Wie sich das Silicon Valley den Sozialstaat nach Bismarck vorstellt, konnte man kürzlich auf einer Konferenz in Zürich schon am Eingang zum Tagungsort ableiten: Die Referenten wurden in einem goldenen Tesla vorgefahren, auf dessen Türen in großen Buchstaben "Grundeinkommen coming soon" prangte.
Das garantierte Grundeinkommen ist derzeit das heißeste Thema in der Debatte um die Zukunft der Arbeit, denn Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden von Arbeit im traditionellen Sinne womöglich nicht mehr genug für alle übrig lassen, zumindest sagen das einige Prognosen. Getrieben wird die Diskussion von Rechten wie Linken, im Valley in Kalifornien oder in den Denkfabriken in Washington bis hin zur Schweiz, wo am 5. Juni sogar das Volk über das Konzept abstimmt.
Abstimmung in der Schweiz:Das Grundeinkommen könnte das wichtigste Experiment unserer Zeit sein
Die Schweizer stimmen bald darüber ab - ziemlich wahrscheinlich mit "Nein". Das ist schade. Denn die Idee ist so gut, dass man sich endlich trauen sollte, sie umzusetzen.
Die Wortführer würden das Konzept gerne nach Vision klingen lassen; in den Zwischentönen offenbart sich aber eher Ratlosigkeit. Kein Wunder, denn setzt sich der gegenwärtige Trend fort, wird die Digitalisierung den Graben zwischen deren Gewinnern und dem großen Rest vertiefen. "Der digitale Fortschritt vergrößert den Kuchen, aber es gibt kein ökonomisches Gesetz, das sagt, dass jeder davon profitiert", so formuliert es Erik Brynjolfsson, Wirtschaftswissenschaftler am amerikanischen MIT. Fallen aber viele ordentlich bezahlte Arbeitsplätze weg und entstehen zu wenig neue, bedroht das vor allem die Mittelschicht und damit das Fundament demokratischer Gesellschaften.
Die Steuersätze müssten astronomisch steigen
Die Gewinner treiben nun vor allem zwei Sorgen um: Wer soll all die Produkte kaufen, die künftig von Robotern produziert werden oder aus 3-D-Druckern quellen, wer all die Dienstleistungen nutzen? Und noch wichtiger: Wie lassen sich soziale Konflikte zwischen Reich und Arm entschärfen? Das ist eine Überlegung, auf die Bismarck einst den Sozialstaat gründete, wie wir ihn noch heute kennen.
Das garantierte, bedingungslose Grundeinkommen für alle scheint vordergründig eine moderne Antwort auf diese Frage zu sein. Die Befürworter argumentieren, Menschen sollten auf einer sicheren finanziellen Basis ihre Talente frei entfalten können, Verantwortung für ihr Leben übernehmen, ohne dass ein bevormundender Staat Bedürftigkeit prüft und jemanden in unliebsame Lohnarbeit drängt. Weniger Bürokratie - dieser Aspekt gefällt den Libertären wie den Liberalen besonders gut.
Die Linken finden eine mehr oder weniger üppige uneingeschränkte Unterstützung für alle erstrebenswert - plus weitere staatliche Leistungen (woran sich Rechte und Linke dann scheiden). Der Wirtschaftsprofessor und ehemalige griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, nennt das Grundeinkommen gar "eine Notwendigkeit, um den Kapitalismus zu zivilisieren". Der Berkeley-Professor Robert Reich, ehemals Arbeitsminister in der Regierung von Bill Clinton, nennt es gar einen unvermeidlichen Schritt.
Das Konzept taugt aber aus verschiedenen Gründen nicht zur Zauberformel:
Erstens: Das Grundeinkommen ist keine Eintrittskarte ins Paradies. Die Erwartungen an diese Art soziales Netz, in ihm könnten sich - wie auf besagter, international besetzter Konferenz am Gottlieb-Duttweiler-Institut in Zürich suggeriert und diskutiert - alle Bürger künftig goldene Teslas leisten, sind trügerisch. Bei Licht betrachtet ist es doch nur eine Art Hartz IV, wenn auch ohne die damit verbundene behördliche Gängelei. Freie Entfaltung erfordert zumeist mehr finanziellen Spielraum, als ihn ein bescheidener finanzieller Sockel bieten kann.
Für ein wirklich großzügiges Grundeinkommen aber müssten die Steuersätze astronomisch steigen und neue Steuern erfunden werden - eine Kohlendioxid-Steuer wird gern genannt. Eine Umverteilung im großen Stil wäre jedoch politisch kaum durchzusetzen. Schon jetzt zeichnen sich gerade die milliardenschweren Tech-Konzerne dadurch aus, dass sie Steuern durch geschickte Firmenkonstrukte gern vermeiden.
In Amerika kennt man weder eine kostenlose Universitätsausbildung noch günstige Kindergartenplätze
Die Debatte wird derzeit sehr stark von den USA aus getrieben - wo sie so zündet, weil dort schon eine staatliche Absicherung auf dem Niveau von Hartz IV eine nahezu paradiesische Vorstellung ist. Immerhin kennt man in Amerika weder eine kostenlose Universitätsausbildung noch günstige Kindergartenplätze und erst seit Kurzem eine allgemeine Krankenversicherung. Wer sich mit dem deutschen Sozialstaat beschäftigt, weiß, dass eine Grundsicherung zwar ein paar, aber längst nicht alle gesellschaftlichen Probleme löst.
Zweitens: Ein Grundeinkommen darf nicht dazu führen, dass sich Unternehmen aus der Verantwortung stehlen. Wenn das Silicon Valley ein Grundeinkommen propagiert, stehen dahinter handfeste ökonomische Interessen. Die Unternehmen der Plattform-Ökonomie mit ihren Arbeitsplätzen à la Uber oder Amazon Mechanical Turk, wo Arbeit auf Nachfrage geleistet und in Stückzahlen vergütet wird, müssen sich heute zunehmend wegen prekärer Arbeitsverhältnisse rechtfertigen. Deren Arbeitnehmer, sofern sie denn überhaupt als solche bezeichnet werden können, sind auf sich gestellt und haben keinerlei Rechte und soziale Absicherung. Hätte jeder der Auftragsarbeiter ein festes Sockeleinkommen, stünden diese Firmen deutlich weniger unter Beschuss.
Evgeny Morozov:Das Silicon Valley fordert ein Grundeinkommen - gut so!
Die Entscheider des Silicon Valley propagieren ein garantiertes bedingungsloses Grundeinkommen. Aus gutem Grund.
Hinzu kommt: In den USA liegt die Last der sozialen Absicherung meist bei den Firmen, der Staat bietet nur einen geringen Schutz. Gäbe es ein Grundeinkommen, wären die Unternehmen auch diese Verpflichtungen los.
Aber die Verantwortung für gute Arbeit, für Qualifikation und Weiterbildung kann nur sinnvoll bei den Firmen liegen. Sie müssen Partner ihrer Mitarbeiter sein und künftig eher mehr leisten als weniger, um möglichst viele Menschen auf dem Weg in die digitale Wirtschaft mitzunehmen.
Was tut der Mensch mit sich selbst und anderen in einer Welt, wo die Lohnarbeit in Bedrängnis gerät?
Drittens: Ein Grundeinkommen für alle macht Ungleiches gleich. Es mag gerecht und nach Chancengleichheit klingen, wenn jeder dieselben Ausgangsbedingungen hat. Aber Menschen sind nicht gleich. Sie bringen unterschiedliche Fähigkeiten mit, erleiden Schicksalsschläge, werden von schweren Krankheiten getroffen, deren Behandlung ungemein teuer sein kann.
Gerade die Liberalen verknüpfen mit dem Grundeinkommen die Vorstellung, dass es an die Stelle der meisten anderen staatlichen Leistungen treten kann. Sie erhoffen sich davon ein Ende der Politik. Aber der Staat darf jene, die in Not geraten, nicht im Stich lassen. Die Politik wird gebraucht, um die Vision einer halbwegs gerechten Gesellschaft durchzusetzen.
Viertens: Menschen brauchen Strukturen, wollen gebraucht werden und sozial eingebunden sein. Tatsächlich geht es in der Debatte um das Grundeinkommen um viel mehr als um die Zukunft des Sozialstaats allein. Denn im Hintergrund steht die große Frage: Was tut der Mensch mit sich selbst und anderen in einer Welt, in der die Lohnarbeit in Bedrängnis gerät?
In der Industriegesellschaft bemessen sich Wert und Selbstwert stark daran, was jemand erwirtschaftet. "Ich arbeite, also bin ich", so das Credo, das man nicht mögen muss. Wer keinen Job hat, "nur" Angehörige pflegt oder Kinder großzieht, ringt in dieser Gesellschaft häufig um Anerkennung. Arbeit gibt Menschen Strukturen, soziale Kontakte, das Gefühl, gebraucht zu werden, zu einer Gemeinschaft zu gehören und etwas zu einem größeren Vorhaben beizutragen.
Nun kann man solche Strukturen auch ohne Lohnarbeit schaffen. Schließlich gibt es gesellschaftliche Aufgaben zuhauf: in der Familie, der Hausgemeinschaft, der Nachbarschaft, der Gemeinde. Aber die Vorstellung, jeder Empfänger eines Grundeinkommens würde sofort in neuen Engagements eine Heimat und Erfüllung finden, ist naiv und gilt womöglich nicht einmal für die Akademiker, die diese Debatten führen.
Arbeit kann Halt sein
Zu viel Freiheit kann hilflos und orientierungslos machen. Das ist bekannt und öffnet radikalen Gruppierungen Möglichkeiten. Sie versprechen ihren Mitgliedern mit einem besonders strengen Lebenskorsett oft den Halt, den sie anderswo nicht finden. Arbeit ist ein solcher Halt.
Die Einführung eines Grundeinkommens müsste also von einer ganzen Reihe von Projekten flankiert werden, die Menschen an ihre veränderte Rolle in der Gesellschaft gewöhnen. Werte wandeln sich langsam. Sollte der neue Glaubenssatz des Kapitalismus nur lauten: "Ich konsumiere, also bin ich", dann wird das zu wenig sein.