Geschichtspolitik:Die Panzer müssen stolzer werden

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Unverrückbar: Beim Bau des Museums wurden im Untergeschoss größere Exponate eingemauert, dieser sowjetische T-34-Panzer zum Beispiel. (Foto: dpa)

Streit um das neue Weltkriegsmuseum von Danzig: Die polnische Regierung fordert mehr Patriotismus.

Von Florian Hassel

Eines der größten Museen Polens muss schon vor seiner Eröffnung um seine Existenz kämpfen- und zieht dafür gegen die eigene Regierung vor Gericht. Dort wird bald ein Konflikt zwischen Polens Kulturminister und dem Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs ausgetragen, dem größten, teuersten und umstrittensten Kulturprojekt des Landes. Das Museum klagt vor einem Warschauer Gericht gegen seine Zwangsauflösung und wehrt sich gegen eine ideologische Neuausrichtung. Der Streit ist über Polen hinaus einzigartig und könnte nach der polnischen auch die europäische Justiz und die EU-Kommission beschäftigen.

Historische Museen sind vielerorts Spielball der Politik. Gerade autokratische Herrscher nutzen sie gerne, um durch einen eigenwilligen Blick auf die Geschichte die Identifikation der Besucher mit ihrem Land zu beeinflussen: So erklärte etwa der Kreml im Jahr 2015 die Träger des Museums Perm-36, das die Verbrechen der Arbeitslager Stalins schilderte, zu "ausländischen Agenten" und ließ das Museum schließen. Seit seiner Wiedereröffnung im Herbst 2015 werden nicht mehr die Verbrechen beschrieben, sondern etwa Holzlieferungen der Arbeitslager als Beitrag zum Sieg über Hitler-Deutschland.

Auch in westlichen Demokratien nehmen Politiker auf Geschichtsmuseen Einfluss: In Frankreich wünschte Präsident Nicolas Sarkozy ein "Haus der Geschichte Frankreichs" - sein Nachfolger François Hollande stoppte die Planungen 2012. In Berlin zensierte der damalige Staatsminister Bernd Neumann im Jahr 2009 im Deutschen Historischen Museum eine Texttafel zur "Festung Europa" in einer Ausstellung zum Thema Flüchtlinge. Doch in Polen geht die Einflussnahme deutlich weiter.

"Ich kenne aus westlichen Ländern keinen Fall, in dem eine Regierung umfassend gegen ein prominentes Museum vorgeht und das Museum dann - wie im Danziger Fall - gegen die eigene Regierung vor Gericht zieht", sagt Hans-Martin Hinz, langjähriges Führungsmitglied des Deutschen Historischen Museums und ehemaliger Präsident des Weltmuseumsverbandes Icom.

"Möglicherweise eröffnen wir überhaupt nicht." Der Direktor sagt, er solle gefeuert werden

Neun Jahre ist es her, dass Polens damaliger Ministerpräsident Donald Tusk 2007 den Vorschlag des Historikers Pawel Machcewicz aufnahm, ein Museum des Zweiten Weltkrieges zu gründen. Das Museum sollte in Danzig, Schauplatz des Kriegsbeginns, die traumatische Kriegserfahrung Polens mit mehr als fünf Millionen Toten schildern, aber auch prominent die internationale Dimension des Krieges aufzeigen. Acht Jahre feilte der zum Gründungsdirektor berufene Machcewicz mit polnischen Kollegen und westlichen Historikern wie dem Amerikaner Timothy Snyder, dem Briten Norman Davies, dem Israeli Elie Barnavi und dem Freiburger Ulrich Herbert an Konzept und Vorbereitung.

Ende November wird der Bau des umgerechnet mehr als 100 Millionen Euro teuren Museums abgeschlossen. Der schräge Quaders glänzt rot zwischen Altstadt und Danziger Werft. Mit einer Ausstellungsfläche von 5000 Quadratmetern wäre das Museum eines der größten seiner Art in Europa. Noch vor Weihnachten sollen 2000 Exponate eingeräumt sein. "Eigentlich könnten wir am 1. Februar 2017 eröffnen", sagt Direktor Machcewicz. "Stattdessen soll unser Haus ungekrempelt und ich gefeuert werden. Möglicherweise eröffnen wir auch überhaupt nicht."

Das Museum ist der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unter Jarosław Kaczyński ein Dorn im Auge, weil es angeblich zu wenig polnisch, zu wenig patriotisch und zu wenig militärgeschichtlich ausgerichtet sei.

Kaum hatte die PiS im November 2015 die Regierung übernommen, gründete der neue Kulturminister Piotr Gliński in Danzig das "Museum Westerplatte und des Krieges von 1939". Allerdings nur auf dem Papier. Die Neugründung dient dem Zweck, durch eine Vereinigung mit dem fast fertigen Weltkriegsmuseum eine neue Einrichtung schaffen, eine neue Führung einzusetzen und die Ausstellung umzugestalten. Die solle der Welt kundtun, was Polen und die Polen seien: "Freiheitsliebend, katholisch, patriotisch und vor allem - stolz auf unsere Geschichte", forderte der regierungsnahe Historiker Jan Zaryn. Norman Davies, englischer Doyen der Polen-Historiker, beurteilt es anders: "Wir sehen in Polen jetzt die Rückkehr zu einer Kulturpolitik im kommunistischen Stil. Alle Fakten der Vergangenheit und alle Staatsinstitutionen können nach Belieben arrangiert werden, entsprechend dem Bedarf der herrschenden Partei."

Der Kommissar für Bürgerrechte klagt gegen den Kulturminister. Doch der hat das Geld

Polens Museumsgesetz zufolge darf ein Kulturminister Museen nur zusammenlegen, wenn der "Rat für Museumsfragen" zustimmt, 21 Museumsfachleute aus ganz Polen. Minister Gliński erklärte indes, er müsse den Rat nicht befragen, da er die Museen auf Grundlage eines anderen Gesetzes (über Kulturinstitutionen) zusammenlege. Der Rat stimmte gleichwohl einstimmig gegen die Vereinigungspläne; doch Gliński befahl im September die Museumsfusion zum 1. Februar 2017 und schrieb die Direktorenstelle aus. In der Verwaltung des Weltkriegsmuseums bereiten jetzt zehn Buchprüfer und Juristen die Zusammenlegung vor. Noch-Direktor Machcewicz plant derweil die Gegenoffensive. "Wir klagen gegen den Minister."

In Warschau soll das zuständige Verwaltungsgericht "die Vereinigung der Museen per einstweiliger Verfügung stoppen und im später folgenden Urteil für illegal und ungültig erklären", sagt Machcewicz. Dem Dienstweg folgend hat Machcewicz die Klage gegen den Minister erst einmal in dessen Büro eingereicht - Gliński musste die Klage bis zum gestrigen Montag dem Gericht weitergeben. "Ich hoffe, der Minister hält sich an das Gesetz", sagt Machcewicz. Der Museumsdirektor hofft auf Beistand. Etwa tausend polnische Bürger forderten Bürgerrechtskommissar Adam Bodnar auf, ebenfalls gegen die Zusammenlegung vorzugehen. Der Kommissar, in Polen ein Verfassungsorgan, reichte am vergangenen Freitag eine entsprechende Klage ein. Auch Danzigs Bürgermeister hat angekündigt, womöglich gegen den Kulturminister vor Gericht zu ziehen: Die Stadt hat den Baugrund für das Weltkriegsmuseum nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt, dass das Museum auch gebaut und eröffnet wird.

Das juristische Schlachtfeld reicht über Polen hinaus. "Die Regierung kann mich natürlich feuern und die gesamte Ausstellung austauschen", sagt Machcewicz. Ein bedeutender Teil des Museums lässt sich allerdings kaum noch verändern, denn zu Baubeginn wurden ein Eisenbahnwaggon, ein sowjetischer T-34-Panzer und ein amerikanischer Sherman-Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg in ein unterirdisches Stockwerk hinabgelassen und der Rest des Museums wurde darüber gebaut. "Doch die Ausstellung nur teilweise zu ändern, würde meine Rechte als Urheber verletzen. Nichts darf ohne meine Zustimmung geschehen", sagt Machcewicz.

Das sieht nicht nur der Museumsdirektor so. "Eine Ausstellung ist urheberrechtlich als Sammelwerk nicht nur durch nationales, sondern auch durch EU-Recht in Gestalt der Richtlinie 96/6 EG geschützt", sagt der Berliner Anwalt Carl Christian Müller, der Museen oft in Urheberrechtsfragen berät. "Ob eine Ausstellung verändert werden darf, entscheidet allein der ursprüngliche Ausstellungsmacher oder Koordinator." Ein Sprecher des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) bestätigt: "Richtlinie 96/6 ist auch für polnische Gerichte bindend."

Doch was geschähe, wenn die Gerichte nun zu Gunsten von Ausstellungsmacher Machcewicz entscheiden, doch der Minister diese Entscheidung missachtet? Auszuschließen ist das nicht, da die Warschauer Regierung selbst Urteile des Verfassungsgerichtes ignoriert, die gegen sie ausfallen. "Würde ein Verstoß gegen Richtlinie 96/6 und damit ein Bruch von EU-Recht anhalten, könnte sich das Museum oder der Direktor bei der EU-Kommission beschweren - und diese bei uns ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einleiten", sagt der EuGH-Sprecher. Es wäre juristisches Neuland im Umgang mit Autorenrechten, Museen und Regierungen.

Kulturminister Gliński verfügt noch über ein anderes Mittel, um Druck auszuüben - über Geld. "Bevor wir aufmachen, müssen wir Dutzende Leute einstellen und dann die laufenden Kosten bezahlen", sagt Machcewicz. "Aber der Minister sieht für uns im Haushalt für 2017 nur genauso viel Geld wie in diesem Jahr vor. Dass das Museum eröffnet, ist vom Kulturminister bisher nicht eingeplant."

© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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