Weil es um Frieden geht, muss an die Schlagersängerin Nicole erinnert werden und an den Rockbarden Hans Hartz. Bei jenem Hartz, gestorben 2002, handelte es sich um einen Musiker, der sich den Ehrentitel Rockbarde wirklich verdiente. Denn obwohl er von Friedenstauben sang, war er Pilspub-kompatibel, er krächzte wie ein Kolkrabe im Stimmbruch. Und Nicole gewann 1982 den Grandprix der Eurovision. Länder des Ostblocks fehlten damals beim Songcontest - der Kalte Krieg. Die Herz-Attacke von Nicole, dieser längst fälligen deutschen Version von Janis Joplin, hieß "Ein bisschen Frieden". Nicole trug das Lied mit weißer Gitarre vor. Im gleichen Jahr kam Hans Hartz mit "Die weißen Tauben" in die Hitparade: "Marie, die Welt reißt von der Leine", sang er, "die weißen Tauben fliegen nicht mehr."
Und ob sie flogen! Wenige Jahre später pickten die weißen Tauben die Berliner Mauer nieder.
Taubenbeschwörer und Friedensklampferinnen sind in Pilspubs und im Popzirkus von heute nahezu unvorstellbar. So gesehen ist es still geworden um den Frieden - seltsam still, auch wenn er auf der politischen Tagesordnung gerade von Woche zu Woche präsenter wird. Nicht weniger als fünf (5!) einander ergänzende Ausstellungen in Münster betrachten ihn nun historisch, kunstgeschichtlich und künstlerisch. Mit "Frieden. Von der Antike bis heute" ist der Parcours betitelt, der vom Landesmuseum, wo auch das Bistum mit einer eigenen religionsgeschichtlichen Ausstellung gastiert, über das Archäologische Museum und das Kunstmuseum Pablo Picasso bis zum Stadtmuseum reicht.
Eine bessere Idee hätten sie in Münster kaum haben können. In dieser Stadt endete mit dem Westfälischen Frieden der Dreißigjährige Krieg, der vor genau 400 Jahren begonnen und gewütet hatte wie kein Krieg zuvor auf diesem Planeten.
Bei den Archäologen ist der älteste erhaltene Friedensvertrag der Welt ausgestellt. Pharao Ramses II. und ein hethitischer Großkönig vereinbarten "gute Bruderschaft", nachdem sich ihre Streitkräfte die Köpfe eingeschlagen hatten. Das kleine Exponat aus dem Louvre ist Weltmonument, bei den Vereinten Nationen in New York hängt eine Kopie davon. Als US-Außenminister Colin Powell dort 2003 seine Lügenrede zum Irakkrieg hielt, soll der 3250 Jahre Vertrag abgehängt worden sein. Aus Respekt vorm Dokument, nicht vor Powell.
"Krieg ist aller Dinge Vater", sagte Heraklit von Ephesos. Als er um das Jahr 500 vor Christus über den Lauf der Dinge nachdachte und zum Ergebnis kam, dass "panta rhei", dass "alles fließt", wurde die Abwesenheit von Frieden noch als schöpferische Kraft gepriesen. Der Krieg gehörte zum Alltag. Für die Erkenntnis, dass Eirene, der Frieden, mindestens genauso gedeihlich sei wie der Krieg, dauerte es noch ein paar Jahre. Doch dann ging es schnell. Schon im Peloponnesischen Krieg wuchs die Sehnsucht nach Eirene so stark, dass sie personifiziert wurde: als Schwester von Eunomia und Dike, guter Ordnung und Gerechtigkeit. Aristophanes ließ einen seiner Komödien-Helden auf einem dressierten Mistkäfer in den Himmel fliegen, um von dort den Frieden zu holen.
Und dann schuf der Bildhauer Kephisodot in Athen eine Statue, die genauso berühmt wurde wie später die Freiheitsstatue von New York. Die Münsteraner Archäologen haben sie aus den überlieferten Repliken rekonstruiert. Im Arm hält sie einen Knaben: Ploutos, zu Deutsch Reichtum. Mit seinem Füllhorn verkörpert er den Wohlstand. Wer zu lange vor diesem Mutter-Kind-Gebilde steht, könnte zur Auffassung gelangen, Gott habe diese Idee so schön gefunden, dass er 370 Jahre später eine Kopie davon mit den Namen Maria und Jesus in die Welt setzte.
Aristophanes' Mistkäfer hat sich als Friedensgeflügel nicht durchgesetzt. Die Römer zeigten gern Victoria, die Siegesgöttin. Aber auch das Motiv des Handschlags, der Frieden stiftet, prägen sie auf ihre Münzen. Oft zeigt es Frau und Mann - auch in der Antike war für jedes Paar eine friedliche Beziehung erstrebenswert. Global und politisch betrachtet funktionierte für die Römer Frieden nur durch Herrschaft. Der Kaiser stiftete ihn, dafür war er dann auch zu verehren. Die anderen Münsteraner Ausstellungen beziehen sich immer wieder auf das Propädeutikum bei den Archäologen, seien es künstlerische Traditionen, Renaissancen oder Neuinterpretationen. Die Kontinuität der Friedens-symbolik überrascht.
Die Taube, der Regenbogen, die Pflugschar, der Ölzweig, der Füllkrug, das Lamm. Die meisten Symbole sind biblisch, manche sind immer wieder aufgetaucht in der Friedenshistorie oder nie verschwunden. Der Regenbogen erscheint wie die Taube im 1. Buch Mose im Alten Testament, und zwar als Vertragsgegenstand: Gott setzt den Regenbogen als Siegel des Bundes mit allen Lebewesen ans Firmament. Zuvor hat die Taube Noah mit einem Ölzweig die Botschaft übermittelt, dass er befriedet sei.
Psalm 85 legt dar, wie man sich eine heile Welt vorzustellen hat: Der Herr gibt seinem Volk Frieden, auf dass es "nicht in Torheit" gerate. Er sorgt dafür, dass "Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Frieden sich küssen". Dieser Kuss inspirierte Künstler vom Mittelalter bis in die Neuzeit, wobei die Allegorie des Friedens gerne nackt mit Fackel und Füllhorn und mit zahmem Wolf nebst Lamm dargestellt wird. Als Idyll schlechthin. Das LWL-Museum für Kunst und Kultur gibt einen breiten kunstgeschichtlichen Überblick.
Es fällt auf, dass der Frieden zwar gepriesen, aber der Krieg kaum verteufelt wurde. Erst im 20. Jahrhundert wendeten sich pazifistisch motivierte Künstler ab vom Idyll. Sie schufen Antikriegsbilder. Otto Dix verarbeitete seine eigenen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, und es gibt wenige ähnlich flammende Friedensappelle wie sein Kriegsbild "Flandern" aus den Jahren 1934/36 und sein Radierwerk "Der Krieg" (1924).
Auch beim bekanntesten Kunstwerk der Moderne handelt es sich um ein Anti-kriegsbild: Picassos "Guernica". Seine Entstehung im Jahr 1937 dokumentiert das Picasso-Museum. Und es zeigt auch, wie der Spanier zum Hausmaler der Pazifisten wurde. Manche seiner Tauben führen den Ölzweig im Schnabel. Es wirkt wie eine Versöhnung der Sozialisten mit dem Christentum, wenn sie dieses Motiv nebst Hammer und Zirkel auf die Plakate setzen.
Mit der interessantesten Frage, die in Münster gestellt wird, wartet das Bistum in seiner Ausstellung auf: "Frieden - wie im Himmel so auf Erden?" Soll bedeuten: Wie kann eine Religion wie das Christentum, dessen Stifter als größter Friedenspropagandist aller Zeiten verehrt wird, Krieg und Leid in die Welt bringen? Draußen an der Lambertikirche hängen noch die Käfige, in denen vor 500 Jahren die Leichen hingerichteter Wiedertäufer ausgestellt waren - Opfer ihres Glaubens und ihrer Glaubenswidersacher. Wie konnte es geschehen, dass im Namen einer Religion auf bestialische Weise gemordet wird?
Es war so etwas wie ein Sündenfall des bis dahin verfolgten Christentums, als der römische Kaiser Konstantin im Jahr 312 seinen Gegner Maxentius schlug und der Sieger den Erfolg auf die Hilfe des Christengottes zurückführte. Er sei ihm im Traum mit dem Christusmonogramm erschienen. Die Bekehrung der Welt geriet nun zu einer Mission, die notfalls mit Gewalt zu erzwingen war. "Compelle intrare - nötige sie hereinzukommen", trug Augustin von Hippo seinen Glaubensgeschwistern auf. Eine eindeutig pazifistische Haltung könne sich die Kirche nicht leisten. Karl der Große nahm die Aufforderung 400 Jahre später so ernst, dass er die befeindeten Sachsen vor die Wahl stellte: Taufe oder Tod. Wer sich solchen Vorgaben fügt, kann seinen Frieden haben.
Diktatfrieden nennen das Staatskundler. Die Alternative wäre der Versöhnungsfrieden - wie er nach dem Dreißigjährigen Krieg in Münster gefeiert wurde, wenn auch nur mancherorts. Die Münsteraner selbst waren wie die meisten Katholiken alles andere als begeistert vom Resultat und den Konzessionen, während die Sause in protestantischen Reichsstädten umso heftiger ausfiel. In Nürnberg floss kostenloser Wein aus dem Rathaus schläucheweise unters Volk. In Münster hingegen hatten sie noch im Jahr 1898 zum 250. Jubiläum keine rechte Lust darauf zu feiern, dass sie als Friedensstadt in die Geschichte eingegangen waren. Im Stadtmuseum ist ein eher mickriges 1648er-Geschichtsbüchlein ausgestellt, das die Stadt ein Jahr zu spät veröffentlichte. Die Nazis sprachen dann vom "Zwangsfrieden".
Es darf bezweifelt werden, ob Christen ihre Gegner überhaupt immer für Menschen hielten. Man muss sich nur das Kölner Flugblatt zum "Triumph des heiligsten Rosenkranzes" aus dem Jahr 1634 vor Augen halten, auf dem Maria auf einem niedergemetzelten Feind steht, dessen Haupt vom Jesuskind auf ihrem Arm gereckt wird. Beide lächeln, als kämen sie gerade vom Erdbeerpflücken nach Hause. Eirene und Ploutos wirken trotzdem sympathischer.
Für Katholiken ist die Lehre vom gerechten Krieg heute noch verbindlich, wie der Kirchenhistoriker Hubert Wolf mit Verweis auf den von Joseph Ratzinger im Jahr 2005 vorgelegten Katechismus feststellt. "Dem klugen Ermessen der Regierenden" obliege es, über die Kriterien zu entscheiden. Die fünf Kataloge zu den fünf Ausstellungen sind voll mit gelehrten Beiträgen wie diesem. Den Münsteraner Museen kommt zugute, dass sich an ihrer Universität seit Jahren ein Exzellenzcluster mit "Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne" beschäftigt.
Die bewegendste Friedensmahnung ist in der Ausstellung des Bistums zu sehen. Es ist das Original-Flugblatt IV der Weißen Rose. Es wurde im Prozess gegen sie als Beweisstück verwendet. Jedes Wort Hitlers sei eine Lüge, schreiben sie. "Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg." Es folgte das Todesurteil. Doch als Idole sind diese Friedenskämpfer unvergesslich geworden.
Frieden. Von der Antike bis heute. Münster. Bis 2. September. Informationen unter www.ausstellung-frieden.de. Fünf Kataloge (Sandstein-Verlag) im Schuber 78 Euro in der Ausstellung, 98 Euro im Buchhandel.