Süddeutsche Zeitung

Geschlechterrollen:Männer ohne Herz, Frauen ohne Stimme

  • Nach dem Tod von Rapper Mac Miller suchten viele Fans die Schuld bei seiner Ex-Partnerin Ariana Grande.
  • Dahinter steckt ein sexistisches Narrativ, das die emotionale Arbeit des Sich-Kümmerns allein auf die Frau ablädt.
  • Überwindet die Gesellschaft diese Rollensozialisation und lehrt Männer Selbstfürsorge, verbessert sich das Leben beider Geschlechter.

Von Julian Dörr

Im September 2016 veröffentlicht der Rapper Mac Miller ein Album mit dem Titel "The Divine Feminine" - die göttliche Weiblichkeit. Auf diesem Album findet sich der Song "Cinderella", ein Lied, das Miller für seine Partnerin Ariana Grande geschrieben hat. "Jedes Mal, wenn ich Mist baue, bringst du mich wieder auf den richtigen Weg", heißt es da. Man muss diese Zeilen nur ein bisschen weiterdenken und sie führen ziemlich direkt zu dem Strommast, gegen den Mac Miller seine weiße Mercedes G-Klasse zwei Jahre später, im Mai 2018, rammt. Mit mehr als 1,6 Promille Alkohol im Blut. Zwei Wochen, nachdem sich Ariana Grande von ihm getrennt hat.

Das prägende Narrativ im Social Web: Weil sie ihn verließ, verlor er die Kontrolle. Tausende Fans empören sich auf Twitter, Tenor: Wie kannst du ihn verlassen, wo er dir doch sein Herz in einem Song ausgeschüttet hat? Auf einen dieser Tweets antwortet Ariana Grande persönlich. Sie spricht von weiblichem Selbstrespekt und Selbstwert, sie verteidigt ihr Verhalten. Und sie schreibt diesen einen wichtigen Satz: "Ich bin kein Babysitter und keine Mutter und keine Frau sollte das Gefühl haben, dass sie das sein muss." Was für ein wahnsinnig guter Satz - gerade im Licht der jüngsten Ereignisse.

Am vergangenen Wochenende ist Mac Miller gestorben, vermutlich an einer Überdosis. Er war 26 Jahre alt. Kurz nachdem sein Tod bekannt wird, trendet der Name Ariana Grande auf Twitter. Und wieder entspinnt sich diesselbe Geschichte. Sie habe ihren suchtkranken Partner im Stich gelassen, heißt es. Deshalb sei Mac Miller gestorben. Der Pop hat sein ganz eigenes sexistisches Narrativ, um Frauen für das Verhalten von Männern verantwortlich zu machen. Der sogenannte Yoko-Effekt beginnt mit Yoko Ono, die einst die Beatles auseinander getrieben haben soll, und reicht bis zu Courtney Love, der die Schuld an Heroinsucht und Suizid ihres Ehemannes Kurt Cobain gegeben wird.

Die Vorstellung von Männlichkeit kann Männer das Leben kosten

Man könnte das nun alles als krude Pop-Verschwörungstheorien besessener Fans abtun. Würde sich dahinter nicht ein großes gesellschaftliches Problem offenbaren. Denn die Erzählung von der zur Fürsorge verpflichteten Partnerin ist zutiefst sexistisch. Sie marginalisiert und diskriminiert Frauen. Und sie bringt Männer um.

Beziehungen wie die von Grande und Miller werden gerne als toxisch bezeichnet, wenn ein Partner an einer Sucht leidet, oder an Depression. Der Begriff ist richtig, aber auch irreführend. Denn toxisch ist nicht die Krankhheit an sich, die Sucht oder die Depression. Toxisch ist der Umgang damit. Und gerade im Umgang mit psychischen und physischen Problemen haben Männer ein gewaltiges Defizit.

Toxische Männlichkeit beschreibt eine kulturelle und gesellschaftliche Vorstellung von Männlichkeit, die schädlich ist. Für die Männer selbst, und für die Menschen in ihrem Leben. Mut und Stärke werden als männliche Ideale vermittelt. Gefühle oder gar Schwäche zu zeigen, wird hingegen als unmännlich empfunden. Emotionen werden unterdrückt - bis auf Wut. Denn körperliche Gewalt ist für viele Männer untrennbar mit Männlichkeit verknüpft. "Wir sind eine Generation von Männern, die von Frauen großgezogen wurden", sagt Tyler Durden im Film "Fight Club" einmal. Soll heißen: Die Frauen haben uns verweichlicht, deshalb schlagen wir uns jetzt die Fresse ein - um uns unser männliches Selbst zurückzuholen. Toxische Männlichkeit führt zu Strukturen, die gewalttätige Handlungen begünstigen - gegen andere Männer, gegen Frauen, aber auch und vor allem gegen sich selbst. In der Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse, des eigenen Körpers, der eigenen Gesundheit.

Der britische Journalist Jack Urwin hat darüber ein Buch geschrieben. Sein Vater, das erzählt Urwin auf den ersten Seiten von "Boys Don't Cry", sei an seiner Männlichkeit gestorben. Genauer: an deren toxischer Ausprägung. Herzinfarkt auf der Toilette, mit 51. Das Ergebnis eines ganzen Lebens nach der Maxime: Zähne zusammenbeißen, Haltung bewahren, weitermachen. "Wenn mein Vater gelernt hätte, sich ein wenig mehr zu öffnen", schreibt Urwin, "hätte er vielleicht nicht sein Leben lang jede Hilfe ausgeschlagen und wäre womöglich noch unter uns."

Eine eindimensionale gesellschaftliche Vorstellung von Männlichkeit kostet Männer tatsächlich das Leben. Männer gehen nur halb so oft zu Ärzten wie Frauen. Männer haben mehr und gefährlichere Unfälle. Und Männer begehen deutlich häufiger Suizid.

Der Psychologe Terrance Real schreibt in seinem Buch "I Don't Want to Talk About It" über männliche Depression: "Die zehn Jahre Unterschied in der Lebenserwartung von Männern und Frauen haben recht wenig mit Genen zu tun. Männer sterben früher, weil sie sich nicht um sich selbst kümmern. Männer brauchen länger, bis sie einsehen, dass sie krank sind, sie brauchen länger, bis sie sich Hilfe holen, und wenn sie dann einmal in Behandlung sind, dann folgen sie der auch noch schlechter als Frauen."

Die gesellschaftlich dominierenden Geschlechterrollen laden die emotionale Arbeit des Sich-Kümmerns auf die Frau ab. Sie springt in die Lücke, die er lässt. Man merkt das allein schon an den Titeln der Bestseller-Bücher, die der Psychologe Real geschrieben hat. "I Don't Want to Talk About It" und "How Can I Get Through to You?". Das sind Probleme, mit denen sich die Frau konfrontiert sieht. Ich will nicht drüber reden, sagt der verschlossene Mann. Und sie, die Fürsorgliche, fragt: Wie kann ich zu dir durchdringen? Dir helfen? Es ist bezeichnend, dass diese Bücher, die für die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit und Geschlechterrollen so hilfreich sind, so vermarktet werden, dass sie nur über den Umweg der Frau zum Mann gelangen. Selbsthilfe durch andere.

Der Mann als starker Ernährer, die Frau als fürsorgliche Kümmererin

Der Grund dafür ist eindeutig. Männern werde von Kindesbeinen an beigebracht, schreibt Jack Urwin, männlich zu sein bedeute, keinen Wert auf soziale und emotionale Kompetenzen zu legen. "Es ist ein vererbtes Leiden: Männer werden von Männern aufgezogen, die emotional nicht kommunizieren können."

Nach dem Tod von Mac Miller und den Vorwürfen gegen Ariana Grande sagte Toni van Pelt, Präsidentin der National Organisation for Women in den USA, es sei eine sexistische Ablenkung, über die Rolle von Millers Ex-Partnerin Grande zu sprechen. Das wahre Problem sei die Unterhaltungsindustrie, die dringend bessere Wege und Möglichkeiten finden müsse, Opfer von Drogensucht zu unterstützen. Das ist richtig und wichtig. Und greift doch noch zu kurz. Denn das wahre Problem ist die Gesellschaft, die dringend bessere Wege und Möglichkeiten finden muss, Männer dabei zu unterstützen, sich besser um sich selbst (und andere) zu kümmern. Und dafür müssen Geschlechterrollen aufgearbeitet werden.

"Die traditionelle Sozialisation von Jungs und Mädchen verletzt beide Geschlechter, jedes für sich, auf sich ergänzende Art und Weise", schreibt Terrance Real. Jungs und Mädchen seien gezwungen, sich zu halbieren, so der Psychologe. "Mädchen dürfen ihre emotionale Ausdrucksfähigkeit behalten und menschliche Bindungen und Beziehungen kultivieren. Aber sie werden systematisch entmutigt, ihr öffentliches, durchsetzungsfähiges Selbst zu entwickeln - ihre Stimme. Jungs, hingegen, werden sehr ermutigt, ihr öffentliches, durchsetzungsfähiges Selbst zu entwickeln, aber sie werden systematisch davon abgehalten, Emotionen auszudrücken oder die Fähigkeiten zu erlernen, die es braucht, um tiefe Verbindungen zu knüpfen und zu pflegen."

Der Mann als starker Ernährer in der Öffentlichkeit, die Frau als fürsorgliche Kümmererin im Privaten. Dieselbe Geschlechteraufteilung, die Männer ihrer Herzen beraubt, raubt Frauen ihre Stimmen, schreibt der Psychologe Real. Eine Lose-Lose-Situation. Die sich fort- und festsetzt, solange eine Gesellschaft nicht immer wieder dagegen arbeitet. Auch und vor allem gegen solche populären und sexistischen Erzählungen, wie sie zum Tod von Mac Miller nun wieder überall auftauchen.

Das besonders Tragische ist ja: Mac Miller wusste es. Er wusste es besser. Das mit der Männlichkeit und ihren toxischen Auswüchsen. Sein Album "The Divine Feminine", das sagte der Rapper einmal, erzähle von all den Dingen, die er von den Frauen in seinem Leben gelernt hätte, von seiner Großmutter, von seiner Familie, von seinen Partnerinnen.

Auf Mac Millers aktuellem Album "Swimming", gerade erst vor wenigen Wochen erschienen, findet sich ein Song mit dem Titel "Self Care". "Sag ihnen, sie sollen ihren Scheiß woanders abladen", heißt es da. Und weiter: "Self care, ich behandele mich gut. Hell yeah, wird schon alles gut." Mac Miller hatte gerade begonnen, sich um sich selbst zu kümmern. Es war zu spät.

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