Süddeutsche Zeitung

Glenn Greenwald in München:Von der "Tyrannei des schwarzen Rucksacks"

Er hat die Enthüllungen von Edward Snowden öffentlich gemacht: US-Journalist Glenn Greenwald spricht im Münchner Literaturhaus von schlaflosen Nächten, Angriffen aus den Medien und ersten Anzeichen des Wandels.

Von Jörg Häntzschel

Glenn Greenwalds Deutschland-Tournee ist ein Triumphzug. Nachdem er am Donnerstag schon bei Beckmann aufgetreten war, saß er am Freitagabend im Münchner Literaturhaus auf dem Podium. Immer wieder wurde er unterbrochen von donnerndem Applaus aus dem vollen Saal. Der amerikanische Journalist, der gemeinsam mit Laura Poitras die NSA-Dokumente von Edward Snowden an den Guardian und andere Zeitungen und Magazine weitergereicht hatte, war gekommen um sein Buch "Die globale Überwachung" vorzustellen. Darin erzählt er die Geschichte des größten Geheimdienstskandals der letzten Jahrzehnte aus seiner Sicht. Von den ersten, wenig glaubwürdig erscheinenden Mails, die Snowden an ihn schickte, bis zu Snowdens Flucht nach Moskau und dem nicht endenden Nachhall der immer neuen Leaks auf der ganzen Welt.

Man hat, seit Greenwald am 6. Juni letzten Jahres im Guardian die erste Stufe der NSA-Bombe platzen ließ, viel Schlechtes über ihn gehört: Er sei aggressiv, demagogisch, ein "Robespierre oder Trotzki", wie ihn ein Kritiker der New York Times erst vor wenigen Tagen beschrieb. Dass in seinem Garten in Rio, wo er mit seinem Ehemann David Miranda lebt, zwölf Hunde toben, rundete das Bild ab.

In München war nichts davon zu spüren. Klarer, konzentrierter, freundlicher, besonnener hätte Greenwald nicht auftreten können - bemerkenswert nach den Angriffen, mit denen er in den letzten Monaten vor allem in der amerikanischen Presse überzogen wurde. "Diese Angriffe sind leider völlig normal", sagte er, und erinnerte an die Kampagne gegen Daniel Ellsberg, der am Ende des Vietnamkriegs die Pentagon Papers der New York Times zugespielt hatte. "Wären sie nicht gekommen, hätte ich mir ernsthaft Sorgen um die Bedeutung meiner Arbeit gemacht."

Überrascht von den unübersehbaren Anzeichen des Wandels

Immerhin gab er zu, dass er monatelang kaum geschlafen habe, und an der "Tyrannei des schwarzen Rucksacks" fast verrückt geworden zu sein, in dem er die Festplatten mit NSA-Dokumenten mit sich herumtrug, wohin er auch ging. Snowden hingegen habe sogar in Hongkong, in der kritischsten Phase ihrer Zusammenarbeit, jede Nacht siebeneinhalb Stunden geschlafen. Als er ihn diese Woche in Moskau besucht habe, habe er den glücklichsten Mann getroffen, den er je gesehen habe, sagte Greenwald. David Miranda stellte ein Foto auf seinem Facebook-Profil online, das Snowden, Miranda, Greenwald und Poitras beim Treffen in Moskau zeigt.

"Er ist ruhig, ohne Zweifel, ohne Angst, ohne Bedauern." Snowden, so Greenwald, bewege sich frei in Moskau, gehe einkaufen und besichtige die Stadt.

Auch Greenwald bemühte sich, Optimismus statt Resignation zu verbreiten. Dass die NSA noch immer existiere und die kürzlich in Washington verabschiedete Reform nicht mehr sei als ein Reförmchen, entmutige ihn keineswegs. "Nicht einmal in unseren kühnsten Träumen hatten wir eine so große Reaktion der Weltöffentlichkeit auf die Leaks erwartet", meinte er.

Ebenso positiv überrascht sei er von den unübersehbaren Anzeichen des Wandels, den Snowden ausgelöst habe: die Bemühungen in Europa und anderswo, Internetstrukturen zu schaffen, die außerhalb amerikanischer Kontrolle liegen; der Bruch zwischen der NSA und den Tech-Firmen des Silicon Valley, die "panische Angst" hätten, das Vertrauen der Kunden zu verlieren; und die Initiativen, Verschlüsselungssoftware auch für die breite Masse verfügbar und brauchbar zu machen.

Das Google-Urteil als Infrastruktur für Zensur

Greenwald prophezeite, diese Technologien würden in absehbarer Zeit standardmäßig verwendet. Nur eines dürfe man nicht erwarten: dass die "außer Kontrolle" geratenen Geheimdienstapparate in den USA, Großbritannien und anderswo ihre Sammelwut von selbst zügeln werden. "Wie besessen versuchen sie, die letzten winzigen Nischen des Privaten aufzuspüren und zu zerstören."

Skeptisch äußerte er sich allerdings zu dem europäischen Urteil, das Google vorschreibt, auf Wunsch der Betroffenen Web-Inhalte zu löschen. "So ein Lösch-Verfahren bietet viel zu viele Möglichkeiten des Missbrauchs." Man schaffe damit die Infrastruktur für Zensur.

Für Snowden hänge nun viel davon ab, ob Deutschland ihm tatsächlich Asyl gewähre. Bislang mache er sich keine großen Hoffnungen. Gefragt, ob die Amerikaner nicht versuchen würden, Snowden in Deutschland zu entführen, meinte er: Er könne sich das kaum vorstellen. Andererseits habe man sich vor kurzem auch kaum vorstellen können, dass die USA ein Gefängnis voller Gefangener ohne Anklage wie Guantanamo Bay unterhalten oder dass sie "unschuldige Frauen und Kinder mit Drohnen töten".

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