Gescheiterte Entwürfe:Friedhof der Einheitsdenkmäler

Von keinem Kurator betreut: Berlin stellt die 532 gescheiterten Entwürfe für das geplante Einheitsdenkmal aus. Zwischen Pflichtübung und Abfallentsorgung.

Lothar Müller

An einem symbolischen Datum, am 9. November 2007, hatte der Deutsche Bundestag ein "Denkmal der Freiheit und Einheit Deutschlands" beschlossen und ihm die Aufgabe gesetzt, das Gedenken an die friedliche Revolution im Herbst 1989 und die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit 1990 mit der Erinnerung an "die freiheitlichen Bewegungen und Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte" zu verbinden. Festgelegt wurde als Standort der Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. auf der Schlossfreiheit in Berlin.

entwurf von wolfgang strack, hamburg

Der Wettbewerb um das Einheits-Denkmal in Berlin gilt als gescheitert - weil die Entwürfe angeblich zu schlecht waren. Sehen Sie selbst:

die Bilder.

(Foto: Abbildung: www.bbr.bund.de)

Der weltweit offene Ideenwettbewerb erbrachte 532 Entwürfe, denen sich die Jury in einer ganztägigen und einer halbtägigen Sitzung zuwandte, ehe sie einstimmig feststellte, "dass keine der eingereichten Arbeiten die notwendige Mehrheit zum Verbleib im Verfahren erhalten hat". Damit war dieser erste Wettbewerb gescheitert; ein zweiter, diesmal wohl als Einladungswettbewerb für ausgewählte Künstler, soll folgen.

Am Dienstagabend ist im Kronprinzenpalais, begleitet von Künstlerprotesten, die der Jury mangelnde Sorgfalt vorwarfen, die Ausstellung sämtlicher eingereichter Entwürfe eröffnet worden. Wer sie besucht, muss sehr, sehr viel Geduld mitbringen.

An Dutzenden Stellwänden sind die Vorschläge in dichter Folge von Bild-Text-Montagen aufgeklebt. Viele Texterläuterungen sind nur mühsam zu lesen. Anstelle eines Kurators geben die Tarnziffern, unter denen die Vorschläge anonymisiert wurden, den Parcours vor. Sie sind jetzt mit den Namen der Einreicher verbunden. Die Anmutung des Ganzen schwankt zwischen Pflichtübung und Abfallentsorgung.

Doch ist eine Besichtigung dieses ungegliederten Friedhofs von Denkmalentwürfen, die nie gebaut werden, eine erhellende Erfahrung. Denn weil ein zeitgenössisches Denkmal nicht auf eine feste Formensprache zurückgreifen kann, ist hier der Bricolage, dem Spiel mit Einheits- und Freiheitssymbolen Tür und Tor geöffnet: Bäume, die sich verzweigen oder aus einer gemeinsamen Wurzel hervorgehen, Möbiusbänder, die sich zu Chiffren komplexer Einheit verschlingen, Ring-, Kugel- oder Gehirnhälften, die sich zusammenschließen, Scheiben, die sich durchdringen.

Je ernsthafter die Entwürfe der Ausschreibung Rechnung zu tragen versuchen, desto unvermeidlicher müssen sie die Symbole mit Zitaten aus dem historischen Text- und Bildarchiv ausstatten.

Als beliebter Typus schält sich die skulpturale Anordnung von Parolen heraus: "Wir sind das Volk / Wir sind ein Volk", zum Kreis aus Buchstaben arrangiert. Das begehbare Bürgerplateau, das schon einmal aussehen kann wie ein extravaganter Designertisch, konkurriert mit dem Projekt "Paxohr", das die Form des Runden Tisches in eine begehbare Ohrlandschaft einfügt, die aus dem Fundament des Kaiserdenkmals herauswächst: Demokratie heißt Zuhörenkönnen. Das Pathos der Stelenform (auch als Kerze oder Laserstrahl) steht gegen die Reflexe, die mit Schlümpfen, einer Banane oder eine Pickelhaube Comedy-Pointen setzen.

Sehr zu wünschen wäre als Beitrag zur Denkmaldebatte eine Anthologie der Künstlerkommentare zu den Entwürfen: "Das freie Volk greift nicht die Mittelachse des Schlosses auf wie das alte Kaisermonument, sondern betritt unerwartet und selbstbewusst asymmetrisch die Szenerie."

Bis 31. Mai, Kronprinzenpalais Unter den Linden, Berlin, tgl. 10-20 Uhr

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