Das Design verkauft sich ja gerne als handfeste Schwester der hehren Kunst: strahlend schön und pathosschwer aufgeladen durch die Handschrift eines genialen Schöpfers, aber eben nicht nur einmal, sondern in vielfacher Ausführung zu besitzen. Dass zum Design auch der Müll gehört - schon bei der Herstellung und spätestens wieder bei der Entsorgung - genauso wie prekäre Anstellungsverhältnisse, sind dagegen zwei Aspekte, die im Storytelling des Designs eher ungern Erwähnung finden.
Nicht so auf der ersten Ausgabe der Porto Design Biennale - Kunststück bei dem Titel, den Hauptkurator José Bártolo für die Vielzahl an Ausstellungen, Talks, Symposien und Workshops im portugiesischen Porto und der angrenzenden Nachbarstadt Matosinhos gewählt hat: "Post Millennium Tension". Ein Großteil der Designer aus der ganzen Welt, die hier ihre Projekte vorstellen, gehört der Generation der Millennials an. Und die hält offensichtlich wenig vom Verschweigen der Schattenseiten ihres eigenen Metiers. Was nicht groß verwundert bei jemandem, der den Karrierestart mitten in der Krise erlebt hat. Eine Festanstellung dürfte für die meisten so fern sein wie eine Welt ohne Computer, schnelles Internet und Billigflüge. Nicht zu vergessen die globale Klimakrise. Das prägt. "Auf der Biennale geht es weniger um Hochglanzobjekte als um die Art und Weise, wie die Millennials arbeiten und welchen Blick sie auf die Welt haben", sagt denn auch die Vizedirektorin Magda Seifert. Diese Generation ist nicht durch einen gemeinsamen Stil verbunden, sondern durch gemeinsame Krisen - und durch ihr Netzwerk, für das Ländergrenzen keine Rollen mehr spielen.
So präsentiert in der zentralen Ausstellung "New Millennium Design" das niederländische Design-Duo Studio Formafantasma seine Forschungsergebnisse, was aus den elektronischen und gerne formschön entworfenen Geräten wird, wenn wir sie aus der Hand legen - in Form von Interviews, Essays, Videos oder auch Objekten, die alle auf der digitalen Plattform "Ore Streams" frei zugänglich sind. Ziel des drei Jahre andauernden Projekts sei es, der Frage nachzugehen, "wie Design ein wichtiger Faktor für einen verantwortungsbewussteren Umgang mit Ressourcen sein kann". Alles, was auf den Müllhalden oder gerne auch in den Gewässern dieser Welt landet, wurde irgendwann einmal designt. Nur wer schon beim Entwurfsprozess daran denkt, welches Nachleben sein Produkt später haben kann, wird den Ressourcenverbrauch reduzieren.
Die Grafikdesigner Martin Gnadt, Pascal Schönegg und Denis Yılmaz haben dagegen Praktikanten aus internationalen Grafikdesignbüros dieselben Fragen gestellt - wie ihr erster Tag verlief, nach welcher Hierarchie das Studio funktioniert oder wie ihr erster Gehaltsscheck aussah - und diese dann in Posterform antworten lassen. Stilistisch sind die Resultate höchst unterschiedlich - wenn man mal von der Vorliebe für Neonfarben absieht - die Erfahrungen aber ähneln sich. Und sind wichtig für eine Generation, die sich nach dem Praktikum oft in der (Schein-)Selbständigkeit einzurichten hat.
Wie weit sich das Design vom Produkt entfernt, zeigt dann ein Projekt wie "Real-Time History" von Foundland Collective, das 2012 entstand und 2018 weitergeführt wurde: Durch Fundstücke aus sozialen Medien versucht das syrisch-südafrikanische Design-Duo, Berichte zum Syrienkonflikt zu verifizieren oder als Falschmeldung zu enttarnen. Damit arbeiten die beiden Designerinnen ganz ähnlich wie die weltweit agierende Gruppe Forensic Architecture seit Jahren. Klar wird dabei, dass die Welt von heute durchdesignt ist, egal ob es sich um Kriegsberichterstattung oder Instagram-Storys handelt.
Das Design entfernt sich immer weiter vom Produkt - das spiegelt diese Biennale
In gewisser Weise ist auch die Porto Design Biennale Ergebnis dieses erweiterten Design-Verständnisses. Denn seit einigen Jahren setzt Porto im Stadtmarketing auf Design, auch um sich endlich aus dem Schatten der Hauptstadt Lissabon zu befreien. Als vor zwei Jahren das Ende von Experimenta Design, der Designbiennale von Lissabon, bekannt wurde, ergriff Porto die Chance. Die Ausgangslage ist nicht schlecht: Mit der ESAD, der Escola Superior de Artes e Design, kann die Stadt eine international angesehene Hochschule für Kunst und Design vorweisen, die nun mit ihrem Forschungsteam die Kuratorenschaft der Biennale übernommen hat. Dazu besitzt Porto eine vitale Designszene. Außerdem sind die wichtigsten Firmen Portugals im Norden des Landes angesiedelt, sprich in der Nähe von Porto.
Das macht auch die Ausstellung "Portugal Industrial" deutlich. Die Auswahl reicht vom windschnittigen Kajak über Schuhsohlen der Firma Procalçado, die 50 Prozent des europäischen Marktes beliefert, bis zu edlen Bleistiften von Viarco, der ältesten Stiftefabrik des Landes. Nicht zu vergessen der geschwungene Metallstuhl, der in keinem portugiesischen Café fehlt und schlicht als "portugiesischer Stuhl" bekannt ist. "Wir wollten das Klischee brechen, dass es bei portugiesischem Design entweder um Kork und Keramik geht oder um teure Designmöbel", sagt Megan Dinius, eine der beiden Kuratorinnen der Ausstellung. Sie vergleicht das Portfolio portugiesischer Firmen mit einem Schweizermesser: "Sie machen alles, mit einer hohen Funktionalität und einer eher zurückhaltenden Gestaltung." Bei der Recherche zur Ausstellung fand Dinius bemerkenswert, wie viele Firmen, etwa Viarco, durch die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre eher gestärkt hervorgingen, statt daran zugrunde zu gehen. "Sie fingen an, anders über ihr Produkt nachzudenken." Steter Bestandteil des firmeninternen Neustarts: ein klares Bekenntnis zu Design.
Dass Krisen tatsächlich produktiv sein können, zeigt auch "Frontiers" im Casa do Design in Matosinhos, und zwar ohne diese zu beschönigen. Die Ausstellung widmet sich zeitgenössischen Designpositionen aus Italien, das wird schon mit dem Auftakt klar: Dort ist eine Fotoarbeit von Francesco Pistilli zu sehen, die zeigt, wie ehemals Geflüchtete das süditalienische und nahezu aufgegebene Dorf Riace zu neuem Leben erwecken. Im Anschluss werden Produkte vorgestellt, die aus der Zusammenarbeit von italienischen Designern und Immigranten hervorgegangen sind. "Talking Hands" aus Treviso haben ihre farbenfrohen Spielplatzentwürfen mitgebracht, der Mailänder Giulio Vinaccia zeigt, wie er Kunsthandwerker aus ärmeren Regionen der Welt in ihrer Designfähigkeit schult. Ganz ähnlich gehen auch die jungen Designer vor, die versuchen, Kunsthandwerk und alte Herstellungstraditionen aus dem Süden Italiens und den Inseln mit einem designgeschulten Ansatz wiederzubeleben. War bislang die Designszene Italiens fast ausschließlich im Norden, speziell in Mailand beheimatet, ändert sich das gerade. Mit überraschendem Ergebnis, egal ob es sich um Geschirr, Teppiche oder Textilien handelt.
"Wir haben versucht zu zeigen, wie Design mit einer Tradition wie in Italien auf die Krise reagiert hat und sich auch in ländlichen Regionen entwickeln kann", sagt eine der Kuratorinnen. Portugal könnte davon lernen. Lange Zeit abgeschnitten von der Welt und an der Peripherie Europas gelegen, hätten hier noch alte Techniken und traditionelles Kunsthandwerk überdauert. Doch vielfach würden die Jungen die Tradition nicht mehr fortführen wollen. Dass dabei nicht nur Altes bewahrt, sondern auch ganz Neues geschaffen werden kann, zeigen die italienischen Designer des Millenniums.
Porto Design Biennale: Post Millennium Tension , in Porto und Matosinhos, verschiedene Ausstellungsorte. Infos: www.portodesignbiennale.pt