Gespräch mit Anna Netrebko:"Ich bin faul"

Was reizt eine Anna Netrebko zur Weißglut? Hat sie Angst? Sind Open-Air-Konzerte unseriös? Die russische Starsopranistin verrät im SZ-Gespräch einiges über sich - über ihre Stimme und ihre Deutschkenntnisse, schlafende Zuhörer und Nackte auf der Bühne.

Egbert Tholl

Vor wenigen Wochen sang die russische Sopranistin Anna Netrebko noch an der Wiener Staatsoper die Titelfigur der Anna Bolena in Gaetano Donizettis gleichnamiger Oper, gleichzeitig erschien Giovanni Battista Pergolesis "Stabat Mater" auf CD mit der Mezzosopranistin Marianna Pizzolato und Anna Netrebko in den Gesangspartien, begleitet vom "Orchestra dell'accademia nazionale di santa cecilia Roma" unter Leitung von Antonio Pappano (Deutsche Grammophon). Die entsprechenden Life-Konzerte, die für die Karwoche in Berlin und München geplant waren, musste Anna Netrebko wegen einer starken Erkältung absagen, nachdem ihr die Ärzte eine Woche Stimmbandschonung verordnet hatten. Im kommenden Sommer wird sie zusammen mit ihrem Partner Erwin Schrott und mit dem Münchner Tenor Jonas Kaufmann in Berlin, Wien und München Konzerte geben, darunter auch Open-Air-Konzerte.

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"Wenn eine Inszenierung modern ist, muss sie interessant sein. Und gut aussehen. Mein Kostüm kann verrückt sein oder traditionell, wenn ich es nicht mag, werde ich es nicht tragen": Anna Netrebko sollte an diesem Samstag eigentlich in München singen, doch ihr Auftritt wurde wegen Krankheit abgesagt.

(Foto: dpa)

SZ: Gibt es eine Frage, die Sie gern beantworten würden, die Ihnen aber noch nie gestellt wurde?

Netrebko: Sie meinen, weil ich oft gefragt werde, was ich von der neuen Frühjahrskollektion halte?

SZ: Hatten Sie nicht auch Angst, dass Ihre Aufnahme von Pergolesis "Stabat Mater" von den Experten der historischen Aufführungspraxis eher belächelt wird?

Netrebko: Glauben Sie denn, ich bin eine Person, die dazu neigt, Angst zu haben? Wenn ich vorhabe, etwas auf CD aufzunehmen oder aufzuführen, denke ich nicht sofort an die Kritiker oder daran, was die Leute darüber sagen werden. Ich denke an die Musik und überlege, weshalb und wie ich sie singen will. Vielleicht werde ich dadurch besser, präziser. Bei Pergolesi hatte ich keine Angst vor der Barockmusik, denn in erster Linie ist das für mich italienische Musik, gut, aus dem 18. Jahrhundert. Und alles, was ich singe, steht in den Noten, das war mir wichtig, jeder Triller, jede dynamische Entwicklung, jeder Tempowechsel. Natürlich, normalerweise singt man Pergolesi mit einer anderen Stimme und begleitet von einem kleineren Orchester.

SZ: Seit 30 Jahren schon. Werden Sie mit Barockmusik weitermachen?

Netrebko: Ich glaube nicht. Ich fühle mich bei Pergolesi zwar wohl, ich habe das "Stabat Mater" schon im ersten Jahr meines Studiums gesungen - ich liebe seine Tiefe, seine Innerlichkeit. Einmal habe ich Bach gesungen. Das ging nicht schlecht, aber ich werde meine Karriere nicht umdrehen. Und ich glaube nicht, dass ich Händel singen könnte. Zu viele Koloraturen, und immer sehr ähnlich, mit wenigen Variationen. Sehr schwierig zu lernen. Aber schön anzuschauen. Als ich das letzte Mal in einer Händel-Oper war, beobachtete ich das Publikum um mich herum. Da waren drei Arten der Kopfhaltung zu bemerken: nach links, rechts, oder nach vorne. Alle schliefen. Nach einer halben Stunde. Aber es war wunderschön.

SZ: Es hat 20 Jahre gedauert, bis Sie das "Stabat Mater" aufnahmen. Hat das etwas damit zu tun, dass Sie nun Mutter sind?

Netrebko: Nein, gar nicht. Auch nicht mit Religion. Ich bin Atheistin. Es ist wie eine Rolle. Und alle Rollen, die ich spiele, haben mit mir nichts zu tun. Die Imagination, wie die Rolle zu sein hat, kommt aus der Partitur. Langsam.

SZ: Was bei der Anna Bolena auch nicht ganz leicht ist.

Netrebko: Die große Schwierigkeit bei der Partie der "Anna Bolena" sind die dramatischen Rezitative, nicht die Arien, nicht die Koloraturen. Die Rezitative sind anstrengend. Deshalb werde ich diese Rolle auch nicht so häufig singen - sie wäre der Ruin meiner Stimme. Es gibt nicht viele Sopranistinnen, die diese Partie singen. Man muss dafür stimmlich sehr stark sein. Und sehr erwachsen im Kopf und in der Seele.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wofür Anna Netrebko einen Kostümbildner umbringen könnte.

"Ich muss endlich Deutsch lernen"

SZ: Sind Sie das, erwachsen?

Netrebko: Ich bin erwachsen genug für diese Rollen und ich bin froh, dass ich diese Rolle erst nach 20 Jahren des Singens verkörpere. Die "Anna Bolena" zu erarbeiten, war auch ungeheuer spannend für mich. Wir mussten ein paar wenige Phrasen nach oben transponieren, weil sie extrem tief waren. Aber der Rest blieb so, wie geschrieben. Tief, schwer, dramatisch. Anstrengend.

SZ: Sie singen immer voll aus auf den Proben?

Netrebko: Ja. Solange ich kann.

SZ: Sie gelten als äußerst gewissenhaft bei den Proben, sollen als erste kommen und als letzte gehen.

Netrebko: Nein, ich komme oft zu spät, ich brauche meine Zeit. Aber wenn ich dann auf der Probebühne bin, das stimmt, dann liebe ich auch das Probieren.

SZ: Auch bei einer Inszenierung wie jener kargen von "Anna Bolena"?

Netrebko: Ich weiß gar nicht, weshalb das Inszenierungsteam ausgebuht wurde. Es ist ein historischer Stoff - was kann man da schon machen? Bewegungen - nein. Es gibt keine Aktion.

SZ: Aber es muss mehr möglich sein als ein paar hübsche Kostüme.

Netrebko: Vielleicht schon. Aber wenigstens stört diese Inszenierung nicht. Das ist Belcanto. Die Inszenierung sollte nicht stärker sein als die Sänger.

SZ: Aber Sie haben doch auch in anderen Inszenierungen mitgespielt, die mehr waren als Dekor - gerade in Salzburg.

Netrebko: Sie können Mozart oder "La Traviata" nicht mit "Anna Bolena" vergleichen. Wenn man in die Noten von Donizetti schaut, findet man da - Gott vergebe mir - extrem leidenschaftliche, dramatische Momente, und dann macht die Musik bambarambamba. Kann man es weglassen? Es geht nicht. Man muss es machen.

SZ: Im Prinzip haben Sie nichts gegen Regietheater?

Netrebko: Nein, aber wenn eine Inszenierung modern ist, muss sie interessant sein. Und gut aussehen. Mein Kostüm kann verrückt sein oder traditionell, wenn ich es nicht mag, werde ich es nicht tragen.

SZ: Ist das die russische Frau in Ihnen?

Netrebko: Nein, die erfahrene Frau. Einen Kostümbildner, der nicht weiß, welcher Stoff, welche Farbe auf der Bühne gut aussehen, könnte ich umbringen. Die Sänger sollten nicht noch hässlicher aussehen, als sie sind. Das ist falsch. Zum Beispiel: Willy Deckers "Traviata" war erstaunlich; und sie war cool. Oder: Ich sah die Inszenierung von "Roberto Devereux" in München. Sie war modern - aber unglaublich spannend.

SZ: Aber das war ja ein Beispiel dafür, dass man Donizetti aufregend inszenieren kann. Sie müssen mehr in München singen. Da sind die Inszenierungen interessanter.

Netrebko: Ich werde in "Liebestrank" (am 11. Mai) singen, nächste Saison in "I Capuleti e i Montecchi". Oder ich habe in München den "Don Giovanni" gesehen, mit den Containern und dem nackten alten Mann auf der Bühne. Komplett verrückt, aber ich mochte es.

SZ: Wann sind Sie eigentlich am meisten Sie selbst, wenn Sie russische Lieder singen oder ein lustiges Freiluftkonzert?

Netrebko: Wenn ich etwas singe, gehe ich voll darin auf. Selbst bei einem Konzert unter freiem Himmel: Es ist Spaß, im Sommer. Ich würde das nie die ganze Zeit tun. Und das gilt für alles. Ich muss wechseln zwischen den Sachen, die ich mache. Aber mein Stammplatz ist auf der Opernbühne.

SZ: Die Open-Air-Konzerte warf man Ihnen öfters als quasi unseriös vor.

Netrebko: Sie sind ja auch ein wenig unseriös, aber sie sind ein großer Spaß. Es ist dasselbe Singen, gut, mit Mikrophon, aber ich singe genauso wie auf der Bühne. Und viele Menschen können sich diese Konzerte leisten. Was ist dagegen einzuwenden, wenn man danach zur ernsten Arbeit zurückkehrt? Und diese Konzerte sind unglaublich anstrengend und vielseitig, weil ich ständig zwischen verschiedenen Stilen hin und her springe.

SZ: Und wann werden Sie die Elsa im "Lohengrin" singen?

Netrebko: Das ist noch viel zu weit weg, um darüber reden zu können. Erst muss ich richtig Deutsch lernen.

SZ: Sie leben doch schon seit einigen Jahren in Wien.

Netrebko: Aber jeder spricht Englisch mit mir. Und ich bin faul. Aber es stimmt, ich muss endlich Deutsch lernen.

SZ: Und wann singen Sie etwas aus dem 20. Jahrhundert?

Netrebko: Ich habe Pläne mit Britten, ich liebe Prokofjew. Vielleicht ergibt sich da etwas. Ich muss darüber nachdenken, seit mir mein Manager verboten hat, die Lulu zu singen.

SZ: Warum? Schmeißen Sie ihn raus!

Netrebko: Nein, nein, er hat schon Recht. Es ist zu hoch. Ich weiß das, weil ich schon angefangen hatte, die Rolle zu studieren.

SZ: Aber Sie haben eine Verantwortung für das Neue: Wenn Sie singen, kommen die Leute, auch wenn das Stück bizarr ist und die Musik ungewohnt.

Netrebko: Aber was? Ich kenne mich mit zeitgenössischer Musik nicht sehr gut aus. Wenn Sie ein interessantes Projekt für mich wissen, sagen Sie es mir. Es braucht eine Idee. Nur einfach neu, das bringt gar nichts. Wissen Sie, welche neue Oper mir gefallen hat? "The First Emperor" von Tan Dun an der Met. Die Musik hat etwas Verrücktes, aber ist sehr cool, rhythmisch.

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