Süddeutsche Zeitung

Gesellschaftsspiel:Pandemie

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Von Nicolas Freund

Die Regeln des Zusammenlebens haben sich stark geändert. Mehr als sonst noch gilt beim Einkaufen und Umgang mit anderen, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht, Corona haben: jeder gegen jeden. Es gewinnt, wer am Ende die meisten Nudeln weggekauft hat und möglichst keinen Kontakt zu irgendwem hatte. Dass diese Einstellung auf Dauer keiner Beziehung guttut, merkte der Game-Designer Matt Leacock schon lange vor der Corona-Pandemie bei Spielabenden mit seiner Frau Donna. Denn auch in den meisten Gesellschaftsspielen müssen die Spieler gegeneinander antreten, es gewinnt, wer am meisten Geld, Rohstoffe oder Siegespunkte gehamstert und möglichst wenig Rücksicht auf die Mitspieler genommen hat. Leacock wollte, wie er aus Anlass der Corona-Krise kürzlich der New York Times verriet, seine Beziehung nicht wegen eines solchen Konkurrenzdenkens riskieren. Es war 2004, die Sars-Epidemie war gerade vergleichsweise glimpflich verlaufen, und ein sich verbreitendes Virus erschien Leacock als die richtige Bedrohung für ein kooperatives Gesellschaftsspiel, in dem man mit und nicht gegeneinander spielen sollte. Dass er damit einen Nerv getroffen hat, beweist der immense Erfolg von "Pandemic", das seit Jahren in immer neuen Varianten erscheint und dessen einfaches, aber forderndes und spannendes Spielprinzip schon manchen Kritiker zu Superlativen hinriss. (Pandemic, auf Deutsch Pandemie, gibt es als Brettspiel, aber auch als digitale Version für Tablets, Konsolen und PC.)

Denn gewonnen werden kann "Pandemic" nur mit selbstlosem Kartentausch, gezieltem Ressourceneinsatz sowie ständiger Koordination und Absprachen zwischen den Spielern, auch wenn sie gerade nicht am Zug sind. Wer Karten hortet und nicht kommuniziert, gefährdet nicht nur seine eigenen, sondern auch die Gewinnchancen aller anderen Spieler. Damit erscheint das Spiel in der gegenwärtigen Situation fast prophetisch und man würde manchen Politiker und Hamsterkäufer gerne zu einer aufklärenden Partie einladen. Und hoffen, dass aus der kollektiven Erfahrung des Social Distancing ähnliche Konsequenzen gezogen werden, wie es Leacock getan hat. Damit die Spielregeln am Ende Kooperation belohnen und nicht Konkurrenz.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2020
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