ist Evans' wichtigstes Mittel dafür. Vergangenes Jahr in New York, kommendes Jahr in Buenos Aires.

Hugh Evans schwärmt von einer Welt der Weltbürger

Anders als bei Band Aid wird auf diesen Konzerten kein Geld gesammelt. Nur ein Fünftel der Karten wird verkauft, der Rest verlost. Um an der Verlosung teilzunehmen, müssen die Fans Online-Petitionen unterzeichnen, Mails schreiben, twittern, so wird Druck auf Politiker und Unternehmen aufgebaut, damit diese sich für die Rettung des Planeten einsetzen. Hugh Evans schwärmt von einer Welt der Weltbürger, der global citizens, die gemeinsam Weltprobleme lösen, indem sie, wie Lars Ulrich das nennt, Lärm machen. Nach Angaben von Global Citizen Festival haben global citizens bereits finanzielle Zusagen im Wert von 30 Milliarden US-Dollar erwirkt, was einer Milliarde Menschen zugutekomme.

Auf der Bühne in Hamburg verkündet Hugh Evans, erst mal ohne Details zu nennen, allein dieses Konzert habe Zusagen von 706 Millionen US-Dollar ermöglicht, was 113 Millionen Menschen weltweit zugutekommen werde. "Together we will make our planet great again!"

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