Geschichte:Das Instrument

Israel hat ein bislang geheimes Gnadengesuch Adolf Eichmanns veröffentlicht. Den Richtern sei "ein entscheidender Irrtum unterlaufen", schreibt er dort. Und erklärt sich zum bloßen "Instrument der Führung". Geholfen hat es nicht.

Von Joachim Käppner

Der Täter sah sich als Opfer: "Den Richtern ist in der Beurteilung meiner Person ein entscheidender Irrtum unterlaufen", schrieb er am 29. Mai 1962 in säuberlicher Schönschrift an Israels Staatspräsidenten Jizchak Ben-Zvi - zur Begründung seines Gnadengesuchs. Der Verfasser war Adolf Eichmann, einst im Reichssicherheitshauptamt der Cheforganisator des Holocausts. Ein Gericht in Jerusalem hatte Eichmann zum Tode verurteilt, der Prozess 1960 das Augenmerk der Welt erstmals auf die ganze Dimension des Holocaust gelenkt. Das Gnadengesuch hat Israels Präsident Reuven Rivlin nun anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages für die Öffentlichkeit freigegeben, gemeinsam mit ähnlichen Eingaben der Familie Eichmanns. Bisher waren die Dokumente in Israel als geheim eingestuft. Das Bundesarchiv in Koblenz besitzt seit Langem eine einsehbare Abschrift des Gesuchs.

Wie aus seinen Aussagen während des Verfahrens geht aus Eichmanns Gesuch hervor, wie weit er jede Schuld von sich abspaltete. Er leugnete den Holocaust keineswegs, im Gegenteil, es müssten die "Urheber der an den Juden begangenen Gräuel zur Verantwortung gezogen werden", schrieb er: "Es ist dabei aber die Grenze zu ziehen zwischen den verantwortlichen Führern und den Personen, die, wie ich, lediglich Instrument der Führung sein mußten." Über Jahrzehnte blieb dies die Strategie aller Angeklagten in NS-Prozessen. Entweder hätten sie nichts gewusst oder, falls nachweislich doch, nichts für die Morde gekonnt; jedenfalls sei ihnen keine Wahl geblieben. Aber Menschen haben eine Wahl und eine Verantwortung, selbst in einer totalitären Diktatur. Auch das gehört zu den Erkenntnissen des Eichmann-Verfahrens. Zwei Tage nach dem Gesuch wurde Eichmann gehenkt.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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