Gesprächsband über das Theater:Peymann zu Arminia Bielefeld

Peter Handke, 1995

Er gehe nicht gerne ins Theater, so Handke. Hier 1995.

(Foto: DPA)

Peter Handke spricht mit dem Dramaturgen Thomas Oberender über 50 Jahre Schreiben fürs Theater. Claus Peymann bekommt dabei zum Beispiel sein Fett weg, wobei Handke ihn auch an seinem Gerechtigkeitssinn teilhaben lässt. Aber nicht alle Kritisierten werden rehabilitiert.

Von Christoph Bartmann

In wenigen Wochen soll Peter Handke in Oslo den hochdotierten Internationalen Ibsen-Preis erhalten, da kommt ein Buch über seine fast fünfzig Jahre als Theaterautor gerade recht.

Thomas Oberender, der Dramaturg, Leiter der Berliner Festspiele und Ko-Juror des Ibsen-Preises hat Handke in vier Gesprächen über sein Schreiben fürs Theater befragt. "Nebeneingang oder Haupteingang?", das ist hier die Frage, und bei Handke, dem Meister des "Nebendraußen", wäre man überrascht, wenn nicht der Nebenausgang die Antwort wäre.

Aber es ist komplizierter. Einerseits: Handke selbst schätzt seine Prosaarbeiten höher, er hält sich in Bezug aufs Dramatische für einen "Dilettanten"; er geht nicht gerne ins Theater und mag auch die Theatergeher nicht. Andererseits: Er verdankt dem Theater, wie er bekennt, inzwischen seinen Lebensunterhalt, und er sieht sich als Theaterautor durchaus in einer Liga mit Brecht oder Beckett, ohne die beiden deshalb besonders hoch zu schätzen.

Aktuelle Tendenzen des Gegenwartstheaters sind Handkes Sache nicht. Oberender, der Theaterkundige, versucht es gelegentlich mit Stichworten wie "Roland Schimmelpfennig" oder "Site Specific Theater", läuft damit aber bei Handke auf. Wie überhaupt der Theaterbetrieb, der heutige, aber auch schon der von gestern, nicht mit seiner Liebe rechnen darf.

Im Personenregister am Ende des Buches kann man noch einmal überprüfen, wer hier alles sein Fett wegkriegt. Und wer dann im nächsten Satz auch schon Handkes Gerechtigkeitssinn teilhaftig wird.

Verwalten als Passion

Beispielsweise Claus Peymann. Er sei vom Typ her ein Organisator, sagt Handke. Er könnte auch Fußballtrainer sein, nicht eben bei Real Madrid, aber vielleicht bei Arminia Bielefeld. Sogleich aber korrigiert sich Handke, als Oberender Peymanns Gabe erwähnt, seine Häuser zu "durchwalten". Handke stimmt zu: Kein Verwalter sei Peymann, eher ein "Durchwalter". "Und auch sein Verwalten ist eine Passion, das ist wirklich etwas Rührendes an ihm."

Nicht alle, die Handkes Zorn trifft, werden anschließend rehabilitiert. Am heftigsten wütet Handke gegen Michael Haneke, und man ahnt, warum. Erst nennt er ihn nur, im Blick auf seinen Film "Das weiße Band", einen "Naturalisten", eine Haltung, die ihn, Handke, "keinen Moment lang" interessiere. Dann: "Ich könnte loslegen, ja? Für mich ist das ein Ideologe, ein Mystifikator und ein Denunziant."

Dem Naturalismus Hanekes, der den schlimmen Alltag "bloß" zeigt, stellt sich Handke als Realist gegenüber, der die schlimmen und alle anderen Dinge sich zeigen und damit "verwandeln" lässt. Mit ähnlicher Vehemenz hatte sich Handke Jahrzehnte früher gegen literarische Marxisten gewehrt, die ihm Eskapismus, Innerlichkeit und Schlimmeres vorwarfen. Und viele Jahre später gegen die Kritiker an seinem proserbischen Engagement.

In allen Gattungen stets ein Epiker

Man würde Handke nicht gerecht, wenn man ihn mit der Vokabel "streitbar" belegen würde. Es stimmt zwar, manchmal regt er sich furchtbar auf, aber fast immer ist sein Ärger erhellend, ja Recht sprechend.

Leseprobe

Einen Auszug aus "Nebeneingang oder Haupteingang?" bietet der Verlag hier an.

Handkes Bewunderung für Goethe hindert ihn nicht, von "Wilhelm Meisters Wanderjahren" zu sagen, sie seien "ein zusammengeschusterter, toter Kleister" oder vom "Faust", das sei "ja unerträgliches Zeug." Zu Handkes Arbeit an der Gerechtigkeit gehört es dann auch wieder, dass er den Lyriker Goethe lobt, "da atmet es wirklich vom kleinsten Marienkäfer bis zu den Planeten hinauf."

Beim so geschmähten und gepriesenen Goethe befindet sich Handke in bester Gesellschaft. Er ist, wie er nicht müde wird zu beteuern, kein Dramatiker, auch kein Lyriker, sondern in allen Gattungen stets ein Epiker, jedenfalls einer, der nicht tut, als könnte er alles und der doch seiner Sache sehr gewiss ist.

Oberender, der Gesprächspartner, hat Handkes Theater-Œuvre gründlich gelesen und konfrontiert den Autor beim Durchgang durch sein Werk mit allerlei Entdeckungen und Durchsichten, die Handke meist erfreut zur Kenntnis nimmt. Er selbst, gibt er an, vergesse rasch wieder, was er geschrieben habe, erinnert sich dann aber doch an fast alles.

Ein bisschen überrascht und zugleich erfreut scheint Handke über die späte Würdigung, die nun, vor allem seit dem Familiendrama "Immer noch Sturm", seine Theaterarbeit erfährt. Andererseits war er nie wirklich von den Bühnen verschwunden. Die frühen Sprechstücke wie "Publikumsbeschimpfung" und "Kaspar" sind Klassiker geworden, aber gerade jetzt scheint die Wirkung seiner Stücke die seiner Prosabücher zu überflügeln, eine Tatsache, an die sich Handke erst noch gewöhnen muss.

Treue zur eigenen Welt

Was man bei Lektüre der vier Gespräche deutlicher sieht als zuvor, ist die große Kontinuität dieses literarischen Entwurfs. Mal hielt man Handke für einen sprachkritischen Avantgardisten, mal für den Herold einer neuen Subjektivität, dann sah man ihn als Vertreter einer neuen Klassik. Die Etiketten müssen nicht falsch sein, man kann aber auch eine große Beharrlichkeit und Treue zur eigenen Welt - der Figuren, Bewegungen, Bilder, Gesten, Sprechweisen - konstatieren.

Handke hat die Gabe, über seine eigenen Arbeiten gelassen und selbstbewusst zu sprechen: ohne sie zu überhöhen, ohne sie zu interpretieren und ohne irgendetwas an ihnen zu relativieren oder zurückzunehmen. Man muss nicht einmal der größte Fan von Handkes Theaterschaffen sein, um dieses Buch zu lieben - wenn nicht um des Theaters, dann um des Gesprächsteilnehmers Peter Handke willen.

Peter Handke/Thomas Oberender: Nebeneingang oder Haupteingang? Gespräche über 50 Jahre Schreiben fürs Theater. Suhrkamp Spectaculum, Berlin 2014. 199 Seiten, 20 Euro.

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