"Glass Animals" in Berlin:Missen macht Ah!

"Glass Animals" in Berlin: Wenn du Angst vor der Zukunft hast, kauf dir einen Pool: die "Glass Animals" in Berlin.

Wenn du Angst vor der Zukunft hast, kauf dir einen Pool: die "Glass Animals" in Berlin.

(Foto: Cornelius Pollmer)

In der Columbiahalle produziert das Indie-Phänomen "Glass Animals" die vielleicht allerletzte Hitzewelle dieses Sommers.

Von Cornelius Pollmer

Wenn man Pop zur Abwechslung mal wieder als Weg begreift, all dem zu entfliehen, was in der Gesellschaft verpönt oder sogar verboten ist, dann verdient schon das Bühnenbild in der Berliner Columbiahalle eine Eins mit Sternchen. Während man echte, verheißungsvolle Leuchtstoffröhren-Reklame kaum noch irgendwo sieht, verhelfen stromsparende LED ihr beim Konzert der Glass Animals am Montagabend wenigstens zu einem ästhetischen Comeback. Und es gehen in dieser wie in sonstiger Hinsicht sofort alle Lampen an.

Draußen dräut der Herbst und flüchten Kinder aus bitterkaltem Schwimmbeckenwasser. Draußen quittiert der Sommer überhaupt allmählich seinen Dienst, und draußen hat der Bundeswirtschaftsminister außerdem die Werbebeleuchtung neu eingestellt, per Verordnung, von A wie Ahhhhhh! auf Z wie zappenduster.

Drinnen hingegen ist die Welt gleich sehr in Ordnung, noch oder wieder, ist ja dann fast egal. Das liegt daran, dass alle lang genug gewartet haben auf dieses Konzert (Pandemie) und dass der Bandvorstehende Dave Bayley offenbar heimlich ausgetauscht worden ist gegen einen exakt wie Dave Bayley aussehenden und singenden Flummi. Wird jetzt auch hier niemand behaupten, dieser Bayley könne übers Wasser gehen. Aber ein bisschen kann er es eben schon. Das Bühnenbild, dieses neonröhrengetäfelte Leuchtfest, sieht schließlich aus wie ein Pool, und Bayley, leichtfüßig wie ein Wasserläufer, ist nun mittendrin und oben drauf, auf der Wasseroberfläche - und am Beckenrand glimmt das etwa 3500 Grinsegesichter zählende Publikum, das nun 80 Minuten lang einen vielleicht allerletzten Heidenspaß hat in diesem Sommer.

Einen langsameren Aufstieg zur Nummer eins hat es nie gegeben

Man hat es hier auch ansonsten zu tun mit einem Phänomen, über das der Laie nach wie vor staunt und Fachmann oder -frau sich wohlig wundert. Die Glass Animals, vor zehn Jahren in Oxford gegründet, brauchten eine fast anachronistisch lange Weile, um über einige Wahrnehmungsschwellen zu treten. Dann aber ging nach Indie-Maßstäben ziemlich ordentlich die Post ab, vor allem mit der Sommerhitware "Heat Waves", die bei Tiktok eine ganz große Runde drehte und allein auf Spotify bislang knapp zwei Milliarden Aufrufe erreichte. In den USA hält das 2020 erstveröffentlichte Stück nun den Rekord für den Song, der sich am allerlängsten Zeit ließ, um sich doch noch auf Platz eins der Billboard-Charts zu bewegen.

Dieses "Heat Waves" handelt davon, einen Menschen verloren zu haben, dies zu bereuen oder darüber wenigstens nach wie vor sehr traurig zu sein, ohne den Verlust aber jemand anderem vorzuwerfen als sich selbst. "Sometimes, all I think about is you", so geht der volle Herzschmerz, der zum viralen Hashtag wurde, und wenn man jetzt eine Umfrage machen würde in der Columbiahalle, na, was heißt denn sometimes an der Stelle, dann würde eine geschätzte Zweidrittelmehrheit schluchzen: eigentlich immer.

Herzschmerz und Heidenspaß, das klingt natürlich nach einem Konflikt, der auch hier lässig aufgelöst werden soll mit einem Verweis auf das, was eh immer die Lösung ist, wenn sonst nichts mehr geht - Musik. Einem Verweis also auf die Beats aus der Kategorie "dicke Berta" und auf die aufwendigen Artworks, die mal Dalí sind, mal eher Dall-E, aber immer aus dem Photocandyshop - wie man bei diesem Konzert überhaupt endlich mal wieder das alles lösende Gefühl verspürt, sich in absolut fachmännischer Hand zu befinden.

Und dann? Dann geht man vor die Tür und vermisst direkt wieder.

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