Glenn Close als "Albert Nobbs":Venus ist ein Männchen

Kinostarts - 'Albert Nobbs'

Mia Wasikowska als Helen Dawes und Glenn Close als der Butler "Albert Nobbs".

(Foto: dpa)

In dem Film "Albert Nobbs" erfüllt sich Glenn Close ihren Rollentraum. Das einstige diabolische Chef-Luder Hollywoods spielt darin eine Frau, die sich als Mann ausgeben muss, um Arbeit zu finden. Ein Middlesex-Märchen, so humorvoll wie brutal.

Von David Steinitz

Ein dekoratives kleines Männchen ist der Hotelbutler Albert Nobbs: Im schwarzen Anzug steht er an der Wand des Speisesaals, das Tablett wasserwaagengerade in der Hand, gerade noch so auffällig, dass die betrunkenen Gäste ihn vom opulenten Mobiliar unterscheiden können. Dublin, spätes 19. Jahrhundert, Kostümball im Hotel Morrison's. Keiner der berauschten Upper-Class-Partygäste bekommt mit, dass es dem armen Albert zu so später Stunde immer qualvoller wird, in seinem eng geschnürten Mieder, mit dem er seine Brüste kaschiert.

"Albert Nobbs" ist ein ziemlich skurriles, mal komisches, mal trauriges Middlesex-Märchen um eine alleinstehende Frau, die sich im strengen Irland um die Jahrhundertwende als Mann ausgeben muss, um Arbeit zu finden und für sich selbst sorgen zu können. Die Story basiert auf einer Kurzgeschichte des irischen Schriftstellers George Moore, der um 1900 diverse Verfahren wegen Unsittlichkeit am Hals hatte, weil seine Erzählungen meist von käuflichem Sex und durcheinandergeratenen Geschlechterrollen handelten. Vor allem aber ist dieser Albert Nobbs die Traumrolle seiner Darstellerin Glenn Close, die seit mehr als dreißig Jahren diesen Film machen wollte.

Glenn Close als Mann? Das sieht erst mal bizarr aus, auch wenn sie mittlerweile die Zärtlichkeit und Erfahrung einer ganzen Schauspielkarriere in diese Rolle legen kann - nur berühmt geworden ist sie natürlich für einen ganz anderen Rollentyp.

Hollywoods diabolisches Chef-Luder

Bereits 1982 hatte sie Nobbs das erste Mal gespielt, in einer New Yorker Off-Broadway-Produktion, aber schon kurz danach legte sie eine Kino-Karriere als Femme fatale hin und wurde für mehr als zwei Jahrzehnte zu Hollywoods diabolischem Chef-Luder. In "Eine verhängnisvolle Affäre" brachte sie Michael Douglas um den Verstand, in "Gefährliche Liebschaften" intrigierte sie als vollbusiges Monster gemeinsam mit John Malkovich, und in den Neunzigern wurde sie zur Comic-Medusa in den "101 Dalmatiner"-Filmen.

Ein solches Überweib als alter Mann? Die Produzenten winkten ab, das von Close verfasste Drehbuch verschwand in der Schublade. Zwischenzeitlich war kurz István Szabó als Regisseur im Gespräch, mit dem Close 1991 "Zauber der Venus" drehte - wo sie natürlich wieder die Verführerische spielte - doch auch dieser Anlauf scheiterte.

Jetzt aber hat es geklappt, inszeniert wurde "Albert Nobbs" schließlich vom Kolumbianer Rodrigo García, Sohn von Gabriel García Márquez. Rodrigo García gilt seit einigen Jahren in Hollywoods Indie-Szene als Spezialist für komplizierte Frauenrollen. Zuletzt machte er zum Beispiel das Episodendrama "Mütter und Töchter" mit Naomi Watts und Anette Bening. "Nobbs" erzählt er jetzt in romantischer Charles-Dickens-Tradition, so humorvoll wie brutal, wozu er sich ein bisschen bei der Theatralität alter BBC-Dramen bedient hat.

Spezialist für komplizierte Frauenrollen

Das Kino ein bisschen zum Theater zu machen, die Kulissen als solche anzudeuten und die Emotionen ordentlich auf die Spitze zu treiben, das ist ein Kniff, der auch im Film durchaus funktionieren kann. Zuletzt hat das beispielsweise Joe Wright in seiner "Anna Karenina"-Adaption gezeigt.

Fast wie ein kleiner irischer Chaplin-Doppelgänger schreitet also der zierliche Nobbs durch die stinkenden, überfüllten Dubliner Straßen, immer auf der Hut, ganz in Schwarz, mit Schirm, Mantel und Melone. Auch wenn George Moores Geschichte ursprünglich eher als Religionskritik und Allegorie auf die damalige Klassengesellschaft gedacht war, in der die protestantische Oberschicht gnadenlos auf katholischen Bediensteten herumhackte, geht es Close und García mehr um die Frage, ob man ein anderes Geschlecht tatsächlich durch pure Willenskraft erzwingen kann.

Als eines Nachts auf Befehl der Hotelchefin ein Handwerker in Nobbs' Zimmer übernachten soll, weil draußen ein Schneesturm ausgebrochen ist, kommt dieser hinter das Geheimnis des grazilen Butlers. Wie heißt du, fragt er ihn, und Albert antwortet: Albert. Ja, aber wie heißt du wirklich? Und Albert antwortet: Albert.

Seine Rollendisziplin geht so weit, dass er sich in das sprunghafte Zimmermädchen Helen (Mia Wasikowska) verliebt, die leider so sadistisch wie verführerisch veranlagt ist und den armen Albert im Auftrag des halbstarken Rowdys, mit dem sie schläft, gnadenlos ausnimmt.

Dass Close und García ihrem Albert zwischen all den emotionalen Entgleisungen und dem komplizierten Gender-Zauber trotzdem nie den Ansatz eines vorsichtigen Lächelns aus dem Gesicht treiben, liegt daran, dass er sich zwar ständig selbst belügt - aber deutlich weniger als alle anderen Figuren dieses Films, die theoretisch in der richtigen Rolle sind.

Albert Nobbs, Großbritannien/Irland 2011 - Regie: Rodrigo García. Buch: Glenn Close, Gabriella Prekop, John Banville, nach einer Kurzgeschichte von George Moore. Kamera: Michael McDonough. Mit: Glenn Close, Janet McTeer, Mia Wasikowska, Aaron Taylor-Johnson, Jonathan Rhys Meyers. Edition Salzgeber, 113 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: