Hohenzollern-Debatte:Totengräber der Republik

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Kronprinz Wilhelm von Preußen trifft zur "Reichsführertagung" des "Stahlhelm" 1933 in Hannover ein. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Ein wegweisendes Buch: In "Die Hohenzollern und die Nazis" erzählt Stephan Malinowski für das große Publikum, wie Mitglieder der Monarchenfamilie zu Steigbügelhaltern Hitlers wurden.

Von Lothar Müller

In der Nacht des 30. Januar 1933 wurden in Berlin der Oberwachtmeister Josef Zauritz und der SA-Führer Hans Maikowski erschossen, der an der Spitze des berüchtigten "Mördersturms 33" gestanden hatte. Die Totenwache von Tausenden SA-Männern in Charlottenburg mündete in eine spektakuläre Trauerfeier im Berliner Dom. Sie war als Staatsbegräbnis inszeniert; auch der neue Reichskanzler Adolf Hitler nahm teil, in dessen Kabinett die NSDAP noch auf die Unterstützung der DNVP und parteiloser Exponenten der politischen Rechten angewiesen war. Mitglieder von Polizei, Stahlhelm, SA und SS standen zu Hunderten Spalier. Hitler nahm in der ersten Reihe Platz. Dort saß während des Gottesdienstes auch ein prominenter Vertreter der Hohenzollern, Kronprinz Wilhelm Prinz von Preußen, der zuvor die Särge mit Kränzen geschmückt hatte und auf der Treppe des Doms mit Hermann Göring parlierte. Die Feier wurde live im Radio übertragen und ging im selben Jahr in den Propagandafilm "Deutschland erwacht" ein.

Stephan Malinowskis am Montag erscheinendes Buch "Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration", das diese Szene schildert und kommentiert, wurde mit Spannung erwartet. Der Autor hat 2014 im Auftrag der Landesregierung Brandenburg ein "Gutachten zum politischen Verhalten des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm Prinz von Preußen (1882-1951)" geschrieben. Die Frage, ob dieser der Errichtung und Festigung des nationalsozialistischen Regimes "erheblichen Vorschub" geleistet habe, war durch Entschädigungsforderungen der Familie Hohenzollern für Enteignungen durch die sowjetische Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1949 auf die Tagesordnung gesetzt worden. Nach dem Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 sind die Forderungen nur aussichtsreich, wenn die Frage verneint wird. Malinowski hatte sie bejaht. Andere Gutachter sahen in dem Kronprinzen eine bedeutungslose, politisch konzeptionslose, zu konsequentem Handeln unfähige Randfigur. Rechtskräftig zu entscheiden haben die Frage am Ende nicht die Historiker, sondern die Richter am Verwaltungsgericht Potsdam.

Der Machtverlust führte zur Radikalisierung des deutschen Adels

Malinowski, 1966 in Berlin geboren, lehrt seit 2012 Europäische Geschichte an der University of Edinburgh. Seit seiner Studie "Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat" (2003) gilt er als einer der besten Kenner der Geschichte des Adels in Deutschland nach der Revolution von 1918/19. In diesem Buch aber spielten die Hohenzollern nicht die Hauptrolle, und sein Gutachten von 2014 war der Vorgabe entsprechend auf den Kronprinzen, den ältesten Sohn des ins holländische Exil gegangenen Kaisers Wilhelm II., konzentriert.

Sein neues Buch schreibt nun die These der aus Machtverlust geborenen Radikalisierung im deutschen Adel fort und weitet den Blick auf die Hohenzollern-Familie insgesamt, über mehrere Generationen hinweg. Der Kaiser in seinem Exil in Doorn und seine zweite Gattin Hermine, der 1923 auf Vermittlung Gustav Stresemanns von der holländischen Insel Wieringen nach Deutschland zurückgekehrte Kronprinz und seine Brüder und deren Kinder werden als aristokratisches Netzwerk sichtbar, einschließlich der Rivalitäten und Zerwürfnisse.

Vom Machtverlust am Ende des Ersten Weltkriegs über die Jahre der Fundamentalopposition gegen die Weimarer Republik schreitet die Darstellung voran zu den öffentlichen Auftritten und nicht-öffentlichen Interventionen in den Jahren der Etablierung des NS-Regimes. Hier, vor allem 1932 und 1933, hat sie ihr Zentrum, ehe sie den mit der Festigung des NS-Staates einhergehenden Bedeutungsverlust nachzeichnet, dem nur langsam der Abschied von den Illusionen einer Machtbeteiligung folgt. Nachdrücklich bestreitet Malinowski die von manchen Historikern vorgebrachte These, die Hohenzollern hätten im NS-Staat eine Art konservative Opposition gebildet oder gar durch Louis Ferdinand Prinz von Preußen, einen der Söhne des Kronprinzen, Anteil am Widerstand gegen Hitler und am Attentat vom 20. Juli 1944 gehabt.

Die Zeit von 1945 bis heute betrachtet er vor allem unter dem Gesichtspunkt, wie die Hohenzollern als Geschichtsschreiber ihrer selbst auftreten. Hier holt er die Auseinandersetzung mit seinen hohenzollernfreundlichen Kollegen, die er zuvor in den Fußnoten geführt hat, in den Haupttext hinein. Und er wird zum Zeithistoriker in eigener Sache, wenn er die Neigung der aktuellen Hohenzollern bilanziert, Journalisten und Historiker mit Klagen zu überziehen.

Zur Geschichte gehören zwielichtige Hochstapler, verweigerte Duelle und anachronistische Obsessionen

Malinowski unterfüttert und orchestriert in diesem Buch das historische Urteil seines Gutachtens von 2014. Dennoch ist es ans allgemeine Publikum adressiert und präsentiert die Fülle von Akteuren und Details, zu denen zwielichtige Hochstapler, verweigerte Duelle und anachronistische Obsessionen gehören, in einer durchgängig klaren Perspektive. Im Zentrum steht nicht die Kollaboration mit den Nazis, die das Buch im Titel trägt, sondern deren Fundament, der Antirepublikanismus der Hohenzollern. Er ist älter als der Wahlaufruf des Kronprinzen für Hitler von 1932, älter als der Eintritt seines Bruders August Wilhelm Prinz von Preußen in NSDAP und SA, älter als die Unterstützung des NS-Staates durch die Kronprinzessin Cecilie als Schirmherrin des Königin-Luise-Bundes, älter als der Auftritt des Kronprinzen beim "Tag von Potsdam" im März 1933. Er ist so alt wie die Republik selbst.

Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration. Propyläen-Verlag, Berlin 2021. 752 Seiten, 35 Euro. (Foto: N/A)

Der Hass der Hohenzollern auf die Republik ist Malinowski wichtiger als die Vorgeschichte der Entschädigungsdebatte, die 1926 vom preußischen Landtag ratifizierte Regelung des Umgangs mit ihrem Vermögen und das gescheiterte Volksbegehren zur Fürstenenteignung im selben Jahr. Ausgiebiger verfolgt er die Selbsteingliederung der Hohenzollern in die Vielzahl der Akteure, die sich in der Weimarer Republik der Konterrevolution und dem Kampf gegen die Republik verschrieben. Dass der Ex-Kaiser Sekt entkorken lässt, als er von der Ermordung des "Erfüllungspolitikers" Matthias Erzberger erfährt, vergisst er nicht zu erwähnen.

Ebenso wichtig wie schriftliche Quellen sind ihm Insignien, Symbole und Rituale. Die Diskreditierung des Kaisers und seines Sohnes, des Kronprinzen, in den Augen des alten preußischen Adels und anderer Konservativer durch ihre Flucht vor der Revolution, bei der sie das Heer verlassen hatten, unterschlägt er nicht. Die Vorstellung der Hohenzollern, der Kampf gegen die Republik könne - im Bündnis mit den Nationalsozialisten - zu einer Restituierung der Monarchie führen, lässt er als zähe Illusion erscheinen. Zugleich aber erhebt er zu Recht Einspruch gegen die in der aktuellen Diskussion gelegentlich aufflammende Bagatellisierung des Beitrags der Hohenzollern zur Zerstörung der Republik. Im Zentrum dieser Bagatellisierung steht das Bild des Kronprinzen Wilhelm als Frauenheld, Lebemann und politischer Dilettant.

"Der Kollaborateur ist keine Nebenfigur, sondern die Grundlage der NS-Diktatur."

Das wichtigste Instrument, mit dem Malinowski diesem Bild entgegentritt, entstammt kurioserweise dem Standardarsenal monarchischen Denkens. Darin ist die Idee des Königtums durch einen schwachen König auf dem Thron im Kern nicht betroffen. Malinowski wendet diesen Gedanken auf die Hohenzollern und zumal den Kaiser im Exil und den Kronprinzen als Kronprätendenten an. Er unterscheidet systematisch zwischen ihrer "Person", dem empirischen Individuum, und der "Figur" im öffentlichen Raum, deren Charisma schon wegen ihres Namens nicht restlos verdampfen kann. Die Berufung auf die Studie "Die zwei Körper des Königs" von Ernst Kantorowicz, die vom mittelalterlichen Königtum und seiner heilsgeschichtlichen Fundierung handelt, ist dabei weniger überzeugend als die praktische Konsequenz. Sie besteht im Brückenschlag von der Ideologiegeschichte der Hohenzollern, ihrer antirepublikanischen Gesinnungen und monarchischen Illusionen zur Mediengeschichte.

Die selbstinszenierten Homestorys, Interviews und anderen Darstellungen auf Fotos und in Zeitungsartikeln, die Malinowski bei seiner Recherche fand, lassen die Hohenzollern als "Medienprinzen" erscheinen, deren Bilder im Zuge ihrer Radikalisierung und Öffnung nach rechts immer stärker von Hakenkreuzen durchsetzt sind. Die verbohrten, wirklichkeitsfremden und immer drastischer antisemitischen Züge, die der Exilkaiser Wilhelm II. bis zu seinem Tod 1941 annimmt, werden von nachfolgenden Generationen ausbalanciert, die sich als moderne Führerfiguren geben. Ein Vorzug des Brückenschlags zur Mediengeschichte ist, dass die Stimmen der Zeitgenossen zu Wort kommen, die belegen, dass etwa die Aktivitäten zur Zusammenführung von Stahlhelm und SA weithin wahrgenommen wurden, ebenso die Rolle der Hohenzollern als Mittlerfiguren zwischen konservativen Eliten und Nationalsozialisten, zu deren Rhetorik die Kritik des "degenerierten" Adels gehörte.

Die Hoffnungen auf eine Restitution der Monarchie durch ein Bündnis mit dem Nationalsozialismus waren illusionär, aber nicht anachronistisch. Ihr Modell war, wie Malinowski deutlich zeigt, das Nebeneinander von Duce und König im italienischen Faschismus. Ausführlich dokumentiert er die "Werbetätigkeit" der Hohenzollern in der Zeit des einsetzenden Terrors nach dem 30. Januar 1933 und dem Reichstagsbrand Ende Februar, die an die amerikanische Öffentlichkeit adressierten Einsprüche gegen die "antideutsche Gräuelpropaganda". Die Gewaltexzesse des NS-Staates, denen auch Kurt von Schleicher, der Duzfreund des Kronprinzen, zum Opfer fiel, gefährdeten die Annäherung der Hohenzollern an den Nationalsozialismus nicht.

Außer August Wilhelm Prinz von Preußen und Hermine, der zweiten Gattin des Kaisers im Exil, gehörte niemand zum harten Kern der Nazis, schreibt Malinowski im Schlusskapitel - und fügt hinzu, dass die Nationalsozialisten sich ohne kollaborierende Gruppen am Ende der Weimarer Republik nicht hätten durchsetzen können: "Der Kollaborateur ist keine Nebenfigur, sondern die Grundlage der NS-Diktatur." Fast klingt es nach Enttäuschung, wenn Malinowski das "Gegen-Charisma" der Hohenzollern als reales, aber ungenutztes Potenzial beschreibt: "Die Familie hat diese Ressource immer wieder für ihre eigenen Interessen eingesetzt, nicht jedoch gegen das NS-Regime."

Je mehr das politische Handeln des Kronprinzen im Zuge der Entschädigungsdebatte erforscht wurde, desto mehr schwand die Aura seiner Nullität. Der Historiker Christopher Clark, der in seinem Gutachten die "Vorschub"-Frage verneinte und später den Kronprinzen als "Flasche" titulierte, hat inzwischen sein Urteil revidiert. Bei der Zerschlagung der Weimarer Republik sei er sehr wohl "ein einflussreicher Akteur" gewesen. Malinowski erhärtet diesen Befund durch eine Fülle von Belegen und stellt den Kronprinzen in den Kontext seiner Familie und der deutschen Gegenrevolution seit 1918/19. Juristisch bleibt die "Vorschub"-Frage vorerst ungeklärt. Wer beim Urteil für "Nein" plädiert, hat in diesem Buch einen starken Gegner.

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