Gespräch mit: Ben Kingsley:Fünf Sekunden außerhalb der Routine

Er liebt historische Rollen: Sir Ben Kingsley über Zeitreisen auf der Bühne, die Präsenz im Film "Elegy" und einen Abend mit Simon Wiesenthal.

Willi Winkler

Einzelgängerisch kommt er uns in den meisten seiner Filme, von "Gandhi" bis "You Kill Me", wo er ein Auftragskiller ist mit einem Alkoholproblem. In "Elegy", der vorige Woche bei uns anlief, erlebt Sir Ben Kingsley nun die ganz große Liebe, zu Penélope Cruz.

Gespräch mit: Ben Kingsley: Der Brite Ben Kingsley gilt als Schauspieltalent mit Hang zu historischen Rollen.

Der Brite Ben Kingsley gilt als Schauspieltalent mit Hang zu historischen Rollen.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Sir Ben, seltsamerweise hat man bei Ihren Rollen einen ähnlich körperlichen Eindruck wie bei Sylvester Stallone, nur dass in diesem Körper ein Verstand glüht, ein Intellektueller wohnt.

Ben Kingsley: Über die Schauspielerei wird sehr viel Unsinn erzählt. Die Wahrheit ist, dass der Schauspieler nur über drei Dinge verfügt: seine Stimme, seinen Körper und seine Phantasie. Mehr hat er nicht. Die müssen zusammenstimmen wie der Cellist und sein Cello. Wir Schauspieler verfügen nicht über ein Cello oder eine Geige, sondern nur über dieses Instrument. (Er klopft sich auf die Brust, dass es hallt.) Darum muss der Schauspieler lernen, sich auszudrücken. Seine Körpersprache muss verständlich sein. Ich erzähle eine Geschichte gern mit der Stimme, mit dem Körper, mit der Phantasie.

SZ: In "Elegy" spielen Sie besonders körperbetont.

Kingsley: Viele Leute haben mich gefragt, ob ich dafür zum Fitness-Training gegangen bin. Dabei war es viel einfacher: Die Rolle erforderte es, dass sich meine körperliche Balance änderte, um eine bestimmte Geschichte zu erzählen.

SZ: Sie würden also nicht so weit gehen wie Robert De Niro, der sich für seine Rolle in "Raging Bull" legendäre dreißig Pfund angefressen hat?

Kingsley: Wie hat er das gemacht? Mit Steroiden und so Sachen?

SZ: Ich glaube, es war nur Weißbrot.

Kingsley: Nein, niemals. "Raging Bull" ist allerdings ein Meisterwerk. Ich arbeite übrigens gerade mit Martin Scorsese zusammen. Scorsese ist fasziniert von Körpersprache. Er ist überzeugt, dass man eine Geschichte mit dem Körper erzählen muss.

SZ: In "Elegy" brauchen Sie nur dazustehen und haben diese unglaubliche physische Präsenz. Ich musste an ein Buch von George Steiner denken, "Real Presences (deutsch: Von realer Gegenwart)".

Kingsley: Ich habe nur ein einziges Buch von Steiner gelesen, eine Auswahl aus seinem Werk. Es ist fast wie eine Bibel für mich, und ich lese es alle paar Jahre wieder. Ich weiß nicht mehr, wie ich an dieses Buch gelangt bin. Ich weiß nur, dass ich es nicht selber gekauft habe ...

SZ: Alle britischen Schauspieler sind offenbar mit Shakespeare aufgewachsen.

Kingsley: Der britische Schauspieler ist nicht unbedingt ein Intellektueller, aber er ist neugierig und steckt voller Ideen. Er liebt das Gespräch. Wenn die Leute zusammenkommen und miteinander reden, dann reden sie über Schauspielerei. Ich bin sicher, dass es ein Schauspieler war, der mir George Steiner in die Hand legte.

SZ: Bei deutschen Schauspielern würde Ihnen das nicht passieren.

Kingsley: Tatsächlich?

SZ: Von Ausnahmen abgesehen, nein. Sie haben regelrecht Angst davor, als gebildet zu gelten.

Kingsley: Der britische Schauspieler hat einen Sinn für Geschichte.

SZ: Warum?

Kingsley: Weil er eine Zeitreise antritt, sobald er auf der Bühne steht. Da spielt es keine Rolle, ob er Shakespeare spielt oder Ben Jonson oder ein Stück von Tschechow oder Maxim Gorki. Er wird sich mit der Zeit beschäftigen müssen, in der das Stück spielt. Diese Zeitreisen sind ein Privileg. Man lebt in dieser anderen Welt und merkt, dass Shakespeare buchstäblich die Worte spricht, die man selber denkt. Nur dass sie bereits vor vierhundert Jahren formuliert wurden. Der britische Schauspieler weiß das zu schätzen. Diese Zeitreisen in Literatur und Geschichte lehren einen den Genuss an der Geschichte. Das führt zu einem Verständnis von Geschichte, das nicht trocken akademisch ist, sondern das einen wirklich körperlich ergreift. Das Wissen um die Geschichte macht einen stärker.

SZ: Noch mal zu "Elegy". Ihr David Kepesh ist zu gescheit für die Liebe.

Kingsley: Er leidet unter seiner selbstverschuldeten Einsamkeit, denn er weigert sich, sich hinzugeben, er weigert sich, sich zu seiner Verletzlichkeit zu bekennen, er verweigert sich der Intimität. Intimität bedeutet für ihn Verlust, Selbstaufgabe, aber da täuscht er sich. Doch er lernt seine Lektion, er lernt zu leben.

SZ: Könnten Sie sich vorstellen, selber so dem Liebeswahnsinn zu verfallen?

Kingsley: Selbstverständlich kann ich es mir vorstellen, weil ich mir David vorstellen konnte, wie er sich verliebt. Die Hilflosigkeit, die Lächerlichkeit, die Absurdität, alles. Vor allem, wie er den Halt verliert, und Kepesh mag es gar nicht, wenn er den Halt verliert. Sein Intellekt ist sein schlimmster Feind und sein bester Freund. Darum hat er auch nicht teil am Leben. Er will alles kontrollieren: Er kontrolliert seine Studenten, er kontrolliert ihre Gedanken, ihren Geschmack, ihre Entscheidungen. Und er kontrolliert seine Beziehungen.

SZ: Noch eine Frage: Worüber haben Sie mit Simon Wiesenthal gesprochen?

Kingsley: Ich hatte die große Ehre, ihn in einer Fernsehserie darstellen zu dürfen. ("Recht, nicht Rache", 1989). Davor traf ich ihn in Wien und ging mit ihm essen. Ich hörte ihm einfach zu, denn Wiesenthal war ein großer Prophet, ein Balladensänger, ein Geschichtenerzähler. Er hatte sein Leben einer einzigen Aufgabe geweiht: "Ich muss dir etwas erzählen." Er war nicht nachtragend, nicht rachsüchtig, sondern hatte nur dieses eine: "Ich muss etwas erzählen, ihr müsst es hören." Wenn er erzählte, dann unterstrich er seine Geschichten mit dieser unglaublichen Geste (er macht es vor), mit der er den Kummer über die Augen und die Stirn wegwischte. So schön.

SZ: Haben Sie die Geste übernommen?

Kingsley: Natürlich habe ich sie verwendet, als ich ihn dann spielte. In Wien erzählte er mir, wie die amerikanischen Truppen 1945 das Konzentrationslager Mauthausen und damit ihn befreiten. Alle anderen winkten mit ihren Nationalfarben, nur zwei seiner Freunde hatten keine. Sie fabrizierten deshalb aus ihren Hemden eine israelische Fahne. Die beiden starben unmittelbar danach, Herzanfall, aus Erschöpfung wahrscheinlich. Während Simon Wiesenthal mir diese Geschichte erzählte, betonte er sie wiederum durch diese Geste, so über die Augen, die Stirn. Während er erzählte, legte ich meine Hand auf seine, und zwischen uns übertrug sich etwas, ein Energieaustausch fand statt, es entstand ein starkes Band, und er erlaubte mir, seine Stimme zu sein. Es war ein einmaliges Erlebnis: Ein Geschichtenerzähler erlaubt einem anderen, der auf seine Art ebenfalls Geschichten erzählt, seine Stimme zu sein.

SZ: Also wieder ein körperliches Erlebnis, das zu David Kepesh in "Elegy" passen würde.

Kingsley: Das meiste, wenn ich einen Film mache, nicke ich ab, kenne ich, so geht das, ja, gut, Routine. Aber manchmal, wenn ich Glück habe, wenn ich gesegnet bin, gibt es fünf Sekunden in einem Film, bei denen ich mir denke: Ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe. Es sind aber immer nur wenige Sekunden.

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