Gewollt behindert:Mein Haus, mein Auto, meine Schwerstbehinderung

Auch das gibt es: Ein gesunder Mann sucht einen Arzt, der ihm das Rückenmark durchtrennt, damit er "als Mensch mit einer Querschnittlähmung, seine psychische Heilung" erlange. Nun diskutieren Ethiker, ob es ein Recht auf vorsätzliche Behinderung gibt.

ALEXANDER KISSLER

Wie weit reicht die Selbstbestimmung?

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Bedeutet sie die unbegrenzte Verfügungsgewalt über den eigenen Körper?

Darf sich auf seine Autonomie berufen, wer diese radikal beschränken oder ein für alle Mal beenden will?

Nicht nur im Streit um die aktive Sterbehilfe wird das Selbstbild des Menschen in seinem Kern berührt. Schon kündigt sich eine neue Debatte an, die radikal die Frage nach den Grenzen des Ichs stellt.

Seit einigen Tagen diskutieren Ärzte, Ethiker, Philosophen im Internet eine "bizarre Bitte", die an sie per Rundmail herangetragen wurde. Ein 39-jähriger Deutscher, Unternehmensgründer in England, ehemals Student der Rechte und der Geschichte, sucht "nach einer Möglichkeit, meine innere Identität als Mensch mit einer Querschnittlähmung zu realisieren und somit psychische Heilung zu erlangen."

Er wünscht sich einen Arzt, der ihm das Knochenmark durchtrennt. Seit seinem sechsten Lebensjahr sehne er den "Eintritt einer schwerwiegenden orthopädischen Behinderung" herbei. Kann dem Manne geholfen werden?

Noch heute stockt einem der Atem, wenn man die Gespräche nachliest, die die britische BBC Anfang 2000 führte. Damals hatte ein Krankenhaus im schottischen Falkirk bestätigt, zwei körperlich gesunden Menschen auf deren Wunsch hin je ein Bein amputiert zu haben.

Einer der beiden Patienten, Hans aus Deutschland, erklärte, nun erst, ohne das rechte Bein, fühle er sich komplett; Depressionen und Selbstmordgedanken seien verschwunden. Der Chirurg mit Namen Robert Smith warb für Verständnis. Diese Personen seien tief verzweifelt, und keine Therapie, keine Tabletten könnten das Leid beenden. Corinne aus Kalifornien erhielt hingegen eine Absage. Chirurg und Psychiater weigerten sich nach eingehenden Gesprächen, eine Amputation beider Beine gutzuheißen.

Die Debatte, die nun im medizinethischen Forum der Universität Bochum geführt wird, hat andernorts bereits die akademische Publizistik erreicht. Das Journal of Applied Philosophy, das an der Universität Aberdeen erstellt wird, veröffentlichte im März 2005 das Plädoyer zweier australischer Bioethiker. Chirurgische Eingriffe an Patienten, die unter "Body Integrity Identity Disorder" (BIID) litten, seien akzeptabel. Kein moralisches Argument spräche dagegen. Auch wenn die körperliche Identität gestört sei, würden die "Kriterien für Rationalität und Autonomie" erfüllt.

In Deutschland goutieren nicht alle den Schlagabtausch der Argumente. Eine Austrittswelle schlug Schneisen in die Reihen der registrierten Forumsteilnehmer. In Österreich, heißt es, haben zwei Rehazentren Amputationen aus kosmetischen Gründen durchgeführt, belgische Chirurgen stünden einer operativen Behandlung von BIID liberal gegenüber.

Die Sehnsucht nach Verstümmelung, die, wird ihr nachgegeben, auch das soziale Umfeld erheblich beansprucht, ist ein Sonderfall und dennoch ein Symptom: Der Mensch und sein Körper werden gänzlich neu vermessen.

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