Geschichte:Viel gewesen, viel gelesen

Unruhen bei der Uraufführung des Films 'Im Westen nichts Neues', 1930

Polizisten vor dem Mozartsaal in Westberlin anlässlich der Unruhen bei der Uraufführung des Films "Im Westen nichts Neues".

(Foto: SZ Photo)

Das Deutsche Historische Museum in Berlin blickt zurück auf die Weimarer Republik und auf Wesen und Wert der Demokratie.

Von Franziska Augstein

Der bedeutende Rechtswissenschaftler Hans Kelsen publizierte 1929 eine Schrift namens "Vom Wesen und Wert der Demokratie". Das Werk erschien in einer Zeit, als das "Völkische" gefeiert wurde. In Kelsens Augen indes war ein Volk lediglich "ein Bündel von Gruppen", die Idee vom Volkswillen hielt er für eine Fiktion. "Demokratie", sagte er, "ist notwendig", politischen Parteien obliege es, die Interessenvielfalt einer modernen Gesellschaft zu repräsentieren. Diese Ansichten waren es, welche das Deutsche Historische Museum (DHM) dazu bewogen, seine Ausstellung nach dem Titel von Kelsens Buch zu benennen: "Vom Wesen und Wert der Demokratie".

Vor hundert Jahren wurde die Weimarer Reichsverfassung verabschiedet. Das DHM nimmt das Datum zum Anlass für demokratische Selbstverständigung. Die Schau ist als Diskussionsgrundlage gedacht. Schon die innenarchitektonische Gestaltung macht das augenfällig: Die Kuratoren haben Metallgerüste aufgestellt, die an Einrüstungen auf Baustellen erinnern.

Die Ausstellung ist anspruchsvoll. Eine ästhetische Sause ist sie nicht. Von den Besuchern wird erwartet, dass sie sehr viel lesen. Zahlreiche Texttafeln, flankiert von Plakaten, Flugblättern und anderem, bieten eine Einführung in verschiedenste Gebiete der damaligen Gesellschaft: Politik, die Arbeitslosenversicherung, die Sexualkunde des Magnus Hirschfeld, die "Neue Frau", das "Neue Bauen" und das neue Medium Radio, das Presse- und das Schulwesen. Irgendwo findet sich eine Pickelhaube, die Kaiser Wilhelm II. getragen hat, an anderer Stelle eine frisch entwickelte Handgranate, die aussieht wie eine überdimensionierte Trillerpfeife. Die Fülle der Themen soll unterstreichen: Die repräsentative parlamentarische Demokratie von Weimar war mehr als ein Wagnis. Bei einem Wagnis steht der erhoffte glückliche Ausgang vor Augen. Wohin die Republik von Weimar treiben würde, war hingegen ungewiss. Sie war ein Experiment. Entsprechend wurde sie angefeindet.

Frei holpernd nach Goethe mag manche Besucherin zu der Ansicht kommen: Zwar les' ich viel, doch will ich nicht alles lesen - dies zumal, da es einen roten Faden, der die verschiedenen Themenkomplexe miteinander verbände, nicht geben kann. Empfohlen sei also, sich auf einzelne Gebiete zu kaprizieren.

Julius Fromm, ansässig in Berlin, wurde reich mit der Herstellung von Präservativen aus Kautschuk, die sich angenehmer anfühlten als bisherige Fabrikate. 1926 sollen seine Fabriken im In- und Ausland 24 Millionen Kondome produziert haben, womit belegt wäre, dass es in den Zwanziger Jahren schon ziemlich hoch herging. Weil Julius Fromm ein Jude war, wurde er 1938 gezwungen, seine Firma für einen Apfel und ein Ei zu verkaufen. Und die Besucherin freut sich über die Mitteilung, dass Fromm und seine Familie klug genug waren, sich gleich darauf in London in Sicherheit zu bringen.

Mit einer weniger gewichtigen Art von Schauder betrachtet man die Sektion, die dem "Neuen Bauen" gewidmet ist. Rolf von Botescu, er gehörte zur Bauhaus-Bewegung, drehte einen Film, in dem er mittels eingespielter weißer Linien darstellte, wie sinnlos die Hausfrau in ihrer Küche umherlief, hin und her und zurück nämlich. Wie in der Industrie, fand er, müsse es auch in der Küche zugehen: "größte Leistung bei geringstem Kraftaufwand". Der Apparat "Hausfrau" sollte in der "Frankfurter Küche" zur höchsten Effizienz gebracht werden. Das Ergebnis: eine Küchenzeile.

Die Ausstellung ist, wie gesagt, nicht für Kinder gemacht. Für sie gibt es eine Art demokratischen Erlebnispark, genannt "Demokratie-Labor". Am ersten Wochenende nach der Eröffnung am 4. April sind die Räumlichkeiten so gut wie ausgestorben. Aber unter der Woche, so erzählen die Damen, die nach dem Rechten sehen, seien einige Schulklassen da gewesen. Und, ja, laut war es dann auch. Man kann ein bisschen spielen auf durchaus gutem Niveau, man kann ein bisschen lernen und diskutieren über Themen wie "Was macht Wahlen zu einem Element der Demokratie?", "Welche Rolle spielt ziviles Engagement und wie werden Konflikte ausgetragen?"

Wer nun zwar ordentlich fortgebildet ist, aber gleichwohl lüstern auf überwältigende Anschauung, begibt sich in die Dauerausstellung zur deutschen Geschichte, genauer: ins Erdgeschoss, wo es um "Weimar bis 1994" geht. Und da steht sie zum Beispiel: Eine NSU von 1927 - ein herrliches Motorrad.

Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie. DHM, Berlin, Bis 22. September. Das "Demokratie-Labor" ist geöffnet bis 4. August.

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