Süddeutsche Zeitung

Gewässer:Ohne Donau geht's nicht

Als Erstes braucht man einen Raum mit Häfen, Seen, Meer, Olymp.

Von Amanda Michalopoulou

Meine lieben Aliens, meinen Sie das im Ernst? Ich möchte Sie nicht entmutigen bei Ihrem Vorhaben, aber haben Sie irgend eine Ahnung davon, wie viele Jahrhunderte wir gebraucht haben, seit sich Europa auf die Hinterbacken des Stiers gesetzt hat? Sie war ein ganz junges Mädchen und hat Blumen gepflückt, und der Stier (eigentlich Zeus) hat ein Stück weiter weg gegrast und den geeigneten Augenblick abgewartet, um sie zur Seite zu nehmen.

Wie bitte, wer Zeus war? Du lieber Gott, wo soll ich denn da anfangen? Also, Zeus war der klassische Mann. Das, was man ein mythisches Vorbild nennt. Er erlag seiner Lust: Er sah das Mädchen, begehrte es, zeugte sogar zwei Kinder mit ihr, dann hatte er die Familie satt und stieg auf den Olymp, um zu denken. Kennen Sie vielleicht das Gemälde von Veronese? Den Raub der Europa, wo das arme Ding in seinen rosa Gewändern und dem goldenen Leibchen dasitzt und zu begreifen versucht, wie das alles gekommen ist? Varoufakis? Welcher Varoufakis? Ve-ro-ne-se!

Also wenn Sie überhaupt nichts von Mythologie und Malerei wissen, kommen wir nie auf einen grünen Zweig. Ich soll Ihnen Nachhilfestunden geben, meinen Sie? Und womit soll ich anfangen? Mit den alten Griechen, dem Cro-Magnon-Menschen oder mit der Reformation, um das Ganze etwas zu beschleunigen? Oder lieber mit dem Westfälischen Frieden und den zwei Weltkriegen? Oder einfach gleich mit der EU, damit wir es so schnell wie möglich hinter uns bringen?

Zuallererst frage ich Sie: Haben Sie Flüsse in Ihrer Galaxie? Denn Europa ohne Donau geht gar nicht. Wenigstens Seen? Hohe Gebirge, Alpen, Karpaten, den schon erwähnten Olymp? Denn wissen Sie, man braucht einen Raum, in dem sich das ganze Drama abspielen kann - schon mal etwas von Psychogeografie gehört? Land, liebe Leute, Felder, Häfen, Zugang zum Meer! Den Westen, den Osten, das Phänomen, zu beanspruchen, was man gar nicht besitzt, Eroberungskriege zu führen, und so Schicht um Schicht die gemeinsame Zeit zu erschaffen. Das gemeinsame Trauma. Ob wir uns gegenseitig verletzt haben? Ach je. Ich fürchte, wir haben viel Arbeit vor uns.

Also, ich kann Ihnen ein paar Romane zu lesen geben und mich nachher mit Ihnen darüber unterhalten. Anna Seghers und László Krasznahorkai. Ob diese Autoren melancholisch sind? Aber sicher. Wir sind melancholische Menschen, uns sind unglaubliche Dinge passiert. Aber ich kann mir auch etwas Heitereres ausdenken: Rabelais, Cervantes oder Virginia Woolfs "Orlando". Und Sie notieren sich die unbekannten Wörter und die unbekannten Situationen. Die sind alle drei wirklich witzig, Sie werden sich biegen vor Lachen.

Wie bitte? Lesen ist eine rückschrittliche Technologie? Dann sollten wir das wohl lieber vergessen. Europa ohne Kultur ist ... Wirklich, Sie bringen mich dazu, mich zu hassen! Ich höre mich an wie ein Europaabgeordneter auf der Rednerbühne!

Sie könnten sich aber vielleicht ein Post-Europa ausdenken, ein Konstrukt, ja, das ginge. Etwas Eigenes, etwas Hybrides - oder besser Post-Hybrides, denn das Hybride sind ja schon wir. Aber ich warne Sie, das wird unecht. Es wird wie eine amerikanische Mall, Hollywood mit Römerhelmen, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Würden Sie so etwas mögen? Also, ich habe nichts dagegen, Ihnen zu helfen, hier sind wir absolut ausverkauft, was soll ich mich jetzt mit Kleinigkeiten aufhalten? In meinem Land geben wir Freiberufler unser halbes Einkommen dem Finanzamt, machen Sie mir also ein gutes Angebot, dann lässt sich darüber reden. Was meinten Sie? Nein, nein, ich nehme nur Euros.

Amanda Michalopoulou wurde 1966 in Athen geboren, wo sie heute wieder lebt. Ihre Erzählungen und Romane wurden in 20 Sprachen übersetzt. Deutsch von Birgit Hildebrand.

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SZ vom 18.05.2019
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