Gespräch mit Julia Jentsch:Die Gar-nicht-so-Unnahbare

Bekannt wurde Julia Jentsch als Widerstandskämpferin Sophie Scholl, jetzt spielt sie eine Nazi-Frau. Die Schauspielerin über Widersprüche, Ruhm und Juristen-Klischees.

Sarah Stendel

Julia Jentsch gilt als medienscheu. Vor einigen Jahren hat sie den Talkshowmoderator Jörg Thadeusz mit ihrem beharrlichen Schweigen fast zur Verzweiflung getrieben. Kaum vorstellbar, wenn man das 30-jährige Schauspieltalent lebhaft plaudernd in einem Münchner Hotel-Gärtchen sitzen sieht. In Jeansrock und T-Shirt, die Haare offen, wirkt sie ganz und gar nicht unnahbar. Sie berlinert leicht, lacht viel und gibt lange Antworten. Als ihre Agentin einen einzelnen Muffin bringt, ist sie ehrlich entsetzt: "Das ist jetzt aber fies!" Kurzerhand teilt sie das gute Stück mit einem Löffel in gerechte Stückchen auf. Da soll noch einer sagen, Julia Jentsch habe kein Herz für Journalisten.

Gespräch mit Julia Jentsch: Mit ihr ist gut Muffins essen: Schauspielerin Jentsch teilt gerne.

Mit ihr ist gut Muffins essen: Schauspielerin Jentsch teilt gerne.

(Foto: Foto: ap)

sueddeutsche.de: Frau Jentsch, Sie gelten als sehr zurückhaltend und nicht an Ruhm interessiert. Wodurch entsteht dieser Eindruck?

Julia Jentsch: Der Eindruck entsteht wohl, wenn man lieber arbeitet, als das ganze Drumherum macht. Es soll über mich geschrieben worden sein, ich sei die "verschlossenste Schauspielerin Deutschlands". Also, das sehe ich ganz und gar nicht so. Natürlich finde ich es auch toll, Einladungen zu Festivals zu bekommen, und ich gehe sehr gerne zu Premieren, gar keine Frage! Aber ich sehe mich in erster Linie als Schauspielerin und will eigentlich nur meinen Beruf ausüben...

sueddeutsche.de: ...den Sie sehr zielstrebig verfolgt haben. Nach dem Abitur ging es gleich auf die Schauspielschule, dann das Engagement an den Münchner Kammerspielen, dann Film. War das so geradlinig geplant?

Jentsch: Das sieht jetzt so aus, aber das hätte auch ganz anders kommen können. Nach dem Abi habe ich die Schauspielschule als einzige Möglichkeit gesehen, um Feedback zu bekommen. In meiner Familie gibt es nämlich keine Schauspieler. Wäre ich abgelehnt worden, hätte ich das als ein Zeichen gesehen und etwas anderes gemacht. Es gibt so viele andere spannende Dinge. Nein, ich hätte mit Sicherheit nicht bis zum letzten gekämpft, so wie manch andere. Das bewundere ich, wenn manche auch beim 100. Vorsprechen nicht aufgeben, bis es irgendwann klappt. Dann fragt man sich, warum es nicht schon früher funktioniert hat. Aber da ist einfach viel Zufall im Spiel.

sueddeutsche.de: Was wäre denn eine Alternative für Sie gewesen?

Jentsch: Vermutlich hätte ich mich damals für ein Jurastudium entschieden. Da bin ich natürlich beeinflusst von zu Hause, weil meine Eltern Jura studiert haben. Aber auch viele der interessantesten Menschen, die ich kenne, sind Juristen. Dieses typische Klischeebild stimmt ja meist nicht, Juristen interessieren sich oft für Theater und Kunst. Ich habe auf der Schauspielschule lange gedacht, dass ich die Schauspielerei nicht als festen Beruf ausüben werde. Ich konnte mir diese Regelmäßigkeit bei einem Engagement am Theater gar nicht vorstellen. Zum Beispiel, mir Rollen zuteilen zu lassen. Ich dachte, dass Theater nur funktioniert, wenn alle die gleiche Begeisterung teilen. Aber viele Rollen hätte ich mir auch selbst ausgesucht. Jetzt bin ich frei, kann Projekte wählen und muss dafür andere ablehnen - das ist oft schade.

sueddeutsche.de: In Ihrem aktuellen Film "Ich habe den englischen König bedient" spielen Sie die Sudetendeutsche Liza, die eine glühende Hitler-Verehrerin ist. Regie führt der Tscheche Jiri Menzel.

Julia Jentsch: Ich hatte Menzels Film "Closely observed trains" gesehen, wofür er den Oscar bekam.

sueddeutsche.de: Im Film sprechen Sie sowohl Deutsch als auch Tschechisch. Wie stand es denn vor dem Dreh um Ihre tschechischen Sprachkünste?

Jentsch: Ich sprach kein Wort! Zwei oder drei Wochen vor Drehbeginn habe ich eine CD mit Aufnahmen einer tschechischen Dolmetscherin bekommen und konnte das auswendig lernen. Bis dahin war ich schon in Panik verfallen und hatte erfolglos versucht, mir die Aufzeichnung am Computer herunterzuladen. Anfangs war es sehr schwer, sich an diese fremden Laute zu gewöhnen.

sueddeutsche.de: Ist es nicht auch schwierig, Emotionen in einer anderen Sprache abzurufen?

Jentsch: Es erfordert definitiv mehr Arbeit. Ich habe im vergangenen Jahr einen Film komplett auf Polnisch gedreht. Es dauert viel länger, bis man das Gefühl hat, wirklich zu wissen, was alle anderen Schauspieler im Raum gesagt haben. Auf Deutsch kann ich immer auf den Filmpartner reagieren - auf Polnisch reagiere ich unter Umständen gar nicht.

sueddeutsche.de: Würden Sie es also als Nachteil bezeichnen?

Jentsch: Nein, ganz und gar nicht. Ich habe oft gedacht, dass auf Deutsch eine Szene ganz anders ausgesehen hätte, aber in einer anderen Sprache findet man so viele Freiheiten, weil man nicht schon eine gefestigte Vorstellung von einem Satz hat. Da ist eine Offenheit, die der Arbeit gut tut.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die Figur der Hitler-Anhängerin Liza Sympathien bei Jentsch weckte.

Die Gar-nicht-so-Unnahbare

sueddeutsche.de: Von der Widerstandskämpferin in "Sophie Scholl" zur Hitler-Verehrerin - wie haben Sie diesen Spagat geschafft?

Gespräch mit Julia Jentsch: Jentsch als Hitler-Verehrerin Liza in "Ich habe den englischen König bedient" mit Kollege Ivan Barney.

Jentsch als Hitler-Verehrerin Liza in "Ich habe den englischen König bedient" mit Kollege Ivan Barney.

(Foto: Screenshot: www.englischer-koenig-derfilm.de)

Jentsch: Grundsätzlich stellen unterschiedliche Charaktere keinen Spagat für mich dar, sondern eine Herausforderung, nach der man als Schauspieler ja sucht. Die Rolle einer Nazi-Anhängerin hat mich nicht per se gereizt, aber das Drehbuch hat mich überzeugt. Da war so viel Platz für Details, fast wie eine Gemäldebeschreibung. Schon beim ersten Lesen war Liza mir sympathisch. Es ist eine sehr kindliche Figur, lustig und offen. Auf der anderen Seite dann diese Verblendung, dieses Gar-nicht-Erkennen, was eigentlich passiert. Dieser Widerspruch hat etwas sehr Realistisches für mich, das kennt man doch aus dem echten Leben. Es ist oft schwierig, Menschen zu beurteilen. Auch eine Hitler-Anhängerin hatte Familie, war vielleicht eine liebevolle Mutter. Für diesen Widerspruch gibt es keine Lösung, das kann man nur aufzeigen.

sueddeutsche.de: Sie haben also keine Vorbehalte gegen unsympathische Rollen?

Jentsch: Nein, das nicht. Ich überlege mir vorher schon, ob ich wirklich Lust darauf habe, schließlich verbringt man viel Zeit mit einem Projekt. Aber letztendlich sage ich manchmal nur wegen eines einzigen Satzes im Drehbuch zu. Wenn ich mir denke: Wahnsinn, dass dieser Satz in einem Film gesagt wird. Bei "Ich habe den englischen König bedient" sage ich natürlich Sätze, die ich nicht befürworten kann, die Art und Weise hat mir aber zugesagt. Ich mag diesen tschechischen Humor sehr. Wenn ich diese überzogene Begeisterung für Hitler sehe, dann lache ich, weil ich denke, dass das doch gar nicht sein kann! Aber gleichzeitig wird mir auch schlecht, weil ich es so grausam finde. Aus heutiger Sicht ist es grotesk, zu sagen: Wir wollen den perfekten arischen Menschen zeugen.

sueddeutsche.de: In ihren Filmen geht es häufig um gesellschaftskritische Themen. Um Widerstand zum Beispiel in "Sophie Scholl - die letzten Tage" oder in "Die fetten Jahre sind vorbei". Engagieren Sie sich privat für bestimmte Themen?

Jentsch: Nein, ich bin nicht politisch. Obwohl - eigentlich ist da eine Entwicklung. Am Anfang meiner Karriere waren Interview-Situationen für mich neu und überraschend. Das hört sich jetzt furchtbar naiv an, aber ich habe einfach nicht verstanden, warum ich über meine Arbeit auch noch reden muss. Ich dachte, die Leute gehen wegen des Live-Erlebnises ins Kino oder ins Theater - was soll ich da noch groß erklären? Mittlerweile habe ich die Erfahrung gemacht, dass es gerade beim Film spannend sein kann, darüber zu reden. Viele haben ja gar keine Vorstellung davon, wie so etwas entsteht. Und jetzt habe ich plötzlich ein Forum und ich könnte mich für etwas engagieren.

Julia Jentsch wurde 1978 als Tochter eines Juristen-Ehepaares in Berlin geboren. Nach ihrer Ausbildung an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch war sie bis 2006 festes Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele. Mit Filmen wie "Schneeland" oder "Die fetten Jahre sind vorbei" machte sie sich auch auf der Leinwand einen Namen. Für ihre Titel-Rolle in "Sophie Scholl- die letzten Tage" gewann sie 2005 auf der Berlinale den silbernen Bären sowie den deutschen und den europäischen Filmpreis als beste Schauspielerin. Die tschechische Produktion "Ich habe den englischen König bedient" lief 2007 auf der Berlinale und gilt in Tschechien als Publikumserfolg. Trotzdem fand sich lange kein deutscher Verleih. Nun kommt die Tragikkomödie am 21. August in die deutschen Kinos. Jentsch ist darin in der Rolle der Hitler-Verehrerin Liza zu sehen.

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