Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Der Krieg von 1870 "live" auf Twitter

Studierende der PH Ludwigsburg und der Ruhr-Universität Bochum können in ihrem Twitter-Format die zeitgenössische Wahrnehmung vor 150 Jahren ein wenig wiederherstellen.

Von Gustav Seibt

Gestern vor 150 Jahren reiste König Wilhelm I. von Preußen aus Berlin ab, um sich an die Spitze der in Frankreich einmarschierenden Truppen zu stellen. Zwei Wochen nach den Kriegserklärungen wurde es ernst im deutsch-französischen Krieg von 1870. Schon seit über zehn Tagen waren lange Eisenbahnzüge mit Soldaten, Pferden, Proviant und Kriegsgerät quer durch Deutschland nach Westen gerollt.

So schnell fand der vom technisch hochmodernen Berliner Generalstab geplante Aufmarsch statt, dass er die Franzosen noch im vollen Aufmarschchaos erreichte. Deren Kriegspläne - in zwei Kolonnen sollte in Deutschland einmarschiert werden - scheiterten kläglich. Nur eine kleine Eskapade nach Saarbrücken Anfang August gelang, hatte aber keine Folgen. Der Krieg fand auf französischem Boden statt.

Da der entscheidende Sieg der preußischen und nicht zuletzt auch bayerischen Truppen schon Anfang September in Sedan gelang, hat sich die Erinnerung an die kriegsübliche Angst, die Not, die Ungewissheit bald verloren.

Das schon für 1914/2014 erprobte Format der Twitter-Historiografie, die von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde voranschreitet, im Minutentakt mit den Ereignissen, kann die zeitgenössische Wahrnehmung ein wenig wiederherstellen.

Unzählige persönliche Quellen

Für den Krieg von 1870/71 machen das nun Studierende der PH Ludwigsburg und der Ruhr-Universität Bochum unter Leitung von Tobias Arand. Von Arand gibt es eine ausgezeichnete Darstellung des Krieges, "erzählt in Einzelschicksalen" (2018). Da sind unzählige persönliche Quellen großer und kleiner Zeitzeugen, vom Tagebuch des preußischen Kronprinzen bis zur Heimatpost einfacher Soldaten zu einem schaurigen Gesamtgemälde verbunden.

Arand und seine Studis können also auf einen enormen Quellenfundus zurückgreifen, wenn sie sich jetzt als Reporter aus der Vergangenheit melden. Nicht nur der König reist ab, sondern zur gleichen Zeit auch der thüringische Geschäftsmann Johann Zeitz, dessen zwei Söhne sich freiwillig zum Krieg gemeldet haben. Zeitz hat Angst und will sie unbedingt noch einmal sehen. Wird er sie finden? Werden sie überleben?

Das weiß der Twitter-Account @Krieg7071 bisher noch nicht. Hoffentlich erfahren wir es!

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SZ vom 01.08.2020/odg
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