Gestohlene Bilder in Paris:Frauenraub

Fünf wertvolle Bilder verschwinden an der Seine - alles spricht für einen Auftragsdiebstahl. Auch im Finanzkreislauf des organisierten Verbrechens ist geraubte Kunst längst eine eigene Währung.

J. Willms

In der Nacht zum Donnerstag sind aus dem Musée d'Art moderne de la Ville de Paris im wohlhabenden 16. Arrondissement am rechten Seine-Ufer fünf Gemälde mit einem Schätzwert von rund 500 Millionen Euro gestohlen worden - wobei diese Schätzung, die in den meisten Meldungen zu diesem Verbrechen kursiert, auf Schätzpreise in Auktionskatalogen zurückgeht. Die Pariser Stadtverwaltung spricht deswegen von höchstens 100 Millionen Euro.

Modigliani

Berühmte Bilder können schwer verkauft werden: Auch Amédéo Modiglianis

La femme à l'éventail

, ein Porträt von Lunia Czechowska, wurde gestohlen.

(Foto: Foto: AP)

Das Verschwinden der Kunstwerke wurde am frühen Morgen von einem Wachmann bemerkt, der in dem im Ostflügel des Palais de Tokyo untergebrachten Museum auf Kontrollgang war. Nach ersten Erkenntnissen der Polizei verschaffte sich der Dieb nächtens Einlass durch ein Fenster des Gebäudes. Nach Auswertung der von den Überwachungskameras aufgezeichneten Bilder handelt es sich um einen Einzeltäter, der im Innern des Gebäudes nur noch ein Vorhängeschloss aufbrechen musste, um zur Sammlung vorzudringen.

Repräsentative Werke

Die fünf gestohlenen Gemälde verraten nicht nur eine beachtlichen Kennerschaft, sondern sind auch repräsentativ für eine Kunst, die augenblicklich als sehr gefragt gelten kann. Im einzelnen handelt es sich um Le pigeon aux petits pois von Pablo Picasso, das 1912 entstand und das ebenso wie L'olivier près de l'Estaque von Georges Braque ein wichtiges Werk des Kubismus ist. Gestohlen wurde zum weiteren La pastorale von Henri Matisse, das in Collioure im Sommer 1906 entstand und der fauvistischen Periode des Malers zugehört. Ein besonders großer Verlust ist Amédéo Modiglianis La femme à l'éventail, ein Porträt von Lunia Czechowska, das unter den Frauenbildnissen, die der Künstler in seinem letzten Lebensjahr schuf, herausragt. Zur Beute des Diebs gehört schließlich auch die Nature morte aux chandeliers von Fernand Léger.

Die entwendeten, ausnahmslos kleinformatigen Bilder sind repräsentativ für die französische Malerei in den ersten beiden Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts. Dies wie der Umstand, dass die geraubten Bilder sehr bekannt sind, erhärtet den Verdacht, dass sie im Auftrag eines Sammlers gestohlen wurden, denn ein Verkauf kann wegen ihrer Berühmtheit als ausgeschlossen gelten.

Schattenwirtschaft geraubter Kunst

Der Wiedererkennungswert kann bei Kunstraubfällen dieser Art allerdings eine ganz andere Rolle spielen. Es gibt längst eine Schattenwirtschaft geraubter Kunst. So sind berühmte Gemälde im Finanzkreislauf des internationalen organisierten Verbrechens eine eigene Währung geworden. Geraubte Kunst kann als Bürgschaft oder auch als Zahlungsmittel für illegale Geschäfte im großen Stil dienen, seien es Waffen- oder Drogenhandel. Ist so ein Werk aber auf den ersten Blick als Wert identifizierbar, erspart man sich langwierige Verifizierungen.

Auf der anderen Seite liegt der Gewinn von Kunsträubern immer öfter in den Verhandlungen mit Versicherungsgesellschaften. Je spektakulärer der Raub, desto größer das Interesse der Öffentlichkeit und damit auch der Fahndungsdruck. Weil die Aufklärungsquote so gering und die Ausstattungen der Sonderdezernate so mager sind, ist es für Versicherungen aber oft günstiger, eine Auslösesumme zu bezahlen, als die Versicherungssumme.

Die bislang bekannt gewordenen Umstände des Diebstahls so vieler bedeutender Gemälde werfen natürlich die Frage nach der Sicherung des Museumsbestands auf, der, so muss man vermuten, trotz der erst vor wenigen Jahren abgeschlossenen umfassenden Renovierungsarbeiten nur sehr unzulänglich war. Der Palais de Tokyo ist ein in einer Gartenanlage stehender Gebäudekomplex, der anlässlich der Weltausstellung von 1937 auf der Anhöhe von Chaillot auf dem Seineufer gegenüber dem Eiffelturm errichtet wurde.

Seit seiner Eröffnung diente der Art-Déco-Bau als Kunsthalle. Für die damalige Schau im Rahmen der Pariser Weltausstellung wurden eine Reihe großformatiger Kunstwerke von Matisse, Bonnard, Derain, Robert Delauney, Léger oder Vuillard erworben, die noch immer zu den Höhepunkten der Sammlung gehören. Diese bildeten gleichsam den Kern des Musée d'Art moderne de la Ville de Paris, dessen etwa achttausend Werke umfassender Bestand seit 1961 im Palais de Tokyo untergebracht ist.

Unerträglicher Anschlag auf das Kulturerbe

Neben den beiden staatlichen Museen neuerer und moderner Kunst, dem Musée d'Orsay und dem Centre Pompidou steht dieses städtische Museum, dessen Sammlungsschwerpunkt vor allem der französischen Kunst der Moderne seit 1900 gewidmet ist, für die Bedeutung von Paris als Kunststadt ein - wobei sich das Nebeneinander von staatlichen und kommunalen Sammlungen auch darin bemerkbar macht, dass die kommunalen Sammlungen offenbar schlechter verwahrt sind. In der französischen Öffentlichkeit wurde sofort darüber gespottet, dass in Paris jedes Moped besser geschützt sei als eine der teuersten Kunstsammlungen der Welt. Bürgermeister Bertrand Delanoe sorgt sich nun um den Ruf seiner Stadt als Metropole der Kunst. Den Diebstahl bezeichnet er als einen "unerträglichen Anschlag auf das universale Kulturerbe von Paris".

Der Musée d'Art moderne de la Ville de Paris prunkt vor allem mit bedeutenden Werkgruppen des Fauvismus, des Kubismus und Postkubismus sowie des Surrealismus. Die überragende Qualität seiner Sammlung verdankt sich vor allem einer Reihe von Stiftungen. Neben dem Kunsthändler Ambroise Vollard und dem Arzt Maurice Girardin, die in den dreißiger Jahren ihre umfangreichen Sammlungen moderner Kunst dem Museum zur Verfügung stellten, verdankt dessen Bestand seinen Glanz vor allem den Zuwendungen von Germaine Henry und Robert Thomas.

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