"Ghost Stories" von Coldplay:Ein dürrer Mann, der nölt und greint

Coldplay

Kopf hängen, aber sich trotzdem nicht unterkriegen lassen: Coldplay und Chris Martin (2. v. re.).

(Foto: Anton Corbijn/Parlophone-Warner)

Auf Coldplays neuem Album "Ghost Stories" verarbeitet Sänger Chris Martin seine Trennung von Gwyneth Paltrow. Die emotionalen Höhen und Tiefen sorgen dabei für die interessanteren musikalischen Momente - nur leider übertreibt es der Sänger mit seiner "Chrismartinhaftigkeit".

Von Max Fellmann

Bitte, wie soll man diese Platte jetzt hören, ohne sofort die Boulevard-Meldungen im Kopf zu haben? Ohne daran zu denken, dass der Sänger Chris Martin und die Schauspielerin Gwyneth Paltrow sich gerade erst sehr öffentlich getrennt haben? Ohne noch mal den Kopf zu schütteln über Paltrows Statement-Blabla, es gehe nun um "conscious uncoupling", bewusstes Entpaaren? Der Promi Chris Martin überschattet den Musiker Chris Martin im Moment so sehr, dass man um die Frage, wie autobiografisch sein neues Album sein mag, nicht herumkommt, ob man will oder nicht.

Aber so sehen das er und seine Kollegen offenbar auch, Coldplay kündigen "Ghost Stories" ohne große Umschweife als Konzeptalbum zum Thema Trennung an: Es soll die Geschichte eines Mannes erzählen, der einen harten Bruch erlebt und dann durch alle emotionalen Höhen und Tiefen geht - bis er seine neue Situation endlich annehmen kann. Martin selbst sagt dazu: "Der Grundgedanke hinter diesem Album war für mich: Wie beeinflussen die Dinge, die man in der Vergangenheit getan hat - ich nenne sie Geister, deshalb "Ghost Stories" - die Gegenwart und die Zukunft? Ich hatte eine Zeit lang das Gefühl, sie würden mich runterziehen und mein Leben ruinieren". Die Kurve hat er angeblich mit Hilfe eines Sufi-Meisters gekriegt.

Die emotionalen Höhen und Tiefen sorgen dabei für die interessanteren Momente des Albums, die abschließende Erlösung aber, um das Ärgerliche vorwegzunehmen, führt zum unnötigsten Stück Musik, das Coldplay je aufgenommen haben, es heißt "A Sky Full Of Stars", stampft auf einem dumpfen Großraumdisco-Beat daher, und das Klavier, das Chris Martin sonst ziemlich geschmackssicher spielt, wiederholt genau die Sorte von billigen Eurodance-Figuren, die einen automatisch nach Kleingeld für den Auto-Scooter suchen lässt. Aber gut, Katharsis kann ja auch heißen, einfach mal zu billiger Musik im Club die Sau rauslassen. Die Frage ist nur: Warum muss Martin die billige Musik ausgerechnet selbst machen?

Der Song bricht einfach ab, das ist das Schweigen in der sterbenden Beziehung

Was in den acht Stücken davor passiert, ist zum Glück besser. Coldplay haben sich für "Ghost Stories" zum ersten Mal mit Star-Produzenten wie Timbaland oder Avicii zusammengetan, den Sufi-Meistern der elektronischen Gegenwartsmusik. Von Gitarrist Johnny Buckland, der mit seinen Single-Note-Linien jahrelang den Sound prägte, ist prompt wenig zu hören. Stattdessen: viel Elektronik, Drumcomputer, Synthibässe, Festplattengeblubber.

Das Album beginnt mit dem ätherischen "True Love", Geigenwolken und ein verhaltener Computerbeat, dazu findet Chris Martin gute Worte für den trüben Moment, wenn nichts mehr stimmt, aber die Selbsttäuschung noch funktionieren will: "Tell me you love me / If you don't, then lie / Lie to me", dann stört eine grenz-atonale Solo-Gitarre die Harmonie, der Zusammenbruch der Illusionen, etwas arg deutlich, aber effektiv in Musik übersetzt.

So geht es weiter, quer durch die Gefühle. "Oceans" tröpfelt hübsch mit akustischer Gitarre und nervösen Streichern, Chris Martin besingt den Abschied: "I'm ready for the change", oder vielmehr: "I'm ready for the pain". Der Song "O" bricht mittendrin einfach mal ab, zwei Minuten Pause, ja, ja, schon verstanden, das Schweigen in der sterbenden Beziehung. "Midnight" nervt dann ein bisschen mit Vocoder-Chören und Synthi-Geplucker - aber man muss der Band zugutehalten, dass sie auf diesem Album immer wieder Neues, Anderes probiert, dass sie sich gezielt vom Coldplay-Sound löst. Das gilt auch für "Magic", die schöne erste Single des Albums, überraschenderweise kein klassischer Coldplay-Song, sondern eine etwas selbstgebastelt wirkende, weiße Version von R'n'B, eher ungelenk und gerade deshalb ziemlich charmant.

Gut so weit. Aber schade: Je weiter das Konzeptalbum in seiner Erzählung kommt, umso flacher werden die Songs. Der müde alte Satz, dass große Kunst meist aus Schmerz entsteht, hier scheint er wieder zu passen. Mit jedem Song geht es Chris Martin oder dem singenden Ich-Erzähler seiner Songs besser, es folgen also Dur-Akkorde und harmlose Frühlingsmelodien, Erleichterung ist nun mal das Gegenteil von Spannung, auch in musikalischer Hinsicht. Die Lieder Nummer sechs bis acht sind reines Füllmaterial, bevor schließlich die Großraumdisco die Türen für den besagten Freiheitstanz öffnet.

Die "Yello"-Dynamik ist der Band abhanden gekommen

Das eigentlich Problem an "Ghost Stories" ist aber die fehlende Dynamik. Hier fließt alles zu einförmig dahin. Auf ihren ersten beiden - hervorragenden - Alben beherrschten Coldplay den mitreißenden Wechsel zwischen leiser Initimität und dem ganz großen, hymnischen Ausbruch. Daraus bezogen ihre besten Songs die Spannung, allen voran ihr erster Hit "Yellow", der für das Coldyplay-Publikum noch heute ein Lieblingskind zu sein scheint (wenn 10 000 Konzertbesucher einander gleichzeitig zuflüstern, "Weißt du, ich kannte die damals schon, da waren sie noch ganz unbekannt. . .").

Aber die "Yellow"-Dynamik ist der Band über die Jahre abhanden gekommen. Die Songs wurden gleichförmiger, die hohen Wellen ebbten ab. Den Weg, den Coldplay am Anfang eines Songs einschlagen, behalten sie jetzt in der Regel vier Minuten lang bei. Das galt zuletzt für die hymnischen Stücke - die oft durchgehend wie ein einziger Refrain klingen. Und das gilt jetzt für die ruhigen Songs auf "Ghost Stories": fast alle gleichbleibend verhalten und wenig aufregend.

Das andere Problem ist, dass Chris Martin es diesmal übertreibt mit der Chrismartinhaftigkeit. Er hat sich ja bei allem Pathos immer getraut, auch zu straucheln. Er hat sich etwa immer an Töne gewagt, die ihm eigentlich zu hoch sind, er singt auch mal so, dass es nicht im klassischen Sinne schön klingt, sondern eher kläglich. In seinen besten Momenten steht Martin textlich wie klanglich quasi nackt da, ein dürrer Mann, der nölt und greint, als würde er es auch in Kauf nehmen, dafür mit faulen Eiern beworfen zu werden.

Nur bis zur Mitte hören und dann noch mal von vorn

Auf der letzten Tournee hat er sich sogar bei seinen Zuhörern bedankt, "dass ihr Coldplay-Fans seid, obwohl ihr dafür so viel Spott einstecken müsst". Das unterscheidet ihn vom anderen großen Pathetiker des Pop, Bono. Während der stets auf Nummer sicher geht (lieber Plateauschuhe tragen als neben The Edge zu klein wirken), hält Martin seinen Fans - und seinen vielen Gegnern - die entblößte Brust hin.

Im Fall von "Ghost Stories" reißt er das Hemd jedoch am Ende ein bisschen arg weit auf. Ein Album als öffentliche Aufarbeitung einer harten Trennung, wir haben es verstanden, aber damit das auch wirklich jeder versteht, erklärt Chris Martin alles so deutlich wie möglich. Nur eins hat er nicht dazu gesagt: Man sollte "Ghost Stories" am besten nur bis zur Mitte hören. Und dann noch mal von vorn. Happy Ends geben einfach nicht so viel her.

Anmerkung der Redaktion: Diese Besprechung des neuen Coldplay-Albums basiert auf einer Vorab-Version der Plattenfirma, bei der die Stücke falsch nummeriert waren. Die Reihenfolge der Lieder wird somit in der Kritik unrichtig wiedergegeben. Wir bitten dies zu entschuldigen.

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