Gleichberechtigung:#MeToo-Debatte: Von der Apartheidskommission lernen

Gleichberechtigung: Jodie Foster hat in einem Interview einen interessanten Vorschlag zur Zukunft der #MeToo-Debatte aufgeworfen.

Jodie Foster hat in einem Interview einen interessanten Vorschlag zur Zukunft der #MeToo-Debatte aufgeworfen.

(Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Wenn die #MeToo-Debatte so weiterläuft, spaltet sie die Gesellschaft statt eine Bewegung zu werden. Wie wäre es mit einer Kommission für Wahrheit und Versöhnung nach dem Vorbild Südafrikas?

Von Susan Vahabzadeh

Ein Problem muss schon ziemlich dringlich sein, um sich in diesen Zeiten ein Vierteljahr lang im Zentrum des Interesses zu halten. Die "Me Too"-Debatte hört nicht auf, und sie sollte wohl auch gar nicht aufhören, solange sich nichts ändert. Aber sie braucht eine Struktur, ein Ziel. Die Diskussionsbeiträge der letzten zwei Wochen zeigen das. Erst war da der offene Brief, mit dem 100 französische Frauen #MeToo kritisierten. Sie stellten sich als Verfechterinnen einer Selbstbestimmtheit dar, für die manche von ihnen gar nicht stehen, weil sie ihre Karrieren sehr abhängig von Männern gemacht haben. Dem Text, den sie unterschrieben haben, war dann vorwiegend zu entnehmen, dass sie die ganze Debatte, bei der es um Machtmissbrauch ging, und nicht um das Unterstrafestellen von Flirts, nicht so recht verstanden haben.

Auf der anderen Seite des Atlantiks wurde derweil der Komiker Aziz Ansari vors Tribunal der Öffentlichkeit gestellt. Auf einer Website namens "Babe" klagte da eine Frau Ansari des sexuellen Fehlverhaltens an. Sie hatte ihn auf einer Party kennengelernt, durchaus als aktiver Part. Sie gab ihm ihre Nummer, sie trafen sich in seiner Wohnung. Dort hatte sie dann, sie ganz passiv, schlechten Sex - weil er ihre "nonverbalen Hinweise" nicht verstanden habe.

Beide Fälle zeigen, dass es irgendeine Weiterentwicklung der ursprünglichen Idee von #MeToo geben muss - geklärt oder aus dem Weg geschafft ist gar nichts, und doch sind das zwei extreme Positionen, die keinen weiterbringen, die eher zu einer Spaltung führen, als dass sie es gestatten würden, dass aus der Debatte eine Bewegung wird. Es hilft nichts, die Regeln, die #MeToo fordert, einfach als prüdes Korsett abzutun, wie es der französische Text macht, der so tut, als habe es haufenweise unschuldige Männer erwischt, die ohne jede Prüfung der Anschuldigungen ins berufliche Abseits geschickt wurden.

Das stimmt so nicht, es hat aber solche Fälle gegeben, und der Fall Ansari ist so einer - der hat bei einem Date nicht das Gewünschte geliefert und wird nun abgestraft. Das Magazin The Atlantic bezeichnete die Anschuldigungen als "revenge porn", und es ist tatsächlich schwierig, ihnen etwas zu entnehmen, was sie von der öffentlichen Demütigung der ehemaligen Geliebten durch Nacktfotos unterscheidet. So kann es also nicht weitergehen. Wie aber soll es dann weitergehen?

Jodie Foster hat in einem Interview im amerikanischen Fernsehen einen interessanten Gedanken hingeworfen: Vielleicht brauche die "Me Too"-Debatte eine Entsprechung zu "Truth and Reconciliation", dem von Kommissionen gesteuerten Prozess, der in Südafrika nach dem Ende der Apartheid die Aussöhnung zwischen Schwarz und Weiß ermöglichen sollte.

Der Vergleich hinkt, das ist klar - und interessant ist er doch. Nicht etwa weil in der gesamten westlichen Welt noch bis Oktober so eine Art Frauen-Apartheid gegolten hätte. Selbst wenn man 100 Jahre zurückgeht - das Frauenwahlrecht wurde in Deutschland 1918 eingeführt - findet man keine Verhältnisse, die man so einfach übertragen könnte. Aber völlig absurd ist der Vergleich nun auch wieder nicht: Auch Frauen wurde Besitz verwehrt; sie hatten keinen Zugang zu Universitäten, sie durften ohne schriftliche Genehmigung ihrer Ehemänner keine Arbeit annehmen oder ein Bankkonto eröffnen; die beiden letzteren Regelungen wurden in Deutschland erst Jahre nach dem Gleichberechtigungsgesetz von 1958 gekippt. Anders war es trotzdem: Für das Wanderarbeiter-Dasein, in das die Apartheid schwarze Arbeitnehmer gezwungen hat, gibt es überhaupt keine Entsprechung.

Jede Bürgerrechtsbewegung muss irgendwann über den Protest hinausgehen

Es gibt aber eine Gemeinsamkeit, die den Vergleich eben doch interessant macht: Es musste am Ende der Apartheid irgendeine Grundlage her, auf der Schwarze und Weiße zukünftig Südafrika teilen sollten. Die "Wahrheits- und Versöhnungskommission" war dazu da, den Boden zu bereiten, die Grundlage zu schaffen für ein künftiges Zusammenleben.

Von der digitalen Macht, bloßzustellen

Und genau so etwas bräuchten Männer und Frauen auch gerade. Es kann keine Lösung sein, die Ermächtigung der letzten Monate einfach wieder rückgängig zu machen. Viele Frauen konnten sich erstmals einigermaßen sicher sein, wenn auch nicht ganz sicher, dass sie nicht ihre eigene Zukunft in Schutt und Asche legen, wenn sie auch nur den Mund aufmachen und erzählen, wie sie missbraucht wurden oder benachteiligt, wenn sie sich nicht missbrauchen ließen. In der aufgeheizten Stimmung der letzten Monate haben viele Schauspielerinnen sich geäußert - und ob sie in zwei Jahren nicht doch feststellen, dass sie nun keiner mehr engagiert, bleibt abzuwarten.

Andererseits gibt es natürlich auch eine Macht, jemanden bloßzustellen, die erst im Internetzeitalter für jedermann zu haben ist. Die großen Geschichten, die am Anfang der ganzen Diskussion um sexuelle Übergriffe standen, sind in der New York Times, der Washington Post, dem New Yorker erschienen, nach langwieriger Überprüfung. Was den Fall Weinstein angeht, war irgendwann klar, dass ganz viele Leute Bescheid wussten - und seine Opfer sich doch nicht wehren konnten, weil Weinstein jedem das Leben zur Hölle machen konnte, der versuchte, sein Verhalten öffentlich zu machen. Wenn alles nur noch auf Twitter verhandelt wird, ein misslungenes Date dieselbe Fallhöhe hat wie eine geschmacklose Bemerkung vor 20 Jahren und eine Vergewaltigung - dann ist das auch keine Grundlage, auf der sich Männer und Frauen die Welt einvernehmlich teilen können.

Die Idee der Kommission für Wahrheit und Versöhnung in Südafrika war es, Versöhnung und Amnestie im Gegenzug für die Wahrheit anzubieten. Erzbischof Desmond Tutu war der Vorsitzende, von 1995 bis 2002 wurden von der Kommission Geständnisse angehört, als Wegbereiter für einen nationalen Dialog. Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung und Terror, Mord und Totschlag vor einer Kommission, die versöhnen will? Ihre Einrichtung war letztlich ein Akt der Verzweiflung - es gab keine Alternative. Tribunale in anderen blutigen Diktaturen waren auch kein voller Erfolg. Man kann einen Justizapparat nicht komplett erneuern, und es wäre naiv gewesen, darauf zu hoffen, dass dieselbe Polizei, dieselben Gerichte, die es unter der Apartheid gab, tatsächlich eine große Hilfe dabei gewesen wären, Gerechtigkeit herzustellen. Also setzte man auf öffentliche Anhörungen.

Das Ergebnis war alles andere als perfekt. Manche Angehörigen von Opfern beugten sich der Kommission nur aus Vernunft. Andere blieben hart. Die Familie des ermordeten Steve Biko war absolut nicht einverstanden damit, dass einfach vergeben werden sollte, was der Täter vor der Kommission auch noch verharmlost dargestellt hatte - denn was nun die Wahrheit ist, die Versöhnung verheißt: Darüber kann man ja dann auch noch streiten.

Der Prozess war aber natürlich besser als nichts. Jede Bürgerrechtsbewegung muss irgendwann über Protest hinausgehen. Die Bürgerrechtsbewegung der DDR mündet nicht in der Wiedervereinigung - sondern in die Arbeit der Gauck-Behörde, die die Stasi-Unterlagen eben nicht vernichtete, sondern vorsichtig zugänglich machen und zur Vergangenheitsbewältigung nutzen sollte.

Warum sollte es keinen Geschlechtervertrag geben, wie auch den Generationenvertrag?

Man kann das Verhältnis von Männern und Frauen nicht von einer Behörde verwalten lassen, aber einen gesellschaftlichen Prozess, in dem es einen Schlussstrich und einen Neuanfang gibt - den bräuchten wir trotzdem, so eine Art gesellschaftliche Entgiftung. Sonst gilt weiterhin dasselbe ungeschriebene Gesetz wie immer schon: Wer lügt, hat die besseren Karten. Man kann Vergewaltigungsfälle vor Gericht klären, und selbst das ist schwer genug; ein gesellschaftliches Klima aber ist nicht mit Urteilen zu verändern.

Warum sollte es keinen Geschlechtervertrag geben, ähnlich dem Generationenvertrag? Der ist ja auch kein schriftlich fixiertes Dokument, auf den sich jemand berufen kann, der in eine Rentenkasse eingezahlt hat - er ist Vereinbarung, bei der sich der eine Teil der Gesellschaft auf das Ehrgefühl des anderen Teils verlassen muss, nicht auf die Solidarität eines Einzelnen, aber darauf, dass die Mehrheit sich an die Vereinbarung hält, fair miteinander umzugehen. Und nur ein Dialog kann dabei helfen herauszufinden, was das im Detail bedeutet.

Die Debatte, so der amerikanische Autor Warren Farrell, sollte sich nicht nur auf "sich beklagende Frauen konzentrieren, statt darauf, einander zuzuhören". Es ist bitter, das einräumen zu müssen, aber Farrell, der Antifeminist, hat nicht ganz unrecht. Jammernde Frauen und Männer, die keine Fehler machen - das ist kein Modell für eine neue Welt. Das ist ein ganz altes Klischee.

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